R.E.M.:Der Allesrichtigmacher

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Rock zur Beruhigung: Solange es Michael Stipe und seine Band gibt, gerät die Welt nicht ganz aus den Fugen.

Von Dirk Peitz

Als von außen die Tür zum Salon geöffnet wird, sieht man ihn in der Mitte des Raums stehen, an einen der beiden Ledersessel gelehnt, die dort für die Interviews positioniert wurden. Er blickt nach rechts, irgendwohin. Und tut es weiter, als der Promoter und der Journalist sich längst vor ihm aufgestellt haben. Sie warten. Er guckt weiter. Sie schauen jetzt auch in die Richtung, in die er schaut, aber da ist nichts.

Michael Stipe (r.) - ein Mann, der immer da war, wenn man ihn brauchte. (Foto: Foto: Warnermusic)

Jedenfalls nichts, was eine längere Betrachtung verdiente, kein stumm geschalteter Fernseher, kein aufregendes Gemälde, auch wenn es hier, im Schlosshotel Bensberg nahe Köln, herrschaftlich aussieht. Michael Stipe guckt. Ist das ein Spiel? Eine besonders merkwürdige Denkerpose? Die Machtgeste eines die Bittsteller empfangenden Souveräns? Nach einer gefühlten Ewigkeit dreht er endlich den Kopf und sagt wie überrascht: "Oh, hi."

Ein Schmerzensmann

Das ist also Michael Stipe, bald seit 25 Jahren Sänger der Rockgruppe R.E.M. Ein ziemlich großer Teil der Unter-Vierzigjährigen auf dieser Erde hält ihn für eines der letzten Sprachrohre des guten Amerika. Die Verehrung für Stipe aber ist eine stille: Hier ist ein Mann, der nie für das Falsche und immer unmissverständlich war, anders als der den Jüngeren ewig wirr gebliebene Bob Dylan oder Bruce Springsteen, den aufgrund eines Missverständnisses in "Born In The USA"-Zeiten auch mal die Falschen gut fanden.

Ein Mann, der immer da war, wenn man ihn brauchte. Ein vielseitig Engagierter, der Hüter der US-Alternativkultur, eine feine intellektuelle Seele, ein Schmerzensmann. Und ein wenig immer auch ein Langweiler.

Er schweigt lang

Nur so wohl erfüllte Stipe all die an ihn delegierten Publikumserwartungen über mindestens die letzten zehn Jahre, egal ob er es selbst wollte. Der Moment, als seine Band pophistorische Bedeutung erlangte, weil sich an ihrem Beispiel in den Achtzigerjahren modellhaft der Übergang vom Post-Punk zum Alternative Rock vollzog, lag jedenfalls vor der Zeit der großen Popularität.

Von R.E.M. geht seit langem keinerlei musikalische Veränderung mehr aus, und wenn sie es doch noch einmal versuchen, wie auf dem zweitletzten Album "Up", dann missglückt das nicht nur kommerziell, sondern auch künstlerisch.

Im Experiment jedoch liegt gar nicht die Berufung einer Band wie R.E.M.: Sie ist heute nur noch zum Dasein da, zur Beruhigung, denn solange es sie noch gibt, mag die Welt nicht gänzlich aus den Fugen geraten. Dieses Versprechen spiegelte sich auch schon immer in der Person Michael Stipe.

Die Sexiness des Zeitlosen

Weil der liebe Gott ihm keinen begnadeten Körper geschenkt und oben auf diese eher blutarm-dürre als attraktiv-dürre Gestalt das montiert hat, was man wohl einen Charakterkopf nennt, wirkte Stipe stets auf beruhigende Weise unvergänglich. Die Sexiness der Jugend hat Stipe nie verlieren können, er hatte einfach keine. Er hat die Sexiness des Zeitlosen.

Wenn man ihm schließlich gegenübersitzt, reduziert sich seine Persona ganz schnell auf einen leeren, abwesenden Blick. Und die Frage ist: Gehört der am Ende auch nur zu einem Act namens "Being Michael Stipe"? Da ist ein ganzes Set an Manierismen: die leise Redestimme, das Senken des kahl geschorenen Schädels, die ostentativen Kunstpausen. Da ist die Art, wie Stipe einen stumpfen Interviewmarathon zum mählichen Denkprozess umdeutet.

Während draußen vor der Tür die R.E.M.-Medienmaschine vor sich hin brummt, philosophiert er in der Stille des Salons über ein Paul-Klee-Zitat, das ihn seit Tagen beschäftige, vom Dasein des Künstlers als Lern- und anschließendem Verlernprozess, es geht also um die Unbewusstmachung des eigenen Wissens zur Erlangung der wahren Kunstfertigkeit. Es spricht der studierte Kunsthistoriker Michael Stipe, und das ist zugleich groß und gespenstisch.

Anti-Bush-Album

Und wird nur deshalb nicht peinlich, weil Stipe zugleich die Größe seiner Worte, den Pathos seines Auftritts, bricht, durch ironische Einschübe, ein kurzes Lachen im erlösenden Moment, wenn er merkt, dass er sich gerade wieder selbst widersprochen hat. Als er zum Beispiel über das neue, 13. R.E.M.-Album "Around The Sun" redet: "Eigentlich hat mich schon als junger Mann an Musik ihre Zeitlosigkeit interessiert, das war immer das Ziel."

Kunstpause. "Wobei andererseits Musik für mich das beste Mittel ist, die Gegenwart zu begreifen." Kurzes Lachen. "Kann also unser neues Album aktuell und trotzdem zeitlos sein? Ich hätte vielleicht vorher nicht öffentlich darüber reden sollen, dass wir eine Platte über die heutige Welt planen."

"Around The Sun", hieß es vorher, werde das definitive Anti-Bush-Album, rechtzeitig zum Wahlkampf, und nun, da es in dieser Woche erschienen ist, wundern sich die Leute, wo denn nun die angekündigte Kritik versteckt ist. Sie verbirgt sich, so funktionierten Stipes Texte schon immer, in blumigen Metaphern, in Andeutungen, in Auslassungen.

Er lacht kurz

Die Musik strebt ebenfalls ins Vage, Uneigentliche. Oder wie Michael Stipe sagt: "Wenn das am Ende melancholisch oder meditativ klingt, dann weil ich die Welt von heute so interpretiere - sie erscheint mir chaotisch, verwirrend und Angst einflößend." Der gute Amerikaner wirkt etwas ratlos. Vielleicht zieht er auch deshalb nun mit Springsteen und all den anderen guten Amerikanern durch die swing states und macht auf der "Vote For Change"-Tour Wahlkampf für John Kerry. In der Geste, nicht in der Musik steckt die Eindeutigkeit.

"Ich bin wirklich kein Melancholiker", sagt Michael Stipe, "viel eher ein unbelehrbarer Optimist: Ich kann einfach keinen Song schreiben, der ohne Hoffnung endet." Dann verabschiedet er sich zum nächsten Interview über die Weltlage. Man ist überrascht, wie fest sein Händedruck ist.

© SZ vom 7.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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