Pop-Trend zurück zur Natur:Die Tiere sind unruhig / die Kinder nervös

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Was haben die bloß alle auf einmal mit ihren Tieren? Die Popkultur entdeckt auf einmal Wiesen und Wälder. Und jetzt kommt der Imitanten-Stadl von Kante.

Max Fellmann

Vielleicht ist es nur Zufall, nichts als ein paar Blätter im Wind - aber es sieht doch aus, als könnte mehr dahinter stecken: Die Popkultur entdeckt das Thema Natur. Blumfeld, die Lieblingsband des intellektuellen Pop-Hörers, singt plötzlich über Tiere und Apfelbauern; Moritz von Uslar, eben noch urban-stilbewusster "100-Fragen"-Meister, schreibt einen Roman, dessen Held sinnierend durch Wälder und Wiesen stapft; Dirk von Lowtzow, Sänger der Band Tocotronic, der immer schon ein feines Gespür für kommende Entwicklungen hatte, sang bereits im Vorjahr: "Ich mag die Tiere nachts im Wald / Wenn sie flüstern, dass es schallt"; die Kölner Band Klee veröffentlicht die Platte "Zwischen Himmel und Erde" und jubelt, sie klinge "nach blühender Sommerwiese"; und zu all dem passt, dass es ausgerechnet der Naturbursche Jack Johnson zum Dauerbeschaller von Coffeeshops und Beach-Clubs gebracht hat (in denen die Menschen dann von den elegischen Landschaftsaufnahmen in Filmen wie "Brokeback Mountain" schwärmen).

Und jetzt kommt auch noch die Hamburger Band Kante und bringt ein Album heraus mit dem Titel "Die Tiere sind unruhig". Darauf finden sich, verkürzt gesagt: Lieder über das Wetter. Dazu ein Instrumentalstück namens "Ducks and Daws" (Enten und Dohlen). Auf den Bandfotos zeigen sich die fünf Musiker mit Bärenköpfen.

Was haben die bloß alle auf einmal mit ihren Tieren? Handelt es sich um Einzelbeobachtungen - oder einen neuen Trend? Aufschlussreich ist es, die letzten beiden Alben aus dem Hamburger Pop-Kosmos zu vergleichen, Blumfeld und Kante also. Jochen Distelmeyer, der Sänger und Texter von Blumfeld, ist bekannt für besonders durchdachte Texte, seine Musik wurde eine Zeit lang, durchaus bösartig, "Diskurs-Pop" genannt. Doch auf dem jüngsten Album "Verbotene Früchte" erscheint er wie ausgewechselt, so als suche er Erleichterung darin, einfach mal ein paar Dinge klar zu benennen. Zurück zur Natur, weil da alles so schön ursprünglich ist: "Wälder rauschen, Ströme gleiten / Über Felder, durch die Zeiten / Sonnenstrahlen wie für uns gemacht." Weg mit der Theorie! Ach, einfach mal ein bisschen romantisch sein!

Auch Peter Thiessen, Sänger und Texter von Kante (und früher übrigens mal Bassist bei Blumfeld), singt über die Natur, aber in jeder Zeile wird klar, dass es hier um etwas Größeres geht. Der Refrain des Titellieds lautet: "Die Tiere sind unruhig / die Kinder nervös / Der Himmel ist fleckig / die Wolken monströs / Ein Sturm ist im Kommen, es könnte jeden Moment passieren." Die Musik dazu lauert und glüht. Man kann das Lied, gerade in diesem Irrsinnssommer, als bloße Beschreibung einer Wetterlage hören, man will es aber natürlich sofort als Metapher verstehen: Dieses Land steuert auf ein Gewitter zu, der Nahe Osten ist schon mittendrin, die ganze Welt im Grunde, unzählige Gewitter sind im Anrollen. Tatsächlich geht der Text dann auch so weiter: "Die Innenstadt wird kontrolliert / Ich fühl, wie sich die Spannung staut / Und das Warten darauf / Dass irgendetwas passiert". Vom Warten auf den Umbruch handelt "Die Tiere sind unruhig" - und kommt dabei ohne konkrete politische Aussagen aus.

