Sabine Christiansen geht - ein Farewell:Tschüss, Christiane!

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Wir fürchteten immer, es würde langweilig werden. Aber es wurde nie langweilig. Denn wir konnten jeden Sonntag kaum den Moment abwarten, in dem das Gästegezeter ausbrach, der berühmte Christiansen-Moment. Und den gab es immer wenige Minuten nach Beginn der Sendung. Er wird uns fehlen.

Philipp Mattheis

"Den wahren Wert eines Menschen erkennt man erst, wenn man ihn verloren hat", stand im Poesiealbum meiner Banknachbarin in der Grundschule. Ich fand diesen Spruch immer ein bisschen theatralisch, aber darin steckt dann doch viel Wahres.

Wo kommen wir ohne Dich hin? (Foto: Foto: ddp)

Gerade jetzt muss ich daran denken, wo ich gehört habe, Du willst aufhören. Alle kamen sie doch zu Dir, und sie kamen so gerne. Die Becksteine, Schäubles, Ströbeles und Westerwellen. Sie geiferten ein wenig, zeigten auch mal ihre Schuhsohlen und verschütteten ihr Wasserglas.

Die Domina im Polit-Arena

Nur Du konntest Sie wieder zur Räson bringen. Sie hörten auf Dich, auch wenn sie sonst nicht zuhörten. Du warst die Domina in der Polit-Arena. Die wildesten Raubtiere mussten irgendwann schweigen. Ein böser Blick über Deine Lesebrille, eine Handbewegung von Dir genügte und sie waren still. Jedenfalls manchmal.

Bei Dir herrschte Sitz-Ordnung: Die zwei neben Dir - das wussten wir sofort - haben am meisten zu sagen. Die zwei in der Mitte waren nicht mehr ganz so wichtig, würden es aber vielleicht einmal sein. Und die zwei ganz außen, die musste man sich nicht merken. Das verschaffte uns Orientierung.

Du warst eine Institution. Ein Auge im Hurrikan. Du warst personifizierte Konstanz in einer Fernseh-Welt von 40 Programmen.

Es konnte kommen, was wollte - am Sonntag schauten wir Tatort und dann Dich. Wir wussten, es würde eigentlich wieder nicht zur Sache geredet. Aber das lag nicht an Dir. Politik ist eben hochkomplex.

Doch irgendwie war all das stimmig.

Wir wussten schon vorher, dass Deine Gäste ihre längst zuvor geflochtenen Statement-Kränze vor Dir niederlegen würden. Zu groß die Angst vor dem Patzer, zu arg die Furcht vor der montäglichen Bildzeitung - bei Dir sagten sie nur, was sich längst als vertretbar erwiesen hatte. Uns war klar, dass auf Fragen von Dir nur Antworten kamen, die Antworten auf Fragen waren, die Du nicht gestellt hattest.

Deine gazellenhafte Erscheinung passte so gut in die karge Öde der Politik. Dein spröder, distanzierter Tonfall zeigte uns, wie menschenfremd und langweilig es dort ist. Deine stets angemessenen cremefarbenen Kostüme versinnbildlichten, wie farbneutral es an der Spitze der Republik zu geht.

Wir sind Dir sehr dankbar!

In meinem Leben nimmst Du einen ähnlich wichtigen Platz ein wie meine Grundschullehrerin. Eine strenge Frau, mit der ich nie auf einen grünen Zweig gekommen wäre. Aber sie hat mir Lesen und Schreiben beigebracht.

Und unter uns: der Jauch Dein Nachfolger? Das kann doch nicht gut gehen. Der könnte am Ende noch witzig sein.

Doch ich will ehrlich zu Dir sein: Unsere Welt ist schnelllebig, und zehn Jahre "Christiansen", mit Verlaub, sind eine kleine Ewigkeit im Medienzeitalter. Günther Jauch wird nun kommen oder wer auch immer. Es ist egal. Wichtig ist nur: nach dem Tatort.

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