Rapper 50 Cent:"Die hatten doch alle Bikinis an"

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Der Rapper 50 Cent spricht über Verantwortung, Hip-Hop als Kunstform, seine angeblich als Dildo nachgeformte Männlichkeit und seinen Beitrag für eine bessere Welt.

Jonathan Fischer

SZ: 50 Cent - Ihr Sohn Marquis ist jetzt elf Jahre alt. Wie oft sehen Sie ihn?

Gangsterrapper 50 Cent. (Foto: Foto: AP)

50 Cent: Er wohnt während der Schulzeit bei seiner Mutter. Aber alle schulfreien Wochen - Frühjahrs-, Sommer- und Winterferien verbringt er mit mir. Selbst wenn ich für Platten- oder Filmaufnahmen engagiert bin, ist er an meiner Seite.

SZ: Wie geht er damit um, der Sohn des erfolgreichsten Gangsta-Rappers zu sein?

50 Cent: Marquis bleibt da cool. Als er auf eine neue Schule kam, hat er nichts von mir erzählt - niemand wusste, wer sein Vater ist. Als seine Klassenkameraden es dann doch herausfanden, war es ihm ziemlich unangenehm... Dafür würde ich alles geben: dass mein Sohn die Möglichkeit hat, zu einer besseren Version seines Vaters heranzuwachsen.

SZ: Eine bessere Version Ihrer selbst?

50 Cent: Ich sehe an ihm dieselben Verhaltensmuster und Macken, die ich selbst als Kind hatte. Nur muss er nicht durch dieselbe Hölle gehen...

SZ: ...wie Sie ohne Vater aufzuwachsen und mit acht Jahren die Mutter durch Mord zu verlieren?

50 Cent: Genau. Außerdem kann er sich darauf verlassen, dass er materiell versorgt ist. Viele meiner Fehler beruhten auf einem Gefühl des Mangels: Ich ging zum Geldverdienen auf die Straße, um nach dem Tod meiner Mom mein gewohntes Leben weiterführen zu können. Sie hatte sich immer für mich und meine Bedürfnisse aufgeopfert. Dann kam ich zu meinen Großeltern, die hatten noch acht andere Kinder an der Backe - stellen Sie sich vor, was das für ein Abstieg für mich war!

SZ: Sie haben damals die Macken entwickelt, die heute auch Ihr Sohn zeigt?

50 Cent: Komischerweise weiß ich meist im Voraus, wie Marquis auf eine Situation reagieren wird. Manchmal kann ich ihn aus irgendeinem Grund nicht besuchen: Er ist dann beleidigt und ruft mich auch nicht an. Als Nächstes lässt er mir durch jemanden Dritten ausrichten: Marquis ist beleidigt. Weil er erwartet, dass ich auf ihn zugehe und nicht umgekehrt. Genau so habe ich mich immer verhalten. Wenn mir eine Person unangenehm war, bin ich ihr aus dem Weg gegangen. Habe einfach geschwiegen. Alles in mich reingefressen. Und darauf gewartet, dass der andere den ersten Schritt tut.

SZ: Sie wollen Ihrem Sohn das abgewöhnen?

50 Cent: Ich sage ihm, dass es wichtig ist, über seine Gefühle zu reden. Wir führen auch regelmäßig Gespräche darüber, was er im Fernsehen sieht. Die zeigen oft so obszöne Bilder! Da kann man ein Kind nicht alleine mit lassen.

SZ: Gilt das nicht auch für viele Hip-HopTexte?

50 Cent: Viele Leute beschweren sich, dass Hip-Hop so übermäßig aggressiv sei - aber die sollten sich mal das Fernsehprogramm reinziehen. Die Kombination von bewegten Bildern und Tönen hinterlässt einen viel tieferen Eindruck, als es Raps jemals könnten.

SZ: Mein zwölfjähriger Sohn spielt Action-Spiele am Computer und im Internet, um sich ein bisschen Nervenkitzel zu verschaffen...

