Rock im Park:"Urlaub vom Deutschsein"

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60.000 Menschen sind am Wochenende nach Nürnberg zu Rock im Park gekommen - mehr als je zuvor. Die Besucher feierten junge, aber auch betagtere Bands und riefen wieder einmal nach Festival-Legende Helga.

Stefan Fößel

Was Helga heute macht, weiß keiner. Helga ist zur geheimnisumwitterten Rock-im-Park-Legende geworden, seit vor Jahren ihr Freund auf dem nächtlichen Zeltplatz nach Helga suchte und immer wieder ihren Namen rief.

Bald schallte der Ruf aus allen Ecken zurück. So ging es dann Jahr für Jahr weiter, seither vergeht keine Nacht bei Rock im Park ohne unzählige "Helga"-Rufe.

Es geht eben nicht nur um die Musik bei diesem Festival, Rock im Park ist auch ein gigantischer Spiel- und Campingplatz, auf dem die Festivalbesucher ihren ganz eigenen Sinn für Humor entwickelt haben. Nicht selten alkoholinspiriert.

Auch Johannes aus Neustadt an der Aisch kann nicht mehr als nüchtern gelten, als er am Freitagmittag mit vier Freunden vor seinem Campingbus sitzt. Der 20-Jährige hat sich eine futuristische Kopfbedeckung aus Stanniolpapier gebastelt und gibt sich als Hellseher aus. Für ein Bier gibt es die Zukunft, für zwei Bier garantiert eine gute.

Als ein Platzregen einsetzt, kommt die große Stunde der Gummistiefelträger, die munter durch die Pfützen stapfen. Bunt bemalte Stiefel sind zumindest am Freitag die praktischsten Rock im Park-Accessoires.

Die Ärzte verbinden

Auf der "Alternastage", der zweitgrößten Bühne, singt Colbie Caillat gegen den Regen an, während auf der Hauptbühne Good Charlotte die Menge zum Hüpfen bringt. Richtig hart und laut wird es bei Korn, Sänger Jonathan Davis greift sogar zum Dudelsack.

60.000 Festivalbesucher sind am Wochenende nach Nürnberg gekommen, mehr als je zuvor. Alles bleibt friedlich, so die Polizeiangaben, auch am Samstag, als nebenan rund 43.000 Fußball-Fans zum Länderspiel Deutschland gegen San Marino strömten.

Vor Beginn des Festes erlitten allerdings zwei junge Männer beim Versuch, einen Grill anzuzünden, schwere Verbrennungen. Einer von ihnen sei weiterhin in Lebensgefahr, hieß es am Sonntag.

Die Fans wollen vor allem die Stars der alternativen Rockszene zu erleben. Die Ärzte verbinden die Festivalgenerationen, 16-Jährige und über 30-Jährige. Letztere sind seit Jahren eher in der Minderzahl und so ist ein leises Raunen zu vernehmen, als Bela B. und Farin Urlaub erklären, dass sie stramm auf die fünfzig" zugehen.

Die selbsternannten "Bravopunks" greifen tief in die Kiste ihrer Bandgeschichte. So gibt es etwa "Erna P." aus dem Jahr 1984, als viele der Zuschauer noch nicht geboren waren. Etwas pikant gerät die Lichtshow beim Anti-Nazi-Song "Schrei nach Liebe", Hakenkreuze leuchten auf am früheren Schauplatz der NS-Reichsparteitage.

Beeindruckende Schmutzmengen

Die Fans stört es nicht, überhaupt ist die Geschichte des Geländes kaum ein Thema für die Parkrocker vom Zeppelinfeld. Nur ein Punk mit Irokesenschnitt feixt: "Adolf würde sich im Grab umdrehen."

Das Ende des Auftritts kommt etwas erzwungen: Die vorherigen Bands hatten zu spät begonnen, und da die Veranstalter alle Fans zum Auftritt von "Wir sind Helden" lotsen wollten, dürfen die Ärzte ihren großen Klassiker "Zu spät" nicht zu Ende spielen. Zu spät eben.

Ein umjubelter Auftritt ist der von Headliner Linkin Park, die alle Hits spielen und nicht zuletzt auch bei den leisen Tönen überzeugen. David aus Prag ist nicht nur vom Konzert beeindruckt, sondern auch von den Schmutzmengen: "Ich dachte immer, Deutschen sind reinlich." Er zeigt auf seinen Zeltplatz, wo sich der Müll stapelt. "Aber hier machen sie wohl Urlaub vom Deutschsein."

© SZ vom 04.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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