Roman "Porno":Das machen wir nochmal, Baby

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Zehn Jahre nach "Trainspotting" gibt Irvine Welsh den Helden seiner Geschichte eine zweite Chance. Diesmal versuchen sie sich an Hardcore-Filmchen. Und kriegen erneut triumphal in die Fresse.

Von Dirk Peitz

Gott, das Buch fing damals so unfassbar gut an. Mit der Stimme aus dem Off, die folgende Suada herunterbetete:

"Sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ja zur Bausparkasse, sag ja zur ersten Eigentumswohnung, sag ja zu den richtigen Freunden. Sag ja zur Freizeitkleidung mit passenden Koffern, sag ja zum dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung in hundert Scheiß-Stoffen. Sag ja zu Do-it-yourself und dazu, auf deiner Couch zu hocken und dir hirnlähmende Gameshows reinzuziehen. Und dich dabei mit Scheiß-Junk-Fraß voll zu stopfen. Sag ja dazu, am Schluss vor dich hin zu verwesen, dich in einer elenden Bruchbude voll zu pissen und den missratenen Ego-Ratten von Kindern, die du gezeugt hast, damit sie dich ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben."

Damit hätte schon alles aufhören können. Wenn man das Leben nunmal als eine traurige Abfolge von Kaufentscheidungen, Versicherungsabschlüssen und Sinnbetäubungen betrachtet, welche die Zeit überbrücken helfen bis zu dem Punkt, an dem trotz aller menschgemachten Ablenkungen todsicher alles Leben endet - auf dem Friedhof. Und dahin wollte diese Stimme offenkundig, vielleicht nicht so bald als möglich, aber immerhin kannte sie den Weg dahin schon: "Ich habe mich entschieden, mich gegen das Leben zu entscheiden. Meine Gründe? Es gibt keine Gründe. Wer will Gründe, wenn man Heroin hat?"

So begann 1996 der Film "Trainspotting", der auf dem gleichnamigen Buch von Irvine Welsh aus dem Jahre 1993 basierte, das wiederum in Großbritannien schon lange vor der Verfilmung ein Bestseller gewesen war und mittlerweile in 30 Sprachen übersetzt worden ist. Die Stimme war die synchronisierte des Schauspielers Ewan McGregor, der zuvor mit demselben Filmteam (Regisseur Danny Boyle, Produzent Andrew Macdonald, Drehbuchschreiber John Hodge) bereits "Shallow Grave" gedreht hatte. Seitdem galt er als das Gesicht eines neuen britischen Films, der lustiger und grimmiger zu werden versprach als der, den man aus den 80er und frühen 90er Jahren kannte.

Und der im wesentlichen aus drei vorhersagbaren Genres bestand: Ken-Loach-Arbeiterdramen, Merchant/Ivory-Kostümdramen und dem schlimmen Drama um die immer schlechter werdenden Bond-Filme. Mit McGregors Stimme endete "Trainspotting" auch, und mit derselben Aufzählung von hohlen Konsumgewohnheiten, nur dass die Stimme nun tatsächlich "Jein" zu diesem Leben gesagt hatte. Während zwischendrin von den vier mehr oder weniger guten Freunden, mit denen Rent Boy, so der Name von McGregors Rolle, bis dahin sein kaputtes Junkie-Leben in einem Vorort von Edinburgh namens Leith und meistens auch das Heroin geteilt hatte, einer an Aids gestorben war.

Zwei waren von Rent bei einem Drogendeal übers Ohr gehauen worden und nur einer fand sich am Ende ausbezahlt. In der Schlusseinstellung sah man London, und wie Rent Boy dem Sonnenaufgang hinterher in eine ungewisse, aber vermutlich bessere Zukunft lief.

Selten war ein offenes Filmende so restlos zufriedenstellend. Und selten hatte ein Film sein Publikum derart messerscharf in zwei Teile geteilt: in den, der von "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" bereits abgehärtet genug war, um den hysterischen Humor und die drastischen Bilder dieser Loser-Farce zu lieben; und in den, der ein derartig offensives Abbilden des Drogenkonsums und seiner Folgeerscheinungen für einen bedenklichen Sozialporno hielt.

