Rock am Ring und im Park:Herr der 160.000 Schlammkrieger

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"Ich bin Dienstleister": Konzert-Veranstalter André Lieberberg spricht über die Gemeinsamkeiten von Rock am Ring und dem FC Bayern, Drogen-Exzesse und Nachwuchs bei Metallica.

Frederic Huwendiek

André Lieberberg, Sohn des Konzertveranstalters Marek Lieberberg, führt seit sechs Jahren die Zwillingsfestivals Rock am Ring und Rock im Park.

Herr über 160.000 Feierfreunde: André Lieberberg. (Foto: Foto: MLK)

sueddeutsche.de: Herzlichen Glückwunsch, Herr Lieberberg: Sie sind für die Wochenend-Bespaßung von 160.000 Menschen verantwortlich.

André Lieberberg: Vielen Dank. Es gibt unangenehmere Aufgaben. (lacht)

sueddeutsche.de: Rock am Ring und Rock im Park sind zum ersten Mal bereits im Vorfeld ausverkauft. Liegt das am vielfach beschworenen Live-Boom?

Lieberberg: Das hat aus meiner Sicht kaum etwas mit dem Live-Boom, sondern vielmehr mit der Verjüngung unseres Programms in den letzten sechs Jahren zu tun. Seitdem setzten wir noch verstärkter auf alternative Rock-, Indie- und Elektro-Bands - und weniger auf klassische Hardrock-Acts aus den Achtzigern. Außerdem haben wir viel in die Infrastruktur investiert, damit sich die 85.000 am Nürburgring während der drei Tage noch wohler fühlen können.

sueddeutsche.de: Gibt es überhaupt einen Boom im Konzertgeschäft? Stecken also die Fans ihr Geld, das sie durch illegale Downloads sparen, jetzt wirklich in unkopierbare Live-Erlebnisse?

Lieberberg: Ich denke, dass Konzertbesuche heute eine deutlich größere Rolle in der Freizeitgestaltung vieler Leute spielen als früher. Man muss kein absoluter Fan mehr sein und alle Werke besitzen, um eine Band live sehen zu wollen. Das Erlebnis Konzert an sich hat eine Aufwertung erfahren - auch durch das Internet. Legale und illegale Downloads haben bewirkt, dass sich der Musikgeschmack der Leute weiter diversifizieren konnte. Man hört heute neben Metallica eben auch die Babyshambles oder Kate Nash...

sueddeutsche.de: ... die allesamt bei Rock am Ring spielen. Verlangen die Bands denn mittlerweile höhere Gagen, um die Verluste bei den Plattenverkäufen auszugleichen?

Lieberberg: Das kommt durchaus vor. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es immer noch Bands und Künstler gibt, die in Deutschland nach wie vor 500.000 bis eine Million Platten verkaufen. Trotz Downloads und stetig schwindenden physischen Verkäufen bleibt es für uns momentan ein wichtiger Indikator, wie viele CDs eine Band absetzt.

sueddeutsche.de: Auch die gebeutelten Plattenfirmen wollen jetzt ein größeres Stück vom Live-Kuchen.

Lieberberg: Auch diese Entwicklung wird sich mittelfristig fortsetzen. Da wir als Veranstalter mit den meisten Labels freundschaftlich verbunden sind, kann mich das aber nicht schrecken. Ich kann mir unter Umständen eine weitergehende Zusammenarbeit mit den Plattenfirmen sogar als ganz spannend vorstellen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass diese so genannten 360-Grad-Deals...

sueddeutsche.de: ... Rundumverträge wie ihn jüngst etwa Madonna mit dem Konzertveranstalter Live Nation abgeschlossen hat ...

Lieberberg: ... schon länger Gang und Gäbe sind. Auch in Deutschland setzen Bands wie die Toten Hosen oder die Ärzte auf dieses Modell, allerdings liegen die kompletten Rechte bei der Band und ihrem Management, nicht bei einem Major Label. Ich glaube nicht, dass in Zukunft jeder Künstler seine komplette Verwertung an einen Konzern abtritt, sondern dass Musiker auch zukünftig an mehrere Firmen andocken werden um ihre Verwertung in den Bereichen Live, Recording, Merchandising, Publishing et cetera zu optimieren.

Warum die Verpflichtung von Metallica beinahe am Nachwuchs gescheitert wäre, lesen Sie auf der nächsten Seite.

sueddeutsche.de: Zurück zu den Festivals. Wie muss man sich die Organisation eines solchen Massenauflaufs vorstellen?

