Regisseur:"Ich hab' die deutschen Türken nicht ins Kino bewegt - das bricht mir das Herz"

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Regisseur Fatih Akin hat Skandalstories rund um "Gegen die Wand" überlebt - nun geht er in Istanbul auf Ich-Suche.

Von Christiane Langrock-Kögel und Hans-Jürgen Jakobs

Er lief in Jeans und Kapuzenpulli auf die Bühne, die schulterlangen Haare mittig gescheitelt und blond gesträhnt. Fatih Akin trat ans Mikrofon, die Wangen rund, und formte mit zwei Fingern das Victory-Zeichen. "So sehen Gewinner aus", rief er. Das war Mitte Februar in Berlin, auf der Gala der Berlinale.

Mit "Gegen die Wand" gewann Faith Akin (re., hier mit Schauspielern) den Goldenen Bären. Doch auf die Seite 1 der Bild-Zeitung brachte ihn erst ein Pornofilm. (Foto: Foto: Reuters)

Regisseur Akin hatte für Gegen die Wand den Goldenen Bären bekommen. Es war der beste Film des Festivals - und seit 18 Jahren wieder eine Berlinale-Auszeichnung für eine Produktion aus Deutschland. Acht Monate und viele Schlagzeilen später sitzt im Büro der Firma Intervista in einem der schönen alten Fabrikkomplexe in Hamburg-Bahrenfeld ein schlanker Mann mit kurzen, etwas wild abstehenden schwarzen Haaren.

15 Kilo weniger

Im Konferenzraum schräg gegenüber schneidet er seinen neuen Film, die Musik-Dokumentation Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul, den er mit Intervista und dem NDR produziert. Nachvollziehbar, dass die Rede schnell auf Buena Vista Social Club von Wim Wenders kommt, der Ry Cooder auf kubanische Musiker treffen ließ.

Bei Akin ist es Alexander Hacke, Bassist der Band Einstürzende Neubauten, der am Bosporus auf einheimische Künstler trifft. CDs sind eingeplant. Ein kommerzieller Erfolg ist möglich.

Hauptsächlich bei den Dreharbeiten im sommerlich-heißen Istanbul hat Filmemacher Akin 15 Kilo abgenommen. Er ernährt sich jetzt bewusst. Dem Beobachter von außen kommt es so vor, als säße da einer, den der ganze Rummel um Gegen die Wand vorsichtig gemacht hat. Zurückhaltender. Vielleicht ernster.

"Du kennst die Person nicht, aber sie meint, Dich zu kennen", sagt er über die journalistischen Beobachter, die ihn umkreisen: "Vielleicht sollte ich mal einen Misserfolg machen...". Und: "Wenn man anders betrachtet wird, fängt man auch anders an zu kucken."

Kekillis Porno-Vergangenheit

Durch den Erfolg eines Film in die Öffentlichkeit katapultiert zu werden, ist eine Sache. Etwas anderes ist, wenn die Aufmerksamkeit durch eine Kampagne der Bild-Zeitung befeuert wird, die in scheinheiliger moralischer Entrüstung die Porno-Vergangenheit der Hauptdarstellerin Sibel Kekilli enthüllte.

Sündige Sibel, arme Sibel - so der Tenor. Am vergangenen Dienstag notierten die Boulevardschreiber wieder erregt, dass Kekilli am 18. November den Bambi-Preis bekomme: Bisher hätten ja große Namen wie Maria Schell, Horst Buchholz oder Sophia Loren auf der Liste der Gewinner gestanden, "aber noch nie ein Porno-Star...". Zur Illustration durften alte Fotos dienen, als Kekilli "Dilara" war.

Fatih Akin hat sich im März sofort hinter die öffentliche Frau gestellt. Wie ein großer Bruder habe er sich gefühlt. Gemeinsam traten er und die Schauspielerin bei Reinhold Beckmann auf, dem Seelentröster. Ob der hübsche kleine Skandal - mal zynisch gefragt - nicht die beste Werbung für seinen Film gewesen sei, wurde Akin vom Stern gefragt. Niemand habe ihn gefragt, ob er so eine Werbung wolle, antwortete er.

