Portrait: Doris Lessing:Feministin wider Willen

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Nicht alle Werke der Nobelpreisträgerin Doris Lessing kamen bei der Kritik gut an: Für ihre engagierten Interviews bekam sie manchmal mehr Beifall als fürs Schreiben.

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an die britische Autorin Doris Lessing. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit. Die Schriftstellerin ist 87 Jahre alt. Im vergangenen Jahr wurde der türkische Autor Orhan Pamuk mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Der Preis ist mit umgerechnet 1,1 Millionen Euro dotiert und wird am 10. Dezember vom schwedischen König Carl Gustaf überreicht.

Die britische Autorin Doris Lessing am 3. Oktober im Hamburger Thalia Theater bei der deutschlandweit einzigen Lesung zu ihrem neuen Buch "Die Kluft". (Foto: Foto: dpa)

Doris May Lessing wurde am 22. Oktober 1919 in Kermanshah/Persien geboren. Ihr Vater war britischer Kolonialoffizier, ihre Mutter Krankenschwester. Nach einer Zwischenstation in England ging die Familie 1924 nach Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, wo der Vater eine Maisfarm betrieb.

Doris Lessing war ein schwieriges, rebellisches Kind. Sie besuchte eine katholische Klosterschule und die Girls' High School in der Hauptstadt Salisbury (heute Harare). Mit vierzehn Jahren brach sie die Schule ab. Autodidkatisch eignete sie sich die europäische und amerikanische Literatur des 19. Jahrhunderts an.

Ab 1933 arbeitete Lessing in Salisbury als Kindermädchen, Telefonistin und als Schreibkraft in einem Anwaltsbüro. 1939-1943 war sie mit dem Kolonialoffizier Frank Charles Wisdom und 1944-1949 mit dem deutschen Emigranten und KP-Mitglied Gottfried Anton Nicolai Lessing verheiratet, dessen Schwester die Mutter des deutschen Politikers Gregor Gysi ist.

Nach der zweiten Scheidung behielt Doris Lessing den Nachnamen bei - sozusagen "als Omen für meine eigene schriftstellerische Karriere", wie sie einmal bekannte. Mit Sohn Peter aus zweiter Ehe und zwei unveröffentlichten Romanen im Gepäck übersiedelte sie 1949 nach England und engagierte sich zeitweilig in der KP. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn 1956 ging sie auf Distanz zur kommunistischen Ideologie und trat aus der Partei aus. Ihren Eintritt in die KP nannte sie rückblickend "den vermutlich neurotischsten Akt meines ganzen Lebens".

1948 und 1949 veröffentlichte Lessing in der Zeitschrift TREK einige Kurzgeschichten. Mit ihrem Roman "The Grass is Singing", der anhand einer verbotenen weiß-schwarzen Verbindung das Rassen-Dilemma im südlichen Afrika schildert, etablierte sich Lessing dann bemerkenswert schnell auf dem britischen und amerikanischen Buchmarkt.

Schon 1951, nach Erscheinen ihres Erzählbandes "This Was the Old Chief's Country", war sie finanziell in der Lage, als freie Schriftstellerin zu leben. In ihren ersten Romanen und Erzählungen, die nach Kritikermeinung weniger durch ihre stilistische Brillanz als vielmehr durch intellektuelle Redlichkeit, präzise psychologische Analyse und Moralität überzeugten, befasste sich Lessing bevorzugt mit der Darstellung und Untersuchung rassischer Gegensätze, mit dem Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten, mit dem Begriff der Gewalt und des Krieges und mit der Stellung der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft.

Den Durchbruch zu internationalem Ruhm schaffte sie 1962 mit ihrem Roman "The Golden Notebook" (dt. 1978, Das goldene Notizbuch), das zu einem Kultbuch der Frauenbewegung wurde, obwohl Lessing sich nie als Feministin verstand.

Themen in Fortsetzung

In Deutschland wurde Lessing erst nach dem politischen Aufbruch von 1968 und im Zusammenhang mit einer neuen Frauenliteratur entdeckt. Für Schlagzeilen sorgte in den 1980er-Jahren vor allem ihr Roman "Das Tagebuch der Jane Somers", den sie zunächst unter dem Pseudonym Jane Somers als "Erstlingswerk einer bekannten Journalistin" verschiedenen Verlagen angeboten hatte. Mehrere große Verlage, darunter auch ihr eigener, lehnten das Buch ab, was zu ironischen Kommentaren in der Weltpresse führte.

Das Bemühen um eine Stärkung der humanistischen Werte, das Lessing einmal als Hauptanliegen ihrer Literatur bezeichnete, bestimmt auch ihren dokumentarischen Reisebericht "Der Wind verweht unsere Worte" (1987). Er entstand nach einem Besuch in Pakistan im Herbst 1986, wo Lessing mit Flüchtlingen aus Afghanistan, aber auch mit Widerstandskämpfern und ihren Führern Kontakt aufgenommen hatte.

Große Beachtung fand der erste Teil ihrer Autobiographie "Unter der Haut", der die Jahre 1919-1949 umfasst. Seit 1982 schrieb Lessing fast jedes Jahr einen Roman. Dabei kamen ihre Bücher bei den Rezensenten und Literaturkritikern nicht immer gut weg. Oft wurde ihr für Interviews, in denen sie ihre politische Meinung und ihr Engagement für eine pragmatische Sozialethik kundtat, mehr Sympathie entgegengebracht.

In ihren ab 2000 veröffentlichten Werken behandelte Lessing einige Themen in Fortsetzung, so mit dem Roman "Ben in der Welt", der sich an den 1988 publizierten Roman "Das fünfte Kind" anschloss. Auch der 2006 veröffentlichte Roman "Die Geschichte von General Dann und Maras Tochter, von Griot und dem Schneehund" ist ein zweiter Teil von "Mara und Dann", der 2001 erschien.

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