Der Zweifel bleibt

Das sind die beiden Pole, zwischen denen sich die neue Naturbeobachtung bewegt: Hier Blumfeld, da Kante, hier die naive Beschreibung, da die Metaphorik, hier die Sehnsucht nach Leichtigkeit, dort die Fähigkeit, mit leichten Worten trotzdem Gewichtiges zu sagen. Distelmeyer landet im Bemühen um Einfachheit manchmal direkt in der Eindimensionalität, wie in dem unsäglich platten "Apfelmann"-Lied. Da klingt er ein bisschen wie Reinhard Mey: der Sänger als Spaziergänger, der mal hier und da schnuppert, ohne Vorwissen, ohne wirkliches Interesse. Im Gegensatz dazu benutzt Kante-Texter Thiessen die Natur als Metaphernbaukasten, mit dem sich größere Zusammenhänge erschließen lassen. Er begreift Tiere, Wetter, Temperaturen als Bilder, die auf etwas anderes verweisen. Thiessen sagt: "Ich will nicht Tiere als Tiere beschreiben, sondern im Bezug auf Menschen."

Und so versucht er, mit den Bildern, die die Natur anbietet, eine Stimmung zu erzeugen, das Gefühl von Rastlosigkeit und Umbruch. Auch das Lied "Die Hitze dauert an" (woher wusste der Mann schon beim Schreiben der Lieder, wie dieser Sommer sein wird?) erzählt nicht so sehr vom Wetter, als von dem Gefühl, das sich einstellt, wenn Diskussionen trotz aller Intensität zu nichts führen, wenn die Entladung einfach nicht kommen will: "In den Bergen hängt Gewitter / Und die Hitze dauert an / (...) Die Fragen sind gestellt / Das, was man sagen kann, gesagt / Alles ist gut, der Zweifel bleibt / Der Schmerz, die Trauer / Und der Zorn." Schöne, klare Worte. Und übrigens: Die Musik dazu ist sehr, sehr gut. Kante lasen sich von Queens Of The Stone Age inspirieren und von Coldplay und dem Pop der so genannten Hamburger Schule (und ja: das alles auf einmal).

Bleibt zuletzt die Frage: Warum überhaupt Natur? Eine Antwort könnte sein: Die Sänger behandeln die Dinge, die sie unmittelbar umgeben. Demnach dürfte sich Jochen Distelmeyer nicht mehr so viel in diskussionsfreudigen Hamburger Szene-Kreisen bewegen, vielleicht hat er sich ja ein kleines Haus im Alten Land, dem Apfelanbaugebiet vor den Toren Hamburgs, zugelegt. Doch es bietet sich noch eine andere Deutungsmöglichkeit an: Wenn alles komplizierter wird (die Welt, das Leben, die eigene Psyche), dann kommen Künstler gerne auf das Ursprüngliche zurück. Wie die meisten Menschen, die mit einem verzwickten Problem nicht weiterkommen, versuchen sie, das Ganze nochmal von Grund auf anzugehen.

So wie der Naturalismus Ende des 19. Jahrhunderts auf die neue Unübersichtlichkeit des Industriezeitalters reagierte, sucht vielleicht jetzt die Kunst einen Ausweg aus der Ironie-Sackgasse. Spätestens seit Mitte der neunziger Jahre ist ja alles durchtränkt mit Ironie. Popmusik, Fernsehen, bildende Kunst: Überall das Diktat der Uneigentlichkeit. Jeder kann jederzeit alles sagen, aber nur das Wenigste hat auch etwas zu bedeuten. Wohin man auch schaut: Augenzwinkern.

Als Reaktion darauf bleibt nur größtmögliche Ernsthaftigkeit. Und was könnte ernsthafter sein als der Anfang von allem? In der Natur gibt es keine Ironie, da ist ein Apfelbaum ein Apfelbaum, und die Wolken türmen sich, wie das eben nur Wolken tun. Der Mensch kann da durchgehen und sich naiv freuen wie Jochen Distelmeyer. Oder er nimmt die Zeichenhaftigkeit all dessen wahr, wie Peter Thiessen. In beiden Fällen aber geht es darum, auf den fruchtbaren Boden der Tatsachen zu gelangen. Hin zu dem, was immer war und immer sein wird. In den sehr ernsthaften Worten Wilhelm von Humboldts: "Die Natur gefällt, reißt an sich, begeistert, bloß weil sie Natur ist." Oder um es mit dem Protagonisten aus Moritz von Uslars Roman zu sagen: "Motherfucking Natur".

© SZ vom 04.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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