Trainspotting oder die Suche nach neuen Rauschbildern

Jedenfalls produzierte "Trainspotting" wie sonst in den 90ern eben nur "Pulp Fiction" Mengen an coolem Zeichenüberschuss, seine Bilder, Dialoge und Soundtrack-Songs gingen in die große Überlieferung der Popkultur ein. Wobei "Trainspotting" kein so offensichtlicher Film-Film war wie Tarantinos Gangster-Blutbad, sondern anstelle von lauter coolen Zitaten neue Rauschbilder suchte. Vorher und nachher gab es keinen Film mehr, der so bedrohliche Metaphern fürs High- und auf Entzugsein erfand: der Säugling an der Decke, der dem Junkie erscheint, oder wie Rent Boy seinem letzten bisschen Stoff in die Kloschüssel hinterherspringt, um kurz darauf mitten im Meer zu landen.

Da Welshs Helden im Original durch passagenweise unverständlichen Working-Class-Slang sogar akademisches Analysepotenzial boten, regneten weltweit kultur-, sprach- und literaturwissenschaftliche Seminararbeiten zum Thema "Schottische Identität und die Kultur der Diaspora unter besonderer Beachtung von Irvine Welshs ,Trainspotting'" (oder so ähnlich) auf Universitätsprofessoren nieder. Ein Fall von nostalgie de la boue, wobei die Romantisierung dieser fast zu realistischen Variante des Heroin Chic all die Wohlstandskinder, die ihm kurzzeitig verfielen, glücklicherweise und natürlich nicht an die Nadel brachte.

Das war es dann eigentlich.

Bis Irvine Welsh auf die Idee kam, eine Fortsetzung zu "Trainspotting" zu schreiben. "Ich mochte diese Figuren einfach und wollte sie noch einmal neu kennen lernen", hat Welsh gesagt. Eigentlich eine lahme Ausrede für ein literarisches Sequel. Außer, und dafür gibt es Anzeichen in dem neuen Roman, der die Erzählstruktur und den Plot inklusive des Endes von "Trainspotting" noch einmal variiert: Welsh wollte eine Chronik der Rave-Generation in Jahrzehntsprüngen beginnen. Dann wären Rent Boy, Sick Boy, Spud und Begbie zusammen so etwas wie die literarisch nicht ganz und gar vergleichbare Quersumme von John Updikes Rabbit. Nur halt: kaputt, zugedröhnt und chancenlos.

Aber wollten wir wirklich wissen, was aus dem smarten Rent Boy, dem Möchtergern-Magnaten Sick Boy, dem dummen Druggie Spud und dem versoffenen Soziopath Begbie als Mittdreißiger wurde? Und sollten die nicht längst tot sein, so, wie sie sich in "Trainspotting" aufführten? Irvine Welsh fand: erstens ja und zweitens nein.

Was aus seiner Warte betrachtet vernünftig erscheint. Denn die fünf Bücher, die Welsh zwischen seinem Debüt "Trainspotting" und der neuen, jetzt auf Deutsch erschienenen Fortsetzung "Porno" (Kiepenheuer & Witsch, 576 Seiten, 12,90 Euro) geschrieben hat, taugten nicht sonderlich viel. Andererseits: "Trainspotting" blieb von allen Erzeugnissen der britischen Kultur in den 90er Jahren eines der wenigen, das sich Tony Blair unmöglich in den hippen Kanon seines Cool Britannia einverleiben konnte. Dafür war "Trainspotting" zu randständig. Schon deshalb ist es nur fair, dass die komischsten Verlierer der Nach-Thatcher-Zeit auch in der Blair-Ära nun noch einmal triumphal in die Fresse kriegen.

Vom Sozialporno zum schlichten "Porno"

Dafür hat Welsh aus dem Sozialporno "Trainspotting" das "Sozial" gestrichen und schlicht "Porno" draus gemacht, so ja eben auch Titel und Inhalt des neuen Romans. Welshs Vorstellung von Pornografie setzt sich dabei immerhin von dem ab, was die schöneren Künste seit einigen Jahren als leidlich bürgerschreckendes Leitmotiv infiltriert hat. Bei Welsh geht es nicht um luxuriöse raunchiness wie bei den Fotografien von Terry Richardson, und nicht um das Dokumentieren und Inszenieren des Alltags in den Porno-Fabriken des San Fernando Valley wie bei dessen Kollegen Larry Sultan.