"Gar nicht so teuer hier"

Das formuliert er auch heute noch so, beim Abendessen in einem Restaurant draußen am Hamburger Jenischpark, dessen Speisekarte er kommentiert: "Gar nicht so teuer hier." Damals, im März, schien sich Akin noch zu wundern über das Klappern und Schlagen, das sein "kleiner, schmutziger Independent-Film" auslöste - heute sagt er das nicht mehr.

Er weiß, dass die Zeit, in der er kleine Independent-Filme machte, ein und für allemal vorbei ist.

Akin, 1973 geboren in Hamburg-Altona, Sohn türkischer Einwanderer, ist eine öffentliche Figur geworden. Der Absolvent der Hamburger Hochschule für Bildende Künste hatte schon für seine Kurzfilme Sensin - Du bist es und Getürkt Preise bekommen. Es folgten die gefeierten Spielfilme Kurz und schmerzlos, Im Juli und Solino - ein beeindruckendes Œuvre für einen heute 31-Jährigen.

Auch hat er als Schauspieler in etlichen TV-Filmen mitgewirkt, zuletzt vor einigen Monaten in "Ein krasser Deal" auf dem Privatsender Pro Sieben. Solche Tätigkeiten bringen dem chronisch illiquiden Akin Geld und Verständnis für Rollen. Für die Medien aber ist er erst seit Gegen die Wand, den er mit seiner Firma Corazon koproduziert hat, eine Zielperson geworden.

Neulich, in Amerika

Neulich war er in Amerika, zum Kinostart von Gegen die Wand; und er denkt schon an Soul Kitchen, einen Film über ein Restaurant, den er zumindest produzieren will. Der Berlinale-Held ist auf drei Bühnen gleichzeitig. Was aber wird aus solch einem Leben? Wie verarbeitet man Ruhm?

Der Mann vom Kiez versucht, in seinem Stil weiter zu machen. Kommt also in Jeans und Pulli und fragt nach einer Stunde Gespräch, ob man sich nicht duzen wolle. Redet offen, benutzt auch Worte, denen er ein "'tschuldigung" nachschiebt. Er hat an diesem Abend noch einen Termin mit Til Schweiger, der ihn gebeten hat, sich seinen neuen Film doch bitte mal anzusehen.

"Wenn das für Euch okay ist, muss ich um halb zehn los", sagt Akin. Um zehn sitzt er immer noch da. Die Pressearbeit an sich nerve ihn nicht, sagt er - nur, dass es immer um dieselben Themen gehe. Akin war schon immer der Deutschtürke aus Altona, der in seinem Milieu filmte.

Auch heute noch geht es in jedem Interview um seine Herkunft. Zudem ist politische Haltung gefragt: Was hält er vom Kopftuch-Verbot? Und was vom EU-Beitritt der Türkei?

Politisches? Da ist er vorsichtiger geworden

Er sei vorsichtiger geworden bei solchen Fragen, sagt Akin. Warum solle die Meinung eines jungen Filmregisseurs in diesen Dingen so interessant sein? Eine Vorbildfunktion wollte er noch nie einnehmen. "Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, die Ungerechtigkeit in der Welt zu bekämpfen", sagt er. Um dann gleich im nächsten Satz unsicher zu werden: "Oder doch? Vielleicht ist es doch meine Aufgabe?"

Das Problem ist, dass er sich nicht einfach weiter durch seine Filme äußern kann. Dass seine Meinung nicht mehr privat ist. Sie steht am nächsten Tag in der Zeitung. Und es kommt Post eines Verlagsanwalts, wenn sich Fatih Akin gegen eine Berichterstattung wehrt, die er als "Volksverhetzung" empfindet.

Das sagte er öffentlich, als Bild sich nach Sibel Kekillis Pornos den Vorstrafen ihres Filmpartners Birol Ünel widmete. "Ich flipp' nicht gleich aus bei jeder kleinen populistischen Äußerung", sagt Akin, "aber wenn Rassismus durchscheint...".

Ein Held für drei Bühnen

Man hat den Eindruck, Fatih Akin sorge sich nun manchmal, ob ihn nicht zu viel ablenke. "Ich versuche, abzuschalten und mein Ding weiterzumachen." Die Anregungen hat er sich schon immer aus dem Lebensumfeld geholt, der Familie und den Freunden, aus Altona-Ottensen und seinem Nationalitätenmix, aus der Clubszene, in der Akin nachts als DJ unterwegs ist.

