Satire im Netz:Zum Lachen in den Keller

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"Welt" und "Spiegel" entdecken im Internet den Humor. Die Titanic-Redaktion klagt über Ideenklau.

Marc Baumann

Die Liste der Vergehen ist lang und für eine fristlose Kündigung ausreichend: Da wären eine Gotteslästerung, üble Scherze auf Kosten des Papstes, eines Behinderten und der CDU-Vorsitzenden, schließlich spöttisches Gerede über den eigenen Konzernchef. Alles auf einer Seite und in der ersten Arbeitswoche. Das hätte sich bei der konservativen Welt früher einer trauen sollen - Satire bei Springer.

Nach "Welt.de" darf bald auch bei "Spiegel Online" gelacht werden. (Foto: Foto: Photocase.com (Montage))

Seit einer Woche gibt es auf der Internetseite welt.de neben Rubriken wie Politik, Wirtschaft und Vermischtes ein neues Ressort: "Glasauge - das Satire-Magazin". Dort ist man schwer bemüht, Tabus zu brechen: Da wird Eva Herman ins Kellerverlies von Natascha Kampusch gesteckt und erklärt: "Endlich ein Mann, zu dem ich Gebieter sagen darf." Auch über Rollstuhlfahrer Wolfgang Schäuble ("Schumachers Nachfolger?") und hausinterne Leitbilder wie Jesus ("Wiedergeburt ungültig - Jesus gedopt") darf gelacht werden.

In derselben Woche kündigte auch Spiegel Online eine Satire-Seite an. "Innerhalb der nächsten zwei Monate wird es so weit sein", sagt Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron. Für den täglichen Redaktionswitz wurde Martin Sonneborn eingekauft, langjähriger Chefredakteur des Satire-Magazins Titanic. Sonneborn und zwei Kollegen haben weit gehend freie Hand, Blumencron ist "gespannt, was daraus wird".

Sonneborn hatte vor der Vergabe der WM 2006 an Deutschland Fifa-Delegierte mit Kuckucksuhren bestochen und Österreichs Außenministerin von der Expo 2000 in Hannover ausgeladen. Der Mann ist einer der wenigen Vollzeit-Humoristen in den deutschen Medien. Denn mit Ausnahme der Seite "Wahrheit" in der taz hat noch keine deutsche Tageszeitung der Satire ernsthaft Platz eingerichtet. Beim Spiegel hat man das Glossenschreiben vor einigen Jahren ganz aufgegeben.

Der Papst als Spindluder

Im Internet blüht der Humor neu auf - es gibt viele Witzseiten. Spiegel Online hat mit einer eigenen Comic-Reihe gute Erfahrungen gemacht. "Pointierte Artikel ziehen die Leute viel stärker an als Durchschnittsartikel", weiß Blumencron. Das Potenzial von Internet-Satire sieht er noch deutlicher bei Webseiten wie YouTube.com. Dort können selbst amateurhafte Homevideos weltweiten Ruhm erlangen, wenn sie nur an genügend Leute per E-Mail verschickt werden. Der Kopfstoß des Fußballers Zinedine Zidane im WM-Finale machte zwei Tage später als animierter Italiener-Witz die Runde, der Terroranschlag vom 11. September 2001 wurde zur al-Qaida-Persiflage mit singendem Osama bin Laden und George W. Bush.

Ein echter Sonneborn oder ein "Glasauge"-Witz als globaler Lacherfolg - davon träumen die Macher. Zumal internationale Größen wie die Times Humor noch nicht für sich entdeckt haben. Der ganz große Gag ist den Satirikern von welt.de bislang nicht geglückt. Neben einem Papst-Bild steht: "Das Spindluder der Libanon-Truppe: Mit Kopftuch, aber dafür ohne Möpse."

Das Team vom "Glasauge" versteht sich als "kleines Pflänzchen". Der stellvertretende Chef des Welt-Feuilletons, Holger Kreitling, und zwei Pauschalisten dürfen "Formate ausprobieren". Einen ersten kleinen Erfolg gibt es bereits: Die Titanic-Redaktion klagt über Ideen-Klau.

© SZ vom 22.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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