160.000 Menschen kommen in diesem Jahr zu den Festivals Rock am Ring und Rock im Park. (Foto: Foto: MLK)

Lieberberg: Langwierig. Wir machen uns schon jetzt Gedanken über die Headliner für das nächste Jahr. Gerade die Tourpläne der großen Acts sind ja sehr langfristig angelegt. Etwa neun Monate vor Veranstaltungsbeginn wird es dann konkret: Zuerst verhandeln wir mit den Hauptbands, dann versuchen wir das Programm um diese zu buchen. Unser Ziel muss sein, drei bis vier Monate vor Beginn das Line Up komplett stehen zu haben.

sueddeutsche.de: Ihr Vater, Marek Lieberberg, hat 1972 einen Vertrag mit Deep Purple auf der Papiertischdecke eines Frankfurter Gartenlokals abgeschlossen. Diese Zeiten sind wohl vorbei.

Lieberberg: Ja, leider. (lacht) Allerdings waren auch schon früher solche Abschlüsse eher Ausnahme als Regel. Auch damals waren Agent und Manager die Ansprechpartner. Professionalität und finanzielles Verständnis sind entscheidend in unserer Branche, auch wenn unsere persönlichen Kontakte zu den Künstlern ein Faustpfand sind, ohne das wir sicher nicht so erfolgreich arbeiten könnten.

sueddeutsche.de: Das glamouröse Konzertbusiness - ein Geschäft wie jedes andere?

Lieberberg: Selbstverständlich. Man muss im Gegenteil sogar aufpassen, dass man nicht dem Trugschluss erliegt, dass das Licht eines Künstlers auf einen selbst abstrahlt. Auch wenn wir mit kreativen Menschen zusammenarbeiten, sind wir Dienstleister.

sueddeutsche.de: Rock'n'Roll-Dienstleister, die nur auf Zahlen schauen?

Lieberberg: Jein. Auch wenn Verkaufszahlen wichtig sind, bleibt der eigene Geschmack das wichtigste Kriterium in diesem Geschäft. Wer kein Gespür dafür hat, welche Künstler ankommen, dem nützen Zahlen wenig.

sueddeutsche.de: Wie eng darf das Verhältnis zwischen Veranstalter und Künstlern sein?

Lieberberg: Eine gewisse Distanz muss immer gegeben sein, sonst kann man nicht professionell miteinander arbeiten. Wenn man ein enges emotionales Verhältnis hat, und eine Tour schief läuft, führt das nur zu unnötigen Dissonanzen. Natürlich gibt es auch Bands wie Mando Diao, mit denen mich eine enge Freundschaft verbindet und ich deshalb eine persönliche Motivation habe, die Band voranzubringen. Eine Anbiederung an die Künstler hilft aber niemandem.

sueddeutsche.de: Sie haben mit 26 Jahren die Leitung der größten deutschen Festivals übernommen - eine große Verantwortung: Wichtige Bands können kurzfristig absagen, Menschen zu Schaden kommen. Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Lieberberg: Es braucht schon eine gewisse Gelassenheit. In punkto Sicherheit beruhigt es natürlich sehr, wenn man weiß, dass eigentlich für alles vorgesorgt ist. Die Sicherheit unserer Gäste steht immer an erster Stelle und bisher ist in den 20 Jahren zum Glück auch noch nie etwas Ernstzunehmendes auf dem Festivalgelände passiert. Dieses Höchstmaß an Sicherheit lässt mich trotz der großen Verantwortung ruhig schlafen.

sueddeutsche.de: Die diesjährige Verpflichtung von Metallica dürfte aber wohl für ein paar Alpträume gesorgt haben.

Lieberberg: Eigentlich war eine Bestätigung nur noch Formsache, Metallica wollte, wir wollten. Doch dann kam die Schwangerschaft der Frau eines der Bandmitglieder dazwischen. Ein Arzt hatte den Geburtstermin nach vorne korrigiert - und damit wäre der Auftritt bei uns geplatzt. Glücklicherweise hat sich der Arzt geirrt, und ein anderes Festival musste dementsprechend auf Metallica verzichten.

sueddeutsche.de: Wie viele Bands kommen überhaupt als Headliner bei Rock am Ring in Frage?

Lieberberg: Die Anzahl ist sicherlich begrenzt. Trotzdem halte ich nichts von der These vom Aussterben der Stadion-Acts, lediglich die Entwicklung eines Acts bis hin zu dieser Zugkraft ist sicherlich langwieriger und schwieriger als noch zu Beginn des Rock'n'Roll.

sueddeutsche.de: Ihre beiden Hauptbands sind schon lange im Geschäft. Metallica spielen in diesem Jahr zum vierten, die Toten Hosen bereits zum fünften Mal am Ring.

