RTL: Erwachsen auf Probe:"Eine neue Form der Prostitution"

Lesezeit: 2 min

Dschungelcamp für Babys? Kinderschützer wollen Anzeige erstatten, weil in der Show "Erwachsen auf Probe" Kleinkinder an Teenager ausgeliehen werden.

Wolfgang Luef

Der kleine Ricardo tobt und schreit - die Kamera hält drauf. Der Junge wirft sich zu Boden und schluchzt - das Bild zoomt sein verheultes Gesicht heran. Die Mutter des Kleinen ist überfordert, sie fasst ihn hart an, beginnt selbst zu schreien. Auch die kleine Schwester Ricardos, die das Ganze beobachtet, bricht in Tränen aus. Schnitt: Die Pädagogin Katharina Saalfrank blickt verständnisvoll und fragt: "Ist das bei euch immer so?"

Sandra G. leiht der Show "Erwachsen auf Probe" ihre Zwillinge - und überwacht das Treiben per Hauskamera. (Foto: Foto: RTL)

Es ist eine Szene wie tausend andere aus dem RTL-Format "Die Super Nanny". Dass Kinder vor laufender Kamera in Stresssituation gebracht werden, ist im Deutschen Fernsehen nichts Neues. Wer gezielt zappt, kann sich jeden Abend bei irgendeinem Reality-Format mit verängstigten, aufmüpfigen oder in Tränen aufgelösten Kindern unterhalten. Das ist Normalität. Doch Verbände, Politiker und Medienwächter finden, dass der Privatsender RTL mit seiner neuesten Produktion einen Schritt zu weit geht. In der Sendung "Erwachsen auf Probe", die am 3. Juni startet, sollen Teenager das Familienleben kennenlernen. Und zwar, indem Eltern ihnen leihweise ihre Babys und Kleinkinder überlassen, mit denen sie dann vor der laufenden Kamera klarkommen müssen.

Ein regelrechter Entrüstungssturm ist in den vergangenen Tagen über den Sender hereingebrochen: Die Bundestags-Kinderkommission, der Psychotherapeutenverband, Bayerns Familienministerin, Schleswig-Holsteins Jugendministerin und viele mehr meinen, es sei unverantwortlich, Babys dieser traumatischen Situation auszusetzen und das auch noch im Fernsehen zu zeigen. "Eine neue Form der Prostitution", findet der Hebammenverband. Man solle die "RTL-Voyeure in einen Käfig" sperren, fordert eine Frauenberatungs-Organisation.

Der Runde Tisch des Amtsgerichts Freising bei München will nun die Staatsanwaltschaft einschalten: "Wir erheben Strafanzeige gegen die betroffenen Eltern und sonstigen Verantwortlichen wegen Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen oder zumindest des Versuchs", heißt es in einem offenen Brief des Gremiums aus Familienrichtern, Rechtsanwälten, Psychologen und Sozialpädagogen. Koordinator des Runden Tisches ist der pensionierte Familienrichter Hartmut Dihm. Am Dienstag will er die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft einbringen. "Die Eltern handeln strafrechtlich relevant, wenn sie ohne Not ihre Babys an ein Baby-Dschungelcamp verkaufen", sagt er.

Der Sender RTL hat die harsche Kritik bislang sehr gelassen kommentiert. Die Eltern der Versuchskinder seien am Ort der Dreharbeiten gewesen und hätten das Experiment jederzeit abbrechen können, erklärte ein Sprecher. Außerdem hätten Psychologen und Erzieherinnen die Dreharbeiten begleitet. Ganz wie bei der "Super Nanny" also.

RTL bleibt dabei, die bereits fertig gedrehte Sendereihe soll wie geplant ausgestrahlt werden. Ganz überraschend ist der Aufschrei für den Sender wohl nicht gekommen: Ähnliche Diskussionen begleiteten die Starts der Vorbilder in Großbritannien, den USA und den Niederlanden, die dort sehr erfolgreich liefen. Bei NBC in den USA erreichte die Sendung die Rekordquote von 7,9 Millionen Zuschauern, die etwa beobachten konnten, wie ein Teenager sein geborgtes Kleinkind vor lauter Ekel über eine volle Windel am Arm reißt. Es folgt ein Schnitt zu den Eltern, die das Ganze über einen TV-Bildschirm verfolgen. "Du kannst ihn doch nicht am Arm reißen", sagen sie. "Das ist nicht gut."

© SZ vom 18.5.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: