Radikal jung:Blut, Schweiß und Tränen

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Frédéric Faula, der boxende, tanzende, wilde Stier. (Foto: leclerc&cielat)

Die saftige Ballade von "Raging Bull" im Volkstheater

Von Egbert Tholl, München

Man kann diese Aufführung durchaus als eine Erholungspause empfinden. Erholung vom Diskurs, von der Dekonstruktion, von den Zweifeln an der narrativen Kraft des Mediums Theater. "Raging Bull" ist ein satter Abend, pathetisch, emotional, kompakt und fesselnd-unterhaltend. Mathieu Létuvé zeigte seine in Rouen entwickelte Adaption der Autobiografie von Jake LaMotta bereits im Sommer vergangenen Jahres in Avignon, dort entdeckte das Stück C. Bernd Sucher, der zur Auswahljury bei "Radikal jung" gehört. Und so kommt sie nun nach München, wo sie ein bisschen für Irritationen sorgt, weil Létuvé das Leben Jake LaMottas in seiner Sprache, also Französisch, erzählt, und man sich im deutschsprachigen Theaterkontext vielleicht ein wenig der Kraft der Emotion entwöhnt hat.

Létuvé kennt keine Scheu. Er stellt einen DJ auf die Bühne, der hemmungslos wirkmächtige Popmusik entwirft. Er nimmt einen gar nicht mehr so jungen, aber fabelhaften Tänzer hinzu, Frédéric Faula, der zum Körperbild des Erzählten wird, nicht boxt, aber die Energie des Boxens lebt und tanzt. Und er erzählt selbst die Geschichte, spielt sie durch die Sprache auf einer Bühne, auf der nichts ist außer Licht, Ton und fünf halbdurchlässige Projektionsflächen, über die Schwarz-Weiß-Zeichnungen huschen, Straßenzüge der Bronx, Dreißigerjahre, aber auch grafische Muster und immer wieder ein Stier.

Jake LaMotta war ein wilder Stier, so heißt auch die Verfilmung seiner Autobiografie mit Robert de Niro. Das Kämpfen lernte er auf den Straßen der Bronx, eigene Verbrechen erschufen die Wut, die dann im Ring in offenbar haltloser Energie explodierte. LaMotta war ein Champion und ein Verlierer, er hantierte mit der Mafia und war Zuhälter, verprasste Ruhm und Reichtum, war oft genug verheiratet, um über sein Scheitern im Privaten Bescheid zu wissen. Er schlug seine zweite Frau Vicki, sie verließ ihn, mit ihm ging's bergab - und 25 Jahre später zog sie sich für den Playboy aus. Das alles (außer Vickis eigene Karriere) erzählt Létuvé quasi mit der Kraft eigenen Erlebens, und so glaubt man, vielleicht spricht er von sich. Vielleicht wuchs er auch in harten Vororten auf. Vielleicht stammt von dort die Kraft dieser saftigen Ballade. Vielleicht.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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