Porträt des Schaupsielers Bruno Ganz:Im Vorführerbunker

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Der Generalissimus als Schauspieler: Bruno Ganz hat mit den größten Regisseuren des Theaters gearbeitet, Stein und Grüber, Zadek und Bondy, mit Wim Wenders und Eric Rohmer Filme gemacht, und gerade ist er aus Hollywood zurück, wo er sechs Wochen lang mit Coppola drehte. Aber jetzt ... jetzt hat er Zeit für uns.

Christopher Schmidt

Unser Autor trifft Bruno Ganz im Schauspielhaus Bochum, wo er den Titus Andronicus in Botho Strauß' "Schändung" spielt.

"Vielleicht hat es etwas mit dem Alter zu tun, dass man von einer Liebe nicht so leicht wieder lassen kann." (Foto: Foto: ddp)

Er hat den Engel gespielt und den leibhaftigen Teufel, und er hat in beiden den Menschen gesucht. Er war der Damiel in Wim Wenders' "Der Himmel über Berlin", der die Ewigkeit gegen einen Platz in der Welt eintauscht, und er war Adolf Hitler, der die Welt zur Hölle schickt für einen Platz in der Ewigkeit. Und er ist als Faust in der Zeitlupe von Peter Steins Marathon-Inszenierung vom Himmel durch die Welt zur Hölle gereist. Als Schweizer hat er diesen deutschesten aller Deutschen gespielt, von dem Einar Schleef meinte, er sei der geistige Vater des Holocaust.

Doch wenn Bruno Ganz einem dann im Bochumer Schauspielhaus gegenübersteht und zur Begrüßung mit ironischer Artigkeit einen Gruß "vom Chef" bestellt, als sei er nur der Hausbote, und man gemeinsam durch den verschlungenen Walfischbauch des Theaters wandert, ist es, als sei er nie woanders gewesen. Und als habe er nie die schwersten und die leichtesten Helden gespielt. Mit den größten Regisseuren des Theaters hat er gearbeitet, Stein und Grüber, Zadek und Bondy, mit Wim Wenders und Eric Rohmer Filme gemacht, und gerade ist er aus Hollywood zurück, wo er sechs Wochen lang mit Coppola drehte. Instinktiv war er in seinem Leben immer zur richtigen Zeit am richtigen Platz und hat Erreichtes aufs Spiel gesetzt, getrieben anfangs, so sagt er, von einem "unbekümmerten Ausdruckswillen".

Die Schule, wo er sich wegen "obstinaten Aus-dem-Fenster-Schauens" einen Verweis einhandelte, hat er ebenso abgebrochen wie die Schauspielausbildung. In den legendären Gründungsjahren der Berliner Schaubühne war er einer der "Hauptbeteiligten" und verließ dann das Theater wieder, als der deutsche Autorenfilm interessant wurde. Manche Freundschaft hat er durch die Art, sich "eher ruckhaft durchs Leben zu bewegen", auf die Probe gestellt. Zuletzt die mit Peter Stein, als Ganz aussprach, dass er seine 4000 Verse als Faust nicht - wie Stein es wünschte - mit Lust "verwalten" konnte. Und Wim Wenders hat ihn für seine Hitler-Darstellung hart kritisiert. Dabei war diese Rolle für ihn auch deshalb wichtig, weil er sich dadurch lösen konnte von der Festlegung auf den verschatteten Grübler und Sensibilisten.

Aber dass ihn hier in Bochum alle den "General" nennen, wirkt weniger ehrfürchtig als zärtlich, als wollten sie ihre Bewunderung mit den Tarnfarben der Ironie abtönen. Seinen Beinamen verdankt er der Rolle, in der er nun am Schauspielhaus sozusagen im Feld steht. Ganz spielt in der Regie von Elmar Goerden den römischen General Titus Andronicus in Botho Strauß' "Schändung", einer Übermalung von Shakespeares blutigem Frühwerk "Titus Andronicus". Der sei ja sogar mit seinen eigenen Kochtöpfen angereist, sagt Goerden, um zu unterstreichen, dass Bruno Ganz sich für die Zeit der Proben häuslich niedergelassen hat in Bochum.

Für den Mann, der mit der eigenen Feldküche in die nächste Schauspielschlacht zieht, ist es ein um so größeres "Glück", hier zu arbeiten, als sich dieses Glück einem vorausgegangenen Unglück verdankt. Bereits im vergangenen Jahr hatte Bruno Ganz die Rolle in Berlin spielen wollen, unter der Regie von Claus Peymann. Nach sechs Wochen hat man die Proben abgebrochen. Sie hätten es beide nicht geschafft, über ihre Schatten zu springen, sagt Ganz. "Auch nicht nach dreißig Jahren, die wir uns kennen." Nach dem unbefriedigenden Ausgang mit Peymann habe er das Stück aber erst recht spielen wollen.

"Vielleicht hat es etwas mit dem Alter zu tun, dass man von einer Liebe nicht so leicht wieder lassen kann." Und als hätte er bereits zu viel von sich verraten, schickt Ganz raunzig hinterher: "Ich mag einfach nicht mit halben Sachen leben." Er sei eben Schweizer und also gründlich. Sagt er und zieht die Luft ein, als wolle er das zuvor Gesagte wieder zurücksaugen, und verschließt seine Lippen mit dem schmatzenden Geräusch einer Zentralverriegelung.

