Probleme, die uns dann doch beschäftigen:Kleine Philosophie des Fettes

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Wenn man denkt, alles, wirklich alles, sei schon zu Fettleibigkeit und Diäten in den westlichen Zivilisationen gesagt und gedacht worden, dann kommt, zack!, ein französischer Vordenker um die Ecke und erklärt die massigen Leiber zur Revolte.

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Vor einigen Tagen trafen sich in Athen Mediziner aus ganz Europa, um wie jedes Jahr über die zunehmende Fettleibigkeit - "obesity" heißt der Fachterminus - unter der Bevölkerung der westlichen Länder zu sprechen. Die daraus entstehenden Kosten für das Gesundheitswesen, behaupteten sie, seien längst größer als die Kosten, die durch das Rauchen und den Missbrauch von Alkohol entstünden.

Diese Dame ist Kirstie Alley, ihres Zeichens Star der neuen amerikanischen TV-Serie 'Fat Actress'. Wenn sie wüsste, dass sich die Soap eigentlich mit einer Technik des Körpers auseinander setzt, der "Entfleischlichung" ("désincarnation") etwas Eigenes entgegenzusetzen. (Foto: Foto: Reuters)

Man kennt diese Art von Botschaften, und man ahnt, was ihnen mit einiger Verzögerung folgen wird. Allmählich wird man sich einrichten können auf die Einführung von staatlich empfohlenen Rationen, auf Warnschilder auf Chips-Tüten und Bonbonschachteln, und irgend etwas wird wohl auch unternommen werden wider die Tendenz zur allgemeinen Verfettung in den Medien, in denen offenbar immer mehr Mahlzeiten in opulenten Inszenierungen und in verführerischem Dekor dargeboten werden.

Mit Verboten und Beschränkungen kann es dabei allerdings nicht sein Bewenden haben. Auch die entscheidenden, grundlegenden, philosophischen Komponenten dieser speziellen Form von Selbstvergünstigung und Auto-Aggressivität gehören bedacht - ja, man muss sich die entscheidende, die philosophische Frage stellen: Warum essen so viele Menschen zuviel?

Als vor einigen Tagen die Mediziner in Athen tagten, tauchte in Paris der fast vergessene französische Philosoph Jean Baudrillard wieder auf. In der Zeitung Le Monde präsentierte er eine kühne These - wer erinnert sich nicht an seine Behauptung aus dem Jahr 1991, der Golfkrieg habe gar nicht stattgefunden? Nun aber sprach er über Fett.

Der Mensch habe sich wie das Öl in der Mayonnaise mit der Hyperwirklichkeit vermischt, er sei selbst zu einem medialen Flimmern, zu einem Netz geworden. Dagegen, so Baudrillard weiter, protestiere der Körper, machte sich breit, dehne sich aus. Das Fett sei eine Technik des Körpers, der "Entfleischlichung" ("désincarnation") etwas Eigenes entgegenzusetzen. Offenbar kann man machen, was man will: In Frankreich macht irgendein Philosoph noch aus dem Versinken in Bräsigkeit eine Revolte.

© SZ v. 16.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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