Sein Leben stellt man sich derzeit so vor: stundenlang auf einer Ledercouch sitzen und 150 Videokassetten mit Rohmaterial über Istanbuls Musikszene sichten. Abends ins Kino, einen Film sehen, später etwas trinken gehen. Viel Film, viele Freunde, viel Altona.

Aber das sind natürlich Klischees, die zum Etikett vom Milieu-Menschen Akin passen, dessen Filme alle irgendwie mit dem Thema Immigration zu tun haben. Ein Filmkritiker hat ihm empfohlen, sich einen neuen Stoff zu suchen. Akin sieht das anders. "Immigrantenfilme mach' ich nicht, sondern persönliche Filme.

Und die erzählen von dem, was ich am besten kenne. Ein Image, der Wunsch nach Einordnung kommt immer von außen, von den Medien." Tatsächlich scheinen seine Filme eindeutig zweideutig festgelegt zu sein: Ein Mensch zwischen zwei Kulturen macht Filme zwischen zwei Kulturen. Spricht er über Crossing the Bridge - The Sounds of Istanbul, erklärt er selbst den dual use: "Mein Blick auf Istanbul hat etwas Touristisches, ist aber auch gleichzeitig der von einem, dessen zweite Heimat diese Stadt ist."

Mit jedem Film der Türkei näher

Mit jedem Film hat sich Akin der Türkei stärker angenähert: Spurensuche im Land seiner Eltern. Er fühlte sich im Sommer sehr wohl während der Dreharbeiten im früheren Palasthotel Londres mit seinem morbiden Charme. In Crossing the Bridge zeigt er seine musikalischen Idole, und ist stolz darauf, eine türkische Starsängerin wie Sezen Aksu porträtieren zu dürfen, die sich sonst den Medien entzieht.

Die Paparazzi-Kultur sei in der Türkei noch viel aggressiver als in Deutschland, erzählt Akin. Ihn selbst verschonen sie. Für die Türken ist er einer, der es im großen Deutschland geschafft hat. Dessen Gegen die Wand wurde dort nicht als Skandalwerk verrissen.

Es ist gar nicht so einfach, sein Ding weiterzumachen und den Ansturm von außen an sich abprallen zu lassen, wenn man auf der Berlinale gewonnen hat und so viele politische Diskussionen überstehen muss. Neulich morgens, auf dem Weg vom Bäcker zurück zu seiner Wohnung, begann eine Gruppe türkischer Jungs, seinen Namen zu skandieren, so wie es Fußballfans tun. "Fatih! Fatih! Fatih!" Es irritierte ihn.

"Das bricht mir jedes Mal das Herz"

Wird er da nicht irgendwie in die Verantwortung genommen? Sieht man ihn doch als eine Art Mittler zwischen den Welten, zwischen Türken, Deutschtürken und Deutschen? Auch das wäre eine Rolle, die mit dem Ruhm kam. Bislang, sagt Fatih Akin, hätten die Türken großes Desinteresse am Leben der Deutschtürken gezeigt. "Und ich hab' die deutschen Türken nicht ins Kino bewegt - das bricht mir jedes Mal das Herz."

Mit seinem neuen Musik-Film versucht er erkennbar, ein bisschen den Druck nach dem Erfolg abzulassen. Das fällt im Genre Dokumentation leichter als mit einem Spielfilm.

Das Ganze ist eine Entdeckung der Kulturstadt Istanbul, die für Akin durch Musik gegenwärtig wird, dieser Mischung aus Funk, Hip-Hop, Blues, Elektro, Samba, Jazz und traditionellen türkischen Klängen. Hier, in der Metropole zwischen Europa und Orient, mit einem wilden Rhythmus, den Islamisten hassen. Schon während der Dreharbeiten zu Gegen die Wand entwickelte Akin zusammen mit dem Musiker Hacke die Idee zu Crossing the Bridge.

Nun also entsteht seine erste Kino-Dokumentation, und doch wird sie in vielerlei Hinsicht ein für ihn ganz typischer Film werden - aktueller Beleg einer großen Orientierungsreise. Es sei "eine Momentaufnahme, eine Liebeserklärung", sagt Fatih Akin: "Ich will diese Stadt begreifen wie ein Wesen. Die meisten Städte sind für mich weiblich. Hamburg ist meine Frau, Istanbul meine Mätresse."

© SZ vom 6.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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