Schätze & Schätzchen - Museen in Bayern:Hauptsache

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Einst wurden von Lindenberg im Allgäu aus Strohhüte in die ganze Welt exportiert - in der ehemals größten Fabrik erzählt heute ein Museum die Kultur- und Sozialgeschichte der Kopfbedeckung

Von Barbara Doll, Lindenberg

Was verbindet Luis Trenker, Papst Benedikt XVI. und die Queen? Ihre Prominenz - und ihr Hang zum Hut. Wobei im Fall des Papstes differenziert werden muss: Sein weißer Pileolus aus schimmernder Moiré-Seide ist mehr Käppchen als Hut und gehört zur päpstlichen Amtstracht. Trenkers Bergsteiger-Hut aus schneeweißem Fell und die königliche Kreation in Blassblau gehen dagegen als extravagante Mode-Statements durch.

In einer kleinen Stadt im Allgäu haben die drei Kopfbedeckungen zusammengefunden: Das Deutsche Hutmuseum Lindenberg erzählt seit Dezember 2014, was sich die Menschen wann und warum auf den Kopf gesetzt haben - und wie es war, als ganz Lindenberg noch von der Hutproduktion lebte. Vor mehr als 100 Jahren exportierte das "Klein-Paris" der Hutmode Millionen von Strohhüten aus dem Allgäu in die ganze Welt. 1893 bekam Lindenberg die erste elektrische Straßenbeleuchtung, selbst in München gab es so etwas damals erst in zwei Straßen am Hauptbahnhof. Wenig später war die Hutstadt auch ans Eisenbahnnetz angeschlossen.

Heute hält das "Bähnle" nicht mehr in Lindenberg. Wer mit dem Zug anreist, steigt in Röthenbach in den Bus um und bekommt eine Allgäu-Klischeefahrt serviert: bergauf, bergab, vorbei an Schindelhäusern, Braunvieh auf grüner Wiese, uralten Wirtschaften und wieder Braunvieh auf grüner Wiese. Gegen so viel weiche Idylle wirkt das ehemalige Fabrikgebäude der Lindenberger Firma Ottmar Reich geradezu abweisend: ein Klotz mit vier Stockwerken und Backstein-Kamin. Einst war dies Lindenbergs größte Hutfabrik mit bis zu 1200 Mitarbeitern. Heute ist der Bau von 1922 ein Industriedenkmal und beherbergt als "Kulturfabrik" neben dem Hutmuseum auch einen Veranstaltungssaal und Räume für Verwaltung, Museumspädagogik, Sonderausstellungen. Das Gebäude selbst ist das größte Exponat des Hutmuseums: Die alten Sprossenfenster und historischen Fenstergläser wurden saniert, neu ist nur die mächtige Wendeltreppe aus Beton, die die Ausstellungsebenen miteinander verbindet.

Wie kamen die Allgäuer auf den Hut? Lindenberg war einst ein bitterarmes Dorf, das vom Getreideanbau lebte. Die Kleine Eiszeit und der Dreißigjährige Krieg brachten Hungersnot und Missernten, eine neue Einnahmequelle musste her: Lindenbergs Männer brachten Pferde über die Alpen und verkauften sie in Italien. Bei einer dieser Touren, so die Legende, wurde ein Bauer krank, musste in Italien überwintern und lernte dort, wie man Hüte herstellt. Halme für die Strohborten gab es in Lindenberg genug, und bald wurde in fast jedem Haus genäht und geflochten. 1755 eröffnete die erste Hut-Compagnie, 1850 importierte man Borten aus China, und um 1900 gab es in Lindenberg 14 Hutfabriken mit 3000 Beschäftigten.

"Die Industrialisierung ist hier ein bisschen wie ein Ufo gelandet", sagt Kathrin Felle, Leiterin des Lindenberger Kultur- und Gästeamts. In einer deckenhohen, begehbaren Glasvitrine - einem Fabrikationsregal nachempfunden - erzählen historische Werkzeuge, Materialien und Bilder, wie aus vielen Halmen ein Strohhut wird. Daheim saßen die Hausfrauen an der Nähmaschine, in den Fabriken standen die Männer an der Haubenpresse: Im Museum kann man sich an dem tonnenschweren Gerät versuchen - und feststellen, dass Hutproduktion ein Knochenjob war. Dampfkessel und Schichtarbeit, Schweiß und Dreck.

Doch der Hut brachte Wohlstand ins Allgäu. In der Boom-Zeit, zwischen 1900 und 1910, stellten die Lindenberger jährlich acht bis zehn Millionen Hüte her. Exportschlager war der "Matelot", der flache Matrosenhut aus Stroh, Inbegriff von Freizeit und Sommerfrische. Er war damals weltweit ein Muss auf dem Kopf jedes modebewussten Herrn.

Nach dem Ersten Weltkrieg ging es dann stetig bergab: Man sattelte auf Filzhüte um, stellte Tropenhelme für Soldaten her, produzierte in den Fünfzigerjahren Kreationen nach Dior. Doch wenig später hatte der Hut ausgedient. Museumsleiterin Angelika Schreiber nennt die drei wichtigsten Gründe: "Das Auto, die Frisur, die Gesellschaft." Der Hut war unpraktisch beim Einsteigen, er zerstörte jede Dauerwelle und widersprach dem liberalen Kleidungscode der 68er.

Industriegeschichte verschmilzt hier mit Kultur- und Sozialgeschichte. Großformatige Fotos, "Mitmachinseln", Exponate und Probier-Hüte erzählen 300 Jahre Hutmode. Ob Radhaube, Lutherbarett, Dreispitz, Polizeimütze oder Trilby: Kaum ein Kleidungsstück ist so symbolträchtig wie eine Kopfbedeckung. Und kaum eines ist ein so guter Zeitgeist-Seismograf, sagt Schreiber: "Wir sind keine Hut tragende Gesellschaft mehr, mit einem Hut exponiert man sich heute extrem."

Als die Welt den Hut ablegte, machte in Lindenberg eine Firma nach der anderen dicht, und es wäre wohl böse ausgegangen, hätte sich nicht eine große Luftfahrtfirma angesiedelt. Mit der Insolvenz der Firma Ottmar Reich 1997 war die Hutproduktion endgültig Geschichte. Heute gibt es nur noch eine Firma - und die lässt in Osteuropa produzieren. Das Hutmuseum erinnert nun mit viel Liebe zum Detail an Lindenbergs goldene Hut-Zeit und bekam dafür im Juli den Bayerischen Museumspreis.

Neben den Kopfbedeckungen von Luis Trenker oder der Queen sollen in Zukunft noch mehr Promi-Hüte zu sehen sein. Angelika Schreiber und Kathrin Felle schreiben deshalb viele Briefe. Ihr absoluter Wunschkandidat ist ein Musiker, der ohne Hut nicht existiert und eigentlich nicht mehr ablehnen kann, sobald er die Absenderadresse gelesen hat: Udo Lindenberg.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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