Reporter ohne Grenzen:Das Internet als Medium der Überwachung

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Reporter ohne Grenzen erhalten den Roland Berger Preis: Astrid Frohloff, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion, spricht über die Kehrseite der Paradiese.

Christopher Keil

SZ: Frau Frohloff, Reporter ohne Grenzen (ROG) ist auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen. 2008 standen der Organisation weltweit 4,5 Millionen Euro zur Verfügung. Nun kommen 900 000 Euro aus dem Roland Berger Preis. Was werden Sie damit machen?

Astrid Frohloff nahm als deutsche Vertreterin der Reporter ohne Grenzen den Roland-Berger-Preis entgegen. (Foto: Foto: dpa)

Astrid Frohloff: Wir wollen drei wichtige Bereiche ausbauen: Erstens müssen Journalisten, deren Leben akut bedroht ist, besser geschützt werden, zum Beispiel, indem wir ihnen bei der Ausreise und bei Asylanträgen schnell, unbürokratisch helfen. Dann möchten wir die Arbeit unserer Fact Finding Missions intensivieren, also mehr Untersuchungsteams entsenden, um gravierende Verstöße gegen die Pressefreiheit vor Ort zu recherchieren und zu dokumentieren. Und schließlich brauchen wir noch mehr Öffentlichkeit für unsere Fälle, um Druck auf autoritäre Regime auszuüben.

SZ: Die Gründer von Reporters sans frontières bezogen sich 1985 auf territoriale Grenzen. Wo verlaufen die Grenzen heute?

Frohloff: In jede Richtung. Das Internet etwa hat sich zu einem Medium der Kontrolle, der Manipulation durch falsche Fakten entwickelt. Es wird von totalitären Systemen zunehmend überprüft und überwacht. Wir sind sehr beunruhigt über die wachsende Anzahl von Cyber-Dissidenten, die verhaftet werden.

SZ: Ist das Internet nicht das ideale Medium, um grenzenlos Gehör zu finden?

Frohloff: Das ist es. Für Oppositionelle ist es häufig die einzige Plattform, um kritische Inhalte verbreiten zu können. Wenn Zeitungen oder Sender verboten werden, weichen Regimegegner ins Netz aus und gründen dort Online-Zeitungen, wie vor ein paar Jahren auf den Malediven, wo drei Online-Redakteure daraufhin verhaftet wurden.

SZ: Auf den Malediven? Haben Sie zum Urlaubsboykott aufgerufen?

Frohloff: Nein, aber eine Kampagne gestartet: "Die Kehrseite der Paradiese".

SZ: Welche Länder sind führende Internet-Zensoren?

Frohloff: China hat eine Behörde mit beinahe 40.000 Mitarbeitern eingerichtet. Die tun nichts anderes, als Internetseiten zu überwachen, sie zu sperren oder Internetzeitungen zu verbieten. Wir wissen, dass diese Behörde Hackerangriffe bezahlt und Filtersoftware einsetzt, um bestimmte Begriffe auszulöschen. "Platz des Himmlischen Friedens" kann man in China nicht mehr googeln. Derzeit sind 67 Personen wegen ihrer Online-Aktivitäten weltweit hinter Gittern.

SZ: War es ein Fehler, die Olympischen Spiele an China zu vergeben?

Frohloff: Nein. Ausgrenzung wäre der falsche Weg. Immerhin war das Thema Presse- und Meinungsfreiheit das große begleitende Thema bei Olympia. Und dazu hat, denke ich, Reporter ohne Grenzen seinen Teil beigetragen.

SZ: Wurden 2008 mehr Journalisten getötet als vor zehn Jahren?

Frohloff: Wir haben vor allem 2007 einen enormen Anstieg der Opferzahl verzeichnet, 87 Reporter mussten damals ihr Leben lassen.

SZ: Kriege erhöhen die Todesquote - glauben Sie, dass der wirtschaftliche Druck, der nun die Industrieländer der westlichen Wertegemeinschaft erfasst hat, auf der Pressefreiheit lasten wird?