50 Cent: Genau darum mache ich mir Sorgen: all die perversen Möglichkeiten, die das Internet bietet. Wenn ich nicht ständig daneben stehe, während mein Sohn im Internet surft, weiß ich nicht, auf was für Sachen er da stößt...

SZ: Sie denken an Porno?

50 Cent: Zum Beispiel. Die Grenzen sind da fließend. Neulich habe ich Marquis in einem erotischen Chatroom erwischt. Er fängt halt an, sich für die Mädchen zu interessieren.

Teil 2: 50 Cent über die Grenze zwischen Unterhaltung und Pornographie.

SZ: Dabei haben Sie doch selbst vor einigen Jahren als interaktive Figur auf einer Porno-DVD mitgemischt?

50 Cent: Sie meinen "Groupie Luv"? Das geht auf das Konto meines Rapper-Kollegen Lloyd Banks. Ich hatte ihn wie alle meine Kumpels ermutigt, eigene Geschäftsideen zu entwickeln. Und ihm versprochen, meinen Namen dafür zur Verfügung zu stellen. Wer hätte denn geahnt, dass er mit einer interaktiven Porno-DVD ankommt? Aber ich konnte mein Wort nicht brechen. Er hätte sich verarscht gefühlt.

SZ: Sie haben weltweit viele minderjährige Fans. Wie wollen Sie die davor bewahren, diese DVD zu sehen?

50 Cent: Man muss deutliche Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenunterhaltung ziehen. Was mich nervt, ist, dass auf demselben Sender bis zwölf ein Familienfilm läuft, und ab Mitternacht kannst du dort Pornos sehen.

SZ: Trägt denn nicht Hip-Hop wesentlich dazu bei, die Grenze zwischen Unterhaltung und Pornographie zu verwässern? Ich denke da etwa an Nellys Video "Tip Drill", in dem er ein paar leicht bekleideten Frauen seine Kreditkarte durch den Gesäßschlitz zieht.

50 Cent: Ach, Nelly stellt doch nur einen normalen Strip-Club nach! So geht es dort nun mal zu. Außerdem haben sie das Video wegen seiner angeblichen Brisanz nicht auf den großen Fernsehstationen gesendet. Andererseits: Diese Video-Tänzerinnen hatten doch alle Bikinis an. Was kann so schlimm dran sein, wenn sie dir an jedem Zeitungsstand nackte Frauen anbieten?

SZ: Ihre Kollegen Snoop Dogg und Lil' Jon verlegen erfolgreich eigene Porno-CDs. Letzterer rechtfertigt das so: Er wolle nicht zu Mainstream werden, sondern seine schwarze Straßenkundschaft bedienen. Was halten Sie davon?

50 Cent: Das ist Blödsinn. Es schauen bestimmt genauso viele Weiße Pornos an wie Schwarze. Pornographie ist menschlich. Also, ich kann mir nicht erklären, warum Lil' Jon so etwas Idiotisches erzählt...

SZ: Und Sie finden es nicht degradierend, wenn Frauen im Hip-Hop als käufliche Sexspielzeuge dargestellt werden?

50 Cent: Leugnen wir es doch nicht: Eine Menge der Frauen da draußen tauschen sexuelle Gefälligkeiten gegen Geld ein. Hip-Hop spiegelt die harsche Realität wieder. Und erzählen Sie mir nicht, dass Nelly nicht auch andere Songs über Frauen geschrieben hätte! Wir Rapper werden immer nur auf das Negative festgelegt.

SZ: Zumindest auf den großen Videosendern MTV oder BET besteht die Hip-Hop-Welt aus Stereotypen: schwarze Männer, die sich als Zuhälter und Gangster geben, schwarze Frauen, die ihnen im Bikini zu Diensten sind...

50 Cent: Diese Zutaten gehören eben zu unserer Kunst. Ich sehe auch in Deutschland Rapper, die sich genauso bewegen, ähnliche Geschichten erzählen und Videos drehen wie ich - nur in einer anderen Sprache.

SZ: Aber welch verzerrtes Bild des schwarzen Amerika vermitteln Sie da Ihren 80 Prozent weißen Fans aus den Suburbs?

