Porträt:Ende der Vorstellung

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Ulla Weßler, 65, in ihrem Büro neben dem Stadtcafé. (Foto: Stephan Rumpf)

30 Jahre im Dienst der Filmstadt München: Ulla Weßler geht in Rente

Von Bernhard Blöchl, München

Es war beim jüngsten Dokumentarfilmfestival, als Ulla Weßler etwas richtigstellte. "Ich hoffe nicht, dass es mein letztes Fest wird", entgegnete die dienstälteste Mitarbeiterin, als sie von dem Dok-Fest-Leiter Daniel Sponsel auf ihren Abschied angesprochen wurde. Nüchtern fügte sie hinzu: "Ich sterbe ja nicht."

Kritisch, pragmatisch und mit trockenem Humor gesegnet, so hat sich die Frau aus dem Emsland in der bayerischen Filmszene einen Namen gemacht. Nach 30 Jahren als Geschäftsführerin des Vereins Filmstadt München geht sie im Juni in den Ruhestand. Sie hat alle Lenker des Dok-Fests als Kuratorin und Gästebetreuerin miterlebt: Gudrun Geyer, von deren Retrospektiven sie noch immer schwärmt, Hermann Barth und Daniel Sponsel. Nun macht sie Schluss. Mit 65. "Ich höre mit dem Eintritt ins Rentenalter auf, das habe ich immer gesagt." Ein wohlüberlegter Schritt, ohne Wenn und Aber. Auch das ist Ulla Weßler.

In ihrem Büro neben dem Stadtcafé, direkt beim Filmmuseum, hat sie in den vergangenen Wochen die Übergabe an ihre Nachfolgerin Monika Haas vorbereitet. Eine junge Cineastin, die sich zuletzt für das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt engagierte. In dem Zimmer stapeln sich DVDs und VHS-Kassetten, die Regale sind voller Bücher und Ordner. Weßlers Welt ist ein eigener Kosmos, der Dokumentarfilm ist nur ein Teil davon. "Ich habe noch nie einen richtigen Chef gehabt", sagt sie und sieht einen durch ihre runden Brillengläser an. Ihre Stelle ist, wie der Dachverband selbst, ein bisschen kurios. Das findet auch die Kollegin aus Hessen: "Die organisatorische Struktur ist einzigartig", lobt sie.

Um die Filmstadt München zu verstehen, dieses Konstrukt zur Förderung der städtischen Filmkultur, muss man etwas ausholen. Mit der Filmstadt, die auf dem Bavaria-Gelände in Geiselgasteig in die Welt von Bully und Fuchur lockt, hat die Initiative nichts zu tun. Heute bündelt Weßlers Verein Mitglieder wie das Kurzfilmfest "Bunter Hund", die Experimentalfilm-Freaks "Underdox", das Kinderkino oder das Flaggschiff Dok-Fest. Zwölf Gruppen, die zwar selbstständig wirken, die aber von Ulla Weßler bei der Pressearbeit, den Förderungswünschen an das Kulturreferat und den Abrechnungen unterstützt werden. Mehr als 300 000 Euro ist der Stadt der Zusammenschluss pro Jahr wert.

Die Ursprünge gehen auf eine Initiative zurück, die sich 1979 als Gegenmodell zur kurz zuvor geformten Filmwochen GmbH gegründet hat. Aus dieser Alternative zum "glamourösen" Filmfest mauserte sich 1984 der Verein Filmstadt München, deren Kerninteresse die Förderung der alternativen, politischen Filmszene war. Zwei Jahre später wurde Ulla Weßler als Geschäftsführerin installiert. "Das kam auch für mich überraschend", sagt sie heute. "Obwohl ich anfangs Zweifel hatte, sagte ich: Ich probier's." Weßler war damals arbeitslos, eine studierte Politologin, die als Taxifahrerin, Bedienung und Wirtin im "Jennerwein" jobbte. Bereits 1972 war sie von Meppen nach München gezogen. Lutz Neumann, der im Heppel & Ettlich das Kinderkino organisierte, erzählte Weßler von der Filmstadt und einer möglichen Beschäftigung. Aus dem Job - "damals hieß das AFI, Arbeitsförderinitiative" - wurde durch das Engagement der Stadt eine feste Stelle.

In all den Jahren hat sich Ulla Weßler gut vernetzt und dabei geholfen, den fremdsprachigen Film nach München zu bringen. Sie hat Projekte wie die Mittelmeerfilmtage oder die Frauenfilmreihe "Bimovie" etabliert. Sie ist zu Festivals in Berlin, Wien und San Sebastian gefahren, hat recherchiert, um zu kuratieren. Die lateinamerikanischen, später die italienischen Filme lagen ihr besonders am Herzen. Ebenso der Wunsch, dass die Filmstadt München mehr Sponsoren bekommt und vor allem: öffentliche Wahrnehmung.

Denn das ist ein Problem geblieben: Dass zwar viele Münchner die Veranstaltungsreihen kennen, nicht aber den Dachverband dahinter. "Das muss uns endlich gelingen", sagt die Rentnerin in spe und verweist auf einen neuen Trailer, der bald im Kino zu sehen sein werde. Auch die Forderung nach einem Filmhaus, einem kommunalen Kino mit Platz für Cutter und Produzenten, führte nicht zum Erfolg. "Ich glaube, das scheiterte wie immer am Geld." Verbitterung ist bei Ulla Weßler nicht zu spüren, keineswegs. Die Frau mit der Kurzhaarfrisur lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor ihrer Bluse. Sie spricht sachlich, bei Rückschlägen ebenso wie bei Erfolgen. Egal, ob es um die schwierige Aufgabe der Verjüngung der Mitglieder geht oder um die Problemfälle der Filmtheater wie Eldorado und Maxim. "Richtig schade", sagt sie zum Kinosterben in der Stadt. Zufrieden und dankbar sei sie, dass es den Verein noch immer gibt, die finanzielle Ausstattung ebenfalls.

Das Bewusstsein, dass das 31. Dok-Fest ihr letztes als Geschäftsführerin der Filmstadt sein würde, kam schleichend. "Während des Festivals ist der Gedanke gereift, dass ich alles, was ich gemacht habe, nun nicht mehr mache: E-Mails, Gästekoordination, Schreibkram." So etwas wie Wehmut aber kennt sie nicht. "Es ist gut so, wie es ist", sagt sie. Wie ihre Zukunft aussehen wird, darüber ist sich die 65-Jährige noch nicht im Klaren. Denkbar sei eine freie Mitarbeit beim Dok-Fest. "Ich bin auch am überlegen, mich bei anderen Gruppen zu engagieren", sagt sie und nennt das Projekt "Kinotage für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge". Denn das könne sie sich gut vorstellen: "Ich will Zeit haben für Flüchtlingshilfe." Nicht nur filmische Fiktion, sondern politischer Realismus, auch das ist Ulla Weßler.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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