Rekonstruktion:Landesmeister

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Ob sie das noch können? Rosenfenster in Notre-Dame vor dem Brand. (Foto: AFP)

Ein Land besinnt sich seiner Handwerker: Besuch in der wichtigsten Fachschule für Glaskunst in Frankreich, wo plötzlich auch der Bildungsminister auftaucht.

Von Nadia Pantel

Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Dienstag eine Landsleute ein "Volk der Erbauer" nannte, war das in erster Linie eine Metapher für "jetzt bitte alle gemeinsam nach vorne schauen". Notre-Dame sollte sich von der Verwundeten in die Wiederauferstehende verwandeln und Frankreich von einem Land der Zerstrittenen in eine Nation der Zuversichtlichen. Entsprechend optimistisch die Zielmarke, die Macron an diesem Abend setzte: Innerhalb von fünf Jahren soll die Kathedrale wiederaufgebaut werden.

Die Bedenkenträger waren sofort zur Stelle. Der Präsident des Bauverbandes für historische Gebäude, Frédéric Letoffé, erklärte, dass es gar nicht genug fähige Handwerker gebe, um so ein Riesenvorhaben schnell umzusetzen. So klein sich der Einzelne vor dem Hauptportal der Kathedrale fühlt, so unfähig wirkt der Zeitgenosse vor der Leistung der Bauherren des Mittelalters. Die wackeren Türme, in denen trotz Feuer und Löschwasser noch jeder Stein an seinem Platz liegt, könnte man sie überhaupt noch bauen?

Im Lycée Lucas de Nehou sollen vier Tage nach dem Brand Wunsch und Wirklichkeit miteinander bekannt gemacht werden. Hier, nur einen 20-minütigen Spaziergang von Notre-Dame entfernt, steht Frankreichs wichtigste Fachschule für Glaskunst. Und hier fährt um 9 Uhr morgens Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer vor, spricht mit Lehrern und Schülern und stellt sich schließlich vor die Fernsehkameras: "Der Reichtum unseres Land liegt nicht nur in unseren historischen Bauwerken, sondern auch darin, dass wir immer noch über all das Können verfügen, dass es braucht, um diese Bauwerke zu errichten." Die jungen Menschen, die heute Steinmetze werden oder die lernen, wie man Kirchenfenster restauriert, würden "prestigereiche, fesselnde Berufe" ergreifen, sagt der Minister. Doch gleichzeitig muss er zugeben, dass sich das Prestige eines Glasmalers nicht jedem zu erschließen scheint. Vor 20 Jahren musste man am Lycée noch ein aufwendiges Aufnahmeverfahren durchlaufen, heute fehlen die Bewerber.

In den Werkstätten, in denen aus Glas Skulpturen, Lampen und Fenster hergestellt werden, tragen die Lehrer weiße Kittel und die Schüler Blaumänner. Eine junge Frau fügt bunte Glasdreiecke in einen Bleirahmen, eine andere bemisst die Länge von zwei Eichhörnchen, die mit feinem Pinsel auf eine Fensterscheibe gemalt wurden, die zu Bruch ging. Was der Brand von Notre-Dame für sie bedeutet, will der Minister wissen, der ihnen bei der Arbeit zuschaut. Die meisten sind zu schüchtern für eine lange Antwort und sagen, es sei alles schrecklich traurig. Tatsächlich herrschen in der Schule widersprüchliche Gefühle. Claudine Nika ist Lehrerin für Glasdesign und beschreibt die Gespräche mit ihrer Klasse: "Einerseits sind viele erschüttert, dass die Arbeit unserer Vorfahren zerstört wurde. Gleichzeitig sehen sie, dass der Wiederaufbau eine Chance für sie und unsere Schule ist." Vielen Handwerkern, ob in den historischen oder modernen Gewerken, fehlt die Anerkennung. Nun wird über ihr Können und ihre Ausbildung im Fernsehen berichtet und gestritten. Nun besucht sie ein Minister.

Jeder, der in Frankreich das Ziel hat, beruflich Kirchenfenster zu restaurieren, wird früher oder später einen Kurs bei Aurélie Règue besuchen. Sie unterrichtet Glasmalerei am Lycée Lucas de Nehou und hatte für die kommende Woche mit einer ihrer drei Klassen einen Ausflug nach Notre-Dame geplant, für die 15-Jährigen, die Jüngsten. "Viele waren noch nie in Notre-Dame, obwohl es so nah ist", erzählt Règue. Manche ihrer Schüler sind begeistert von dem, was sie tun, andere wurden von ihren Eltern oder Berufsberatern hergeschickt und finden sich noch nicht recht wieder in dieser Welt aus Heiligendarstellungen und Bibelszenen. Mit denen spielt Règue Computerspiele. "Man kann alles auf Glas übertragen", sagt Règue, aktuell malen sie Szenen aus dem Nintendo-Klassiker Zelda. Das Beschwören der Erhabenheit der französischen Kultur durch Politiker aller Parteien täuscht manchmal darüber hinweg, wie fern Geschichte und Kunst vielen Franzosen sind.

Auch Eléonie Vincenot-Jaulme muss sich ihrem Traumberuf noch annähern. Seit sie elf Jahre alt ist, will sie Kirchenfenster malen, sagt sie. Die Farben und das Licht haben sie schon als Mädchen überwältigt. Heute ist sie 18 und seit zwei Jahren Schülerin am Lycée Lucas de Nehou. Doch weder Vincenot-Jaulme noch ihre Eltern sind religiös. Jesus erkennt sie, klar, Maria auch, doch dann wird es schon schwieriger, all die Figuren auseinander zu halten, die bis hoch in die Kirchengewölbe hinein einander krönen, foltern oder anbeten.

Seit Montag hat Vincenot-Jaulme ein Ziel, für das sie all diese Dinge lernen will. Sie möchte zu denen gehören, die Notre-Dame wiederaufbauen. "Ein klein wenig" stolz sei sie auf diese Perspektive, sagt sie, traurig ist sie dennoch. Sie ist im fünften Arrondissement von Paris aufgewachsen, gleich neben dem Lycée, von der Wohnung ihrer Familie aus blickt sie auf Notre-Dame. Montagnacht stand sie am Fenster, hat gesehen, wie die Flammen über Stunden kaum kleiner wurden, wie der Dachreiter in die Tiefe stürzte. "Ich habe ehrlich gesagt geweint", sagt sie. Notre-Dame ist für sie kein Nationalheiligtum, sondern eine Begleiterin.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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