Jetzt, da Ganz wieder Uniform tragen muss, ist auch seine Haltung militärisch straff, das Haar kurz geschoren, und sein Gesicht wirkt, als habe er sich morgens mit Schmirgelpapier abgetrocknet. Er ist jetzt so sehr bei seiner Figur, dass man schon meint, er probiere auch außerhalb der Bühne bis in die Wortwahl hinein seine Rolle aus. Sogar die mal wie fernes Flakgewitter grollende, mal schnarrende Diktion seiner Hitler-Darstellung ist wieder da: Wenn er die Stimme hebt, als er davon spricht, wie er sich eine Rolle "erobert" oder darüber, wo bei Botho Strauß das Shakespeare'sche Original ungefiltert "durchschlägt" und wo es "durchschossen" sei von heutigen Gedankenspiegelungen. Oder wenn er über Titus redet als einem, in dem man durchaus einen Mann sehen könne, der "in Erfüllung seiner Pflicht" einem Handwerk nachgehe - "das kennen wir ja nicht mehr so, aber im alten Rom hatte man noch ein Schwert in der Hand beim Töten und hat nicht auf einen Computer-knopf gedrückt."

Einen Theater-Bellizisten kann man trotzdem nicht in ihm sehen. Der Vorwurf, er mache sich zum Sprachrohr Straußscher Demokratiekritik, ist schon einmal gegen Ganz erhoben worden. Das war vor zehn Jahren, als er an den Münchner Kammerspielen den Odysseus in "Ithaka" spielte, einem Stück, in dem manche eine Fortschreibung des Strauß-Essays "Anschwellender Bocksgesang" sahen, der kurz zuvor erschienen war. "Damals ist vor der Premiere versucht worden, das Stück als Plädoyer für den starken Mann zu diffamieren. Dabei ist alles viel naiver. Wenn man das nicht zu sehr beschwert und auflädt, kann das zum Teil lustig sein. Aber es ist nie doof."

Der Schauspieler Jens Harzer, der damals mit Bruno Ganz zusammen als Vater und Sohn auf der Bühne stand, hat einmal beschrieben, wie der sich bei den Proben zu "Ithaka" fast ausschließlich darum zu kümmern schien, den Bogen des Odysseus fachmännisch zu spannen. Mit diesem Bogen vollführt der heimgekehrte Held den Kunstschuss, durch den er sich die Macht zurückerobert. Das Spannen des Bogens sei für ihn in der Tat eine Art Schlüssel zur Rolle gewesen. "Aber aus schierer Kindlichkeit, weil mich solch eine überdimensionale Waffe, mit der man einen Pfeil durch die zwölf Ösen von Beilen schießen kann, fasziniert hat. Ich wollte einfach wissen, wie das geht. Ich habe dann auch angefangen, selber Bogen zu schießen." Manchmal greife man zu solchen Sachen, weil das Ganze eine Dimension habe, die man nicht durchschaue. Er habe zum Beispiel einmal am Münchner Hauptbahnhof einen Penner beobachtet und zwei Minuten später gewusst, wie er seine nächste Rolle spielen werde. "Man muss die Wachheit oder auch die Verträumtheit besitzen, Dinge zu bemerken, die einem zufällig über den Weg laufen. Und dann muss man wissen, wo man das hintun soll bei sich selbst."

Seine Rolle im "Untergang" musste er sich dagegen durch ausufernde Lektüre aneignen: "Ich war mit Hitler allein, denn im Bunker wurde er ja nicht mehr gefilmt, außer einmal, als er diese Pimpfe dekorierte. Also musste das lesend erobert werden." Sich einer Figur durch extensives Lesen zu nähern, ist alte Schaubühnen-Schule. "Diese Art, über die später viel gespottet worden ist, uns über Sekundärliteratur Rollen zu erschließen, finde ich immer noch glorios." Ob das Wissen ihn nie blockiert habe?"Ich misstraue eher der spontanen Regung. Wenn die Phantasie groß genug ist, wird sie sich auch wieder ihren Weg bahnen. Aber man hat durch das Hintergrundwissen noch etwas Zusätzliches."

Bruno Ganz muss es wissen. Denn seinen eigenen Weg zum Theater haben ihm nur "Phantasie und mein Wunsch, mich auszudrücken" geebnet. Als Sohn eines Fabrikarbeiters und einer italienischen Mutter, die "zu Fuß über die Alpen nach Zürich gekommen war, um dort als Hausangestellte zu arbeiten", ist er in einem Milieu aufgewachsen, in dem die Beschäftigung mit Kunst etwas dermaßen Fremdes war, dass er seinen Eltern noch heute dankbar dafür ist, "dass sie mir das nicht mit aller Macht abgeklemmt haben." Die hätten ja noch nie ein Theater von innen gesehen, bevor er selber spielte.

"Ich war und bin immer noch ziemlich neugierig." Wenn also, auf seine Rolle als Titus bezogen, nur das Psychogramm des blutigen Schlächters vorgeführt werden sollte, so Ganz, fände er das langweilig. "Man könnte es ja dabei bewenden lassen, aber ich, ich fange da erst an", sagt Bruno Ganz abschließend, und plötzlich erhellt sich sein Gesicht, als sei ihm gerade eingefallen, dass er eigentlich noch etwas anderes zu tun hat. Und schon ist er verschwunden, zur Probebühne, um sich mal wieder seine Engelsflügel zu verdienen.

© SZ v. 13.04.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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