Porträt:Elfriede Jelinek

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Sie hat sich und andere stets aufgeregt. Elfriede Jelinek, 57-jährige Österreicherin und seit Donnerstag Literaturnobelpreisträgerin, sorgte in ihrer Heimat mehr als einmal für Aufruhr.

Stein des Anstoßes war nicht nur ihr literarisches Werk, das provoziert, aufrüttelt, ja manchmal abstößt, sondern auch ihr politisches Engagement gegen das Verdrängen der Nazi-Vergangenheit Österreichs, gegen Fremdenfeindlichkeit und den Aufstieg der Rechtspopulisten. Jelinek wurde bereits mit Dutzenden Literaturpreisen ausgezeichnet. Ausgewogenheit nimmt sie nicht für sich in Anspruch, ja sie räumt ihre Besessenheit ein: "Ich bin im Grunde beim Schreiben eine Triebtäterin", sagte sie in einem Interview.

Elfriede Jelinek (Foto: Foto: Reuters)

Der Begriff aus dem Bereich der Psychoanalyse ist nicht zufällig gewählt: Jelinek stammt nicht nur aus dem Heimatland Sigmund Freuds, sie wurde auch schon als junge Frau mit eigenen psychischen Problemen und einer schwerwiegenden Erkrankung ihres Vaters konfrontiert. Auch sind die heftigen Debatten um ihre Romane, Gedichte und Theaterstücke nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

In einer ersten Reaktion am Donnerstag sagte die Schriftstellerin, sie spüre angesichts des Nobelpreises "eigentlich mehr Verzweiflung als Freude. Ich eigne mich nicht dafür, als Person an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden. Da fühle ich mich bedroht." Jelinek weiß um Bedrohungen: 1946 wurde sie im steirischen Mürzzuschlag als Tochter eines tschechischen Juden geboren, der nur wegen seiner "kriegsdienlichen" Studien im Bereich der Chemiewissenschaft von der Verfolgung durch die Nazis verschont geblieben war.

Nach dem Krieg erkrankte der Vater und starb 1969 in einem psychiatrischen Krankenhaus. Als junges Mädchen hatte Jelinek sich zunächst der Musik zugewandt und studierte am Wiener Konservatorium Orgel, Blockflöte und Komposition. Ein Studium der Theaterwissenschaft brach sie dagegen ab, weil sie sich in "kritischer psychischer Verfassung" befand. Das Jahr 1968 verbrachte sie in absoluter Isolation - sie verließ das Elternhaus kein einziges Mal.

Das Schreiben hatte sie da schon begonnen, zunächst Gedichte, Anfang der siebziger Jahre dann Hörspiele, die schnell Erfolg hatten: "wenn die sonne sinkt ist für manche schon büroschluß" wurde 1974 von der konservativen österreichischen Tageszeitung "Die Presse" zum erfolgreichsten Hörspiel des Jahres erklärt. 1974 trat Jelinek der Kommunistischen Partei bei. Von Beginn an schreibt Jelinek mit Leidenschaft, mit Besessenheit, mit "Tobsucht" wie sie selber einmal sagt.

Sie könne mit "einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen", heißt es in der Begründung des Nobelkomitees - eine höfliche Formulierung für das, was die in München und Wien lebende Schriftstellerin wirklich tut: Sie schockiert, und das ganz bewusst. Ihr Bestseller "Lust" von 1989 beispielsweise reiht in unsäglich brutaler Sprache die Schilderung von Kopulationsszenen aneinander. "Wenn ich Ausgewogenheit und Gerechtigkeit vermitteln wollte, wäre ich vielleicht Anwältin oder Ärztin oder Lehrerin", sagte sie 1996 in einem Gespräch.

Sexualität, Macht und Gewalt, die Themen des skandalumwitterten Romans "Lust", beschäftigen sie auch in anderen Werken, genauso wie die Männer- und Klassengesellschaft, die sie gnadenlos attackiert.

Kein Wunder, dass sie für die konservativen Teile der österreichischen Gesellschaft ein rotes Tuch ist. Dem starken Mann der rechtspopulistischen Freiheitspartei (FPÖ), Jörg Haider, widmet sie im Jahr 2000 ein Stück, einen Monolog unter dem Titel "Ein Lebewohl". Jelinek arbeitet im Theater viel mit deutschen Regisseuren zusammen, so Claus Peymann, Einar Schleef und Christoph Schlingensief.

Bei aller politischen Umstrittenheit steht Jelineks Erfolg nicht erst mit dem Nobelpreis außer Zweifel: Unter zahlreichen anderen erhielt sie den renommierten Georg Büchner-Preis (1998), den Theaterpreis Berlin (2002), den Heinrich-Heine-Preis (2002) und den Lessing-Preis (2004).

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