50 Cent: Es wäre doch dumm, die Videoszenen mit der Wirklichkeit zu verwechseln! Natürlich weiß ich, dass auch schwarze Menschen, die ansonsten nichts mit weißen zu tun haben, sie mit den Bildern aus dem Fernsehen identifizieren. Aber das ist nicht fair. Ich habe als Jugendlicher weiße Menschen ausschließlich für Polizisten gehalten - es waren damals die einzigen Weißen, die uns begegneten. Was meine Wahrnehmung weißer Menschen total veränderte, war meine Beziehung zu Eminem. Er hat mich an der Hand genommen, ihm verdanke ich meine Karriere. Deine Wirklichkeit verändert sich, wenn du älter wirst. Ich vertraue da auf die natürlichen Lernprozesse.

SZ: Wie halten Sie es mit Ihrem Sohn? Vertrauen Sie da auch auf die natürlichen Lernprozesse? Oder setzen Sie ihm strikte Grenzen?

50 Cent: Ich schirme ihn nicht von der Wirklichkeit ab. Er kennt zum Beispiel eine Menge Schimpfwörter. Das ist unvermeidbar: Du hörst sie doch in jedem Film. Aber er weiß genau, dass er in meiner Gegenwart nicht fluchen darf.

SZ: Auch nicht, wenn es dieselben Wörter sind, die Sie auf Platte benützen?

50 Cent: Auch die nicht. Ich rede jetzt auch anders als auf Platte - und das gilt erst recht in Anwesenheit meines Sohnes.

Teil 3: "Als ob jemand zu Da Vinci gesagt hätte: Mal' mir die Mona Lisa - aber vermeide bitte die Farbe Schwarz!"

SZ: Er kann zwischen 50 Cent, dem Rapper, und 50 Cent, dem Vater, unterscheiden?

50 Cent: Absolut. Ich sehe auch keine Notwendigkeit, mich vor ihm aufzuregen.

SZ: Und wenn Sie doch ärgerlich werden?

50 Cent: Dann muss ich eben das Zimmer wechseln. Ich möchte jedenfalls nicht, dass er mich in einem wütenden Zustand erlebt oder gar fluchen hört. Mein Sohn ist elf, ich bin für ihn verantwortlich. Bis er 21 ist. Bis dahin soll er nicht meine Fehler wiederholen und in Schwierigkeiten geraten. Deswegen versuche ich ihm ein gutes Vorbild zu sein. Ihn auf die wichtigsten Sachen im Leben vorzubereiten. Ihm das zu geben, das ich von meinem Vater nie bekommen habe.

SZ: Zum Beispiel?

50 Cent: Viele Eltern klären ihre Kinder erst mit 18 auf, wenn sie schon ein paar Jahre lang Sex hatten. Das ist unrealistisch.

SZ: Sind Ihre Videos mit all den angedeuteten Kopulationstänzen nicht auch schon eine Art Aufklärung?

50 Cent: Mein Sohn durfte meine Videos immer sehen. Ich glaube nicht, dass sie seine Einstellung zu Frauen negativ prägen.

SZ: Hip-Hop-Mogul Russell Simmons hat gerade mit seinem Vorschlag, die Wörter "Ho", "Bitch" und "Nigger" aus dem Rap zu streichen, großen Wirbel verursacht.

50 Cent: Wenn es um eine Selbstbeschränkung im Gebrauch dieser Ausdrücke geht, okay: Russell Simmons hat das sicher gesagt, um das Genre Hip-Hop vor den Angriffen von außen zu schützen. Schließlich sind wir Rapper immer die Sündenböcke, wenn Eltern ihre Kinder falsch erziehen. Andererseits kannst du nicht fordern, Fluchwörter aus dem Hip-Hop zu verbannen, aber nicht aus der Rockmusik oder dem Fernsehprogramm.

SZ: Rockmusiker benützen doch nicht das Wort "Nigger"?