Lieberberg: Sicher, Metallica und die Hosen sind etablierte Bands, die seit vielen Jahren sehr erfolgreich sind. Ich sehe aber nicht die Gefahr, dass uns die großen Bands wegsterben. Es kommen einige junge Gruppen nach, die in kurzer Zeit auch die Zugkraft und die Fanbasis haben werden, um Headliner bei uns werden zu können. Beispiele wären etwa die Killers, die in England bereits Stadien füllen, Placebo, oder die Beatsteaks.

Was Rock am Ring mit dem FC Bayern München gemeinsam hat, verrät André Lieberberg auf der nächsten Seite

sueddeutsche.de: Einige Kritiker meinen, Rock am Ring sei in der Festivallandschaft so etwas wie der FC Bayern München im Fußball: Erfolgreich, aber ohne Seele.

"Die Seele von Rock am Ring sind die 80.000 Fans", sagt Veranstalter Lieberberg. (Foto: Foto: MLK)

Lieberberg: Das sehe ich natürlich anders. Gerade die jahrelang gewachsene, enge emotionale Bindung zu unseren Fans macht dieses Festival so besonders. Die Seele von Rock am Ring sind die 80.000 Fans, die diese Veranstaltung mit Leben füllen. Wir veranstalten seit zwanzig Jahren dieses Festival als Familienunternehmen und es gibt wohl kein Festival außer vielleicht das Glastonbury in England, bei dem die Beziehung zwischen Publikum und Veranstalter so eng ist. Jeden Sonntag machen mein Vater und ich eine Begehung des Festivalgeländes und nehmen Wünsche und Anregungen von den Besuchern entgegen. Im letzten Jahr haben wir zum Beispiel eine Gruppe Camper für ihre vorbildliche Mülltrennung mit Freikarten für dieses Jahr belohnt.

sueddeutsche.de: Was begeistert Sie persönlich an dem Phänomen Rockfestival?

Lieberberg: Ein einzelnes Konzert hat einfach nicht diese Spannungssteigerung, die sich aus dem Line-Up eines Festivals ergibt. Zu sehen, dass 80.000 Leute drei Tage friedlich miteinander feiern und sich auch beim Springen und Moshen immer wieder aufhelfen, begeistert mich. Es geht dabei nicht um negative Aggression, sondern um Aggressionsbewältigung im positiven Sinne. All das wurde mir bewusst bei einem unfassbar intensiven Auftritt von Rage Against The Machine bei Rock am Ring 1994. Seitdem habe ich Feuer gefangen.

sueddeutsche.de: Lassen Sie uns zum Abschluss noch mit einigen Klischees aufräumen. Wie divenhaft sind Rockmusiker?

Lieberberg: Kommt ganz darauf an. Sicher gibt es immer wieder die Forderungen im Bereich Catering die über das normale Maß hinaus gehen. Ansonsten muss ich Sie aber enttäuschen: Mittlerweile ist das Konzertgeschäft auch durch eine zunehmende Computerisierung und das Internet sehr stark bürokratisiert worden. Die Bedürfnisse der Bands werden en detail weit im Vorfeld geklärt und deswegen gibt es da keine großen Überraschungen mehr. Außerdem habe ich das Gefühl, dass die Künstler unsere Arbeit hier sehr wertschätzen und sich mit Forderungen zurück halten.

sueddeutsche.de: Desillusionierend. Trotzdem noch ein letztes Klischee: Mondäne Hotelparties, Drogen, Groupies.

Lieberberg: Ich für meinen Teil habe in den letzten Jahren wenig von exzessiven Drogen-Partys mitbekommen. Das orgiastische Rock-Miteinander gibt es nur noch sehr selten. Das Klischee von Sex, Drugs und Rock'n'Roll ist sowieso nicht mehr so stimmig wie vielleicht noch in den 1980ern - auch wenn einem so fragilen Charakter wie Pete Doherty von den Babyshambles so viel öffentliche Aufmerksamkeit zukommt.

sueddeutsche.de: Kommen Sie, Herr Lieberberg!

Lieberberg: Lassen Sie es mich so sagen: Es soll durchaus vorgekommen sein, dass eine Band bei Rock am Ring ihren Auftritt gebührend gefeiert hat - bis weit nach Veranstaltungsende.

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