Profumo-Affäre:Moral der Matratze

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Sex and the City: Callgirl Christine Keeler brachte 1963 vom Bett aus die britische Regierung zu Fall. Jetzt wird die Profumo-Affäre wissenschaftlich neu aufgerollt.

Dorion Weickmann

Vor einiger Zeit ließ Derek Malcolm die Bombe platzen. Auch er, bekannte der einflussreiche englische Filmkritiker im Independent, habe damals, in den Swinging Sixties, eine Affäre mit Christine Keeler unterhalten. Während der deutsche Leser achselzuckend zur nächsten Seite blättert, schrillen bei den Briten die Alarmglocken: Christine Keeler gehört zum Personal ihrer Polit-Folklore wie weiland Lady Di zum Zirkus der Royals.

Miss Keeler nämlich brachte 1963 die konservative Regierung unter Harold Macmillan mit zu Fall, vom Bett aus sozusagen. Ihre kurze Liaison mit dem Heeresminister Ihrer Majestät, John Profumo, erschütterte das Königreich und kompromittierte die upper class bis auf die Knochen.

Im Potsdamer Einstein-Forum unternahm es Frank Mort, Kulturhistoriker der Universität Manchester, die Profumo-Affäre einer mikrohistorischen Revision zu unterziehen. Was waren die Auslöser, was die spezifischen Umstände des Skandals und welches die Folgen, die das Tête-à-tête des Luxus-Callgirls mit dem Minister zeitigten?

Obwohl die Akten bis 2045 versiegelt bleiben, sind die Eckdaten der "attischen Tragödie" (Mort) gut dokumentiert: 1961 begegnen sich Keeler und Profumo; die Einundzwanzigjährige vergnügt sich fortan nicht nur mit dem verheirateten Gentleman, sondern auch mit zwei jamaikanischen Einwanderern sowie dem Militärattaché der russischen Botschaft, was im Kalten Krieg zum offiziellen Stein des Anstoßes wird; die Presse nimmt Witterung auf, als John Edgecombe, einer von Keelers dunkelhäutigen Liebhabern, 1962 in rasender Eifersucht um sich schießt und damit die Polizei auf den Plan ruft.

Unaufhaltsam gerät die Lawine ins Rollen. Christine Keeler verkauft ihre Geschichte an die Medien, Profumo bestreitet alles und belügt das Parlament, bis ihm schließlich nur noch der Rücktritt bleibt. Stephen Ward, Society-Arzt und Keelers sexueller "Mentor" (Mort), vulgo: Zuhälter, begeht Selbstmord. Während andere Historiker die Profumo-Affäre schlicht als Spionage-Thriller interpretieren, markiert sie für Mort die Sollbruchstelle eines kulturellen Umbruchsprozesses: Da ist einmal Stephen Ward, der ebenso häufig in den Homosexuellen-Bars von Soho verkehrt wie er vornehmen Gesellschaftsdamen medizinische Kuren appliziert; da ist Christine Keeler, die sexuelle Freizügigkeit im Immigranten-Milieu von Notting Hill ebenso praktiziert wie im feinen Kensington; und schließlich John Profumo, der am helllichten Tag die Herren-Club-Zirkel von Westminster verlässt, um seine libidinösen Neigungen im Dschungel der Millionen-City auszuleben.

Ebenso dumm wie dreist

Diese Akteure überschreiten Grenzen und werden dafür bestraft. Ihr Umgang miteinander verwischt nicht nur die Barrieren ihrer Herkunft - Profumo ist ein typischer Vertreter des "städtischen Patriziats" (Mort), Keeler ein Geschöpf der Unterschicht und Ward ein Mittelstandskind. Vielmehr stürzen sie sich in die gerade erblühende, kosmopolitische Metropolenkultur, deren "sexuelle Phantasien" (Mort) quer stehen zu den strikten Moralvorstellungen Nachkriegsenglands. Am Ende des Experiments bleiben alle Beteiligten auf der Strecke.

Dass Profumo zunächst leugnete, war sicherlich ebenso dumm wie dreist. Wirklich unverzeihlich fanden seine Kabinettskollegen indes, dass er seine amourösen Abenteuer nicht diskreter bemäntelte. Selbst Profumos Frau, die Schauspielerin Valerie Dobson, kommentierte kopfschüttelnd: "Er dachte, er kommt damit davon." Was lernt man daraus? Vielleicht so viel: Wenn im Herbst 2007 der Herr Bundesminister Seehofer trotz außerehelicher Eskapaden den Ministerpräsidenten Stoiber beerben will, wird sich zeigen, wie es aussieht mit der bayerischen Metropolenkultur und dem liberalen Fortschritt.

© SZ vom 9.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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