Frohloff: Wir haben durchaus die Befürchtung, dass sich wirtschaftlicher Druck negativ auf Presse- und Meinungsfreiheit auswirkt. Wir registrieren aber noch ein ganz anderes Phänomen: In bürgerkriegsähnlichen Regionen wie dem Irak, Äthiopien oder Somalia müssen sich Journalisten immer öfter auf die Flucht begeben. Reporter werden zur Zielscheibe der verfeindeten Gruppen, weil sich der Hass plötzlich gegen sie als Berichterstatter richtet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob Journalisten in der islamischen Welt stärker bedroht sind.

SZ: Sind Journalisten in der islamischen Welt stärker bedroht?

Frohloff: In islamisch ausgerichteten Ländern gibt es mehr Tabus für Journalisten als anderswo: Themen wie Frauenrechte, Koranschulen oder die Religion. Genauso heikel ist es aber auch, über Korruption, Machtmissbrauch oder politische Reformen zu berichten.

SZ: Haben Sie festgestellt, dass die Pressefreiheit in Demokratien nach dem 11. September 2001 zunehmend von Innen bedroht wird, von Politikern, die mit Hilfe großzügiger Überwachungspraktiken ein Stück Unabhängigkeit des Journalismus einkassieren wollen? Stichwort Quellenschutz.

Frohloff: Ja, solche Tendenzen sehen wir mit Besorgnis. Immer häufiger wird das Argument Sicherheit gegen Pressefreiheit ausgespielt. Das äußert sich in Telefon- oder E-Mail-Überwachung und in Vorratsdatenspeicherung. Auch der für den Journalismus unverzichtbare Quellenschutz wird immer stärker umgangen.

SZ: In Deutschland gibt es ungefähr 48.300 Personen, die hauptberuflich in Medien beschäftigt sind. Es gibt etwa 380 Tageszeitungen und 1300 Publikumszeitschriften. Es gibt aber nur etwas mehr als 600 Mitglieder der deutschen ROG-Sektion. Warum ist Pressefreiheit, an sich das höchste Gut der Journalisten, den meisten so wenig wert?

Frohloff: Ich antworte mal so: Wenn wir uns für Pressefreiheit in Nordkorea oder auf Kuba einsetzen, sollte das auch die Journalisten in Deutschland berühren. Es geht ja nicht nur darum, die Arbeitsbedingungen der exotischen Kollegen in den fernen Ländern zu verbessern. Wenn auf Kuba niemand frei berichten darf, haben auch wir kein klares Bild von dem, was dort passiert. Ich erfahre dann nicht, wie schlimm die Zustände wirklich sind, wie sehr die Korruption die Gesellschaft zerstört. Vor zwei Jahren haben wir ein Kuratorium geschaffen, in dem nun die Chefredakteure, Intendanten und Leitartikler der größten deutschen Medien versammelt sind.

SZ: Das hilft?

Frohloff: Uns hilft das sehr. Wir haben dadurch starke Stimmen bekommen, die unsere Interessen nach außen vertreten. So unterstützt man uns bei unserer neuen Kampagne "Ohne Pressefreiheit bleiben Opfer unsichtbar", die aus Anlass des 15-jährigen Bestehens der deutschen Sektion entwickelt wurde. Damit wollen wir darauf hinweisen, dass Pressefreiheit jeden etwas angeht.

Astrid Frohloff arbeitete von 1994 an fünf Jahre als Fernsehkorrespondentin im Nahen Osten - zunächst parallel für den öffentlich-rechtlichen (NDR) und den privaten Rundfunk (Spiegel TV). Später wechselte sie zum ehemaligen Kirch-Sender Sat 1 und wurde Studioleiterin in Jerusalem. 1999 übernahm sie die Sat-1-News um 18.30 Uhr. Damals trat die Moderatorin auch der Organisation Reporter ohne Grenzen bei. Seit 2003 ist Frohloff Vorstandssprecherin der deutschen Sektion, die 2008 auf 440.000 Euro Etat zurückgreifen konnte. Astrid Frohloff, 46, wuchs in Niedersachsen auf und studierte in Hannover Politik, Literatur, Soziologie, anschließend Journalistik. Derzeit leitet sie den RBB-Kulturtalk Im Palais und präsentiert in Vertretung der Kollegin Silke Böschen das ARD-Politmagazin Kontraste. Frohloff lebt in Berlin.

© SZ vom 26.3.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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