50 Cent: Aber dafür haben Sie den verfickten Satanismus in ihrer Musik! Und backstage reden sie genauso daher wie wir. Es ist eben ein Teil unseres Slangs. Wenn wir Rapper unsere Erfahrungen schildern sollen, aber dafür Wörter unserer Alltagssprache nicht benutzen dürfen, ist das eine Beschränkung unserer künstlerischen Freiheit: Als ob jemand zu Da Vinci gesagt hätte: Mal' mir die Mona Lisa - aber vermeide bitte die Farbe Schwarz!

SZ: Aber ist es deswegen notwendig, in Ihren Raps die immergleiche Gewalt-Saga aus dem Ghetto zu wiederholen?

50 Cent: Mein Haus, meine Autos, mein jetziger Lebensstil - das zählt doch im Grunde alles nicht. Zumindest angesichts vieler Leute, die noch viel mehr Erfolg haben als ich. Die einzige Bedeutung, die mir da zukommt, ist meine Herkunft: die Erfahrungen, die ich gemacht habe, bevor ich ein erfolgreicher Rapper war. In der Diktion, die ich damals gesprochen habe.

SZ: Und der 50 Cent von heute bleibt dabei draußen?

50 Cent: Wenn Sie in den letzten drei Jahren das große Geld gemacht hätten, wären Sie dann eine andere Person?

SZ: Wahrscheinlich nicht.

50 Cent: Jetzt sitze ich hier auf dem Dach eines Hochhauses in Berlin, bekomme eine Barbecue-Party zu meinen Ehren ausgerichtet und schlürfe coole Drinks - wen interessiert denn das? Hip-Hop ist nun mal eine Kunstform, die die dunkleren Seiten der Realität wiedergibt. Und ich habe sie alle selbst erlebt. Manche Leute werfen mir vor, ich propagierte Waffengewalt. Dabei rede ich nur von meiner Realität: Dass ich angeschossen wurde, eine Kugel im Gesicht hatte (zeigt eine Lücke in der Zahnreihe des linken Oberkiefers), eine im Arm (streicht über die Narbe unterhalb des rechten Ellbogens) und noch sieben weitere in meinem Körper stecken hatte. Wie kannst du das als Künstler nicht zum Thema machen?

SZ: Da stört es Sie sicher nicht, dass sich Gewalt und Sex auch am besten verkaufen?

50 Cent: Seit wann verkaufe ich denn Sex?

SZ: Ist die Meldung über einen Ihrer Männlichkeit nachgeformten Dildo nur eine Zeitungsente?

50 Cent: Noch so ein Gerücht. Natürlich interessiere ich mich als Erwachsener für Sex-Spielzeuge - allein schon, um meine Partnerin zu befriedigen. Darum sollte sich eigentlich jeder Mann Gedanken machen. Aber die Dildo-Geschichte war ein Vermarktungsvorschlag einer Sex-Firma. Ich habe ihn abgelehnt. Stattdessen vertreibe ich Kondome. Ich bin Teil einer Aids-Aufklärungskampagne. Die Jugendlichen heute lassen sich doch von denselben alten "Wrap-It-Up"-Postern nicht mehr beeindrucken. Das ist mein Beitrag für eine bessere Welt.

50 Cent wird am 6. Juli 1975 in Queens, New York, als Curtis James Jackson III. geboren. Er wächst in Armut mit seiner alleinerziehenden Mutter auf. Als sie ermordet wird, kommt der Achtjährige zu seinen Großeltern. Jackson, der den Namen 50 Cent von einem Gangsterboss abkupfert, verdingt sich in den achtziger Jahren als Drogendealer. Noch lieber allerdings möchte er ein Rap-Star werden: Auf seiner kontroversen Debütsingle "How to Rob" zitiert 50 Cent jeden erfolgreichen Rapper seiner Zeit - und einen Grund, ihn auszurauben. Am 24. Mai 2000 treffen ihn neun Kugeln. Er überlebt, aber seine Plattenfirma Columbia lässt ihn fallen. Als Eminem den Rapper hört, nimmt er ihn unter Vertrag - und macht 50 Cent 2003er Debüt "Get Rich Or Die Trying" zu einem der weltweit erfolgreichsten Hip-Hop-Alben.

© SZ vom 30.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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