Es geht nicht um juvenile Begattungsriten wie in den trostlosen Filmen von Larry Clark, und nicht um das auf Theaterbühnen längst routinierte Geschmacksgrenzentesten beim Abonnentenpublikum. Es geht schon gar nicht um so krauses Zeug wie beim literarischen Nazi-Porno von Thor Kunkel oder dem RAF-Hardcore von Bruce LaBruce.

Welsh führt stattdessen in den wenig leidenschaftlichen Kosmos der Amateur-Pornografie ein, der bislang von der Popkultur sträflichst vernachlässigt wurde - obwohl die Darstellung von halb oder ganz nackten Körpern längst ihre eigentliche Domäne geworden ist.

"Porno" handelt wie schon "Trainspotting" vom stümperhaften Learning-by-doing, diesmal nicht im Drogen-Business, sondern beim absehbar vergeblichen Versuch, aus dem sexuellen Heimwerkeln ein Geschäft zu machen - von der Webcam-Show zum Hardcore-Dreh im Hinterzimmer einer Hafenspelunke von Leith.

Natürlich läuft alles schief. Beim Dreh erleidet der Hauptdarsteller eine Fraktur seines Arbeitsgeräts, die beteiligten Damen haben Extrawünsche, und von Kameraführung, Regie, Schnitt und Filmvertrieb hat selbstredend niemand eine Ahnung. Dafür glauben alle fest an ihre künstlerische Mission (die sich auch beinahe erfüllt). Und daran, dass sie sich über kurz oder lang wieder gegenseitig abziehen werden. Da sind einfach noch zu viele alte Rechnungen offen. So sieht es für die Trainspotter ein Jahrzehnt später aus: Nichts dazugelernt.

Diese Typen werden nie modern genug werden fürs moderne Leben, genau deshalb sind sie ja so interessant. Sie müssen einfach weiterleben. Der mitunter hysterisch komische Plot schreit wieder nach einer Verfilmung, auch wenn Welsh schwört, daran nie gedacht zu haben - und es damit eh Probleme zu geben scheint. Allerdings weniger wegen der expliziten Natur des Beschriebenen.

McGregor der Zögerer

Ewan McGregor sperrt sich offenbar als einziger der ehemaligen Beteiligten dagegen, mitzuspielen. Obwohl Doyle und Hodge bereits eine Drehbuchadaption von "Porno" verfasst haben. Tatsächlich zeugt nicht nur McGregors Weigerung davon, dass es lustige Parallelen gibt zwischen den Schicksalen der Schauspieler der "Trainspotting"-Verfilmung und denen der Romanfiguren: Rent Boy, stellt sich in "Porno" heraus, hat sich vor seinen einstigen Kumpanen in Amsterdam versteckt. Aus ihm ist mittlerweile ein erfolgreicher Club-Betreiber geworden - McGregor hat seit "Trainspotting" als einziger seine Arbeitszeit größtenteils in Hollywood verbracht, allerdings in Filmen, in denen er vor allem mit Singen, Tanzen oder Schmachten beschäftigt war. Oder noch schlimmer: als Obi-Wan in den Star-Wars-Filmen. Lächerlich.

Jonny Lee Miller, dessen Sick Boy sich erfolglos als Teilzeit-Lude in London durchgeschlagen hat, bis er doch wieder nach Leith zurückkehrt, wartet nach einem Kurzausflug nach Hollywood und einer ebenso kurzen Ehe mit Angelina Jolie, zurück in London, auf bessere Tage. Ewen Bremmer alias Spud, der in "Porno" weiter verzweifelt sein Leben zu ordnen versucht, ist nie über Nebenrollen in kleinen Filmen hinausgekommen. Allein Robert Carlyle ist es ganz anders ergangen als Begbie, der von "Trainspotting" bis "Porno" die ganze Zeit im Knast saß: Carlyle hatte mit "The Full Monty" einen Welterfolg und beendete in "The World Is Not Enough" als Bösewicht die Krise der Bond-Fieslinge.

Und Irvine Welsh? Nun, der ist von Leith über London, Amsterdam und Chicago nach San Francisco geraten, schrieb ausgerechnet für den konservativen Daily Telegraph Anti-Bush-Kolumnen und denkt vermutlich bereits darüber nach, was Rent Boy, Sick Boy, Spud und Begbie wohl in den nächsten zehn Jahren so wiederfahren könnte. Wir warten.

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