Pong:Die Vollzähligkeit der Sterne

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Sibylle Lewitscharoff erzählt an den Bildern Friedrich Mecksepers entlang.

Von Jörg Magenau

Pong ist eine sehr leichte, fast schwebende literarische Figur. Ein Scherenschnitt, ein Gedankenexperiment, ein Sprachgebilde. Zum dritten Mal seit 1998 erscheint er nun schon im Werk der Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff, und immer wenn sie pongt oder pöngelt, läuft sie zu großer Form auf. Mit Pong ist sie ganz frei und unverkrampft, so neurotisch und zwanghaft und unerträglich diese Figur auch sein mag. Da kann sie reden wie sie will und muss nichts beweisen - außer dass in Texten alles möglich ist.

Pong ist weltangeekelt, menschenscheu, vor allem aber ungezügelt misogyn. Die bloße Vorstellung der Anwesenheit einer Frau führt bei ihm zu Entsetzensbekundungen; Brüste empfindet er als "erwiesenermaßen zutiefst scheußliche Weiblichkeitsprotuberanz". Solche Worte bringt er gerne hervor, doch eigentlich nur, weil er sich danach sehnt, hinter den "Ereignishorizont" zu gelangen, wo das lästige Tagesgeschehen endlich von ihm abfallen würde - und damit auch alle zudringlichen Gedanken und alle sprachlichen Zumutungen. Das spricht keineswegs dagegen, dass er selber nichts ist als ein ausgedachter Nachtschatten, so luftig, dass man ihn umstandslos ins Sternenhimmeluniversum schießen könnte, und genau das wünscht er sich auch. Wie schön wäre es, in einem schwarzen Loch zu verschwinden! Die schweigsamen Sterne sind ihm näher als die geschwätzige Menschheit. Dabei besteht er selber aus nichts als Wörterhervorbringungslust.

Die Erzählbewegung erinnert ein wenig an Malen nach Zahlen

2013, in "Pong redivivus", lag der seltsame Held mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, nachdem er einen Sprung vom Dach seines Hauses, dem Mond entgegen, gewagt hatte. Jetzt, vier Jahre später, wird er entlassen und hofft auf die anhaltende Freundschaft mit seinem Zimmergenossen. Pong erhält eine Einladung von ihm zum Abendessen, das er in höchster Erregung absolviert, gestört jedoch von der Geschmacklosigkeit der Inneneinrichtung und der penetranten Gattin, die wie in einem Loriot-Sketch aus der Küche ruft. Das alles ist fürchterlich genug, doch als eine Woche später, nach dem Erwerb eines Anzugs am Kudamm und einem Besuch des Restaurants Borchardt der Freund, die Frau und deren Freundin bei Pong zuhause einfallen, ist es endgültig zu viel, und der Freund wird zu einem gewesenen Freund.

Die Geschichte ist so leichtgewichtig, wie ihr Held und so klein und in sich geschlossen wie dessen autistisches Universum. Sie dient nur dazu, die Pong-Gedanken zu befördern. Doch es ist reizvoll mitzuerleben, wie sie sich entwickelt. Das Buch ist nicht einfach nur illustriert mit Collagen und Objekten von Friedrich Meckseper, mit dem Lewitscharoff verheiratet ist. Die Bilder sind vielmehr Ausgangs- und Fixpunkte der erzählerischen Reise, die nacheinander angesteuert werden wie fremde Planeten auf einer Odyssee im Weltall. Das ist nicht leicht bei diesen eher abstrakt gehaltenen Versuchsanordnungen: kreidige Zeichen auf Tafelgrund, verschraubte geometrische Rätsel oder schlichte Versalien in Grau.

Gemeinsam ist Text und Bildern der Minimalismus und die Zeichenhaftigkeit. Alles Narrative ist ihnen schon deshalb fern, weil Mecksepers Objekte nichts miteinander zu tun haben. Erst Lewitscharoffs Erzählbewegung bringt sie in einen Zusammenhang. Das ist ein bisschen wie Malen nach Zahlen. Das Schreiben von Zeichen zu Zeichen entspricht dem Bedürfnis, auch im Sternenhimmel Bilder zu konstruieren, obwohl die Sterne doch gar nichts voneinander wissen. Aber gerade aus dieser Erzählungsferne ergibt sich der Reiz der Geschichte, die ihre Handlung unterwegs herstellt. Diese stilistische Fingerübung funktioniert wie eine Rakete, die die einzelnen Bilder als Antriebsstufen nutzt. So schafft sie es zwar nicht ganz hinter den Ereignishorizont oder ins nächste schwarze Loch, macht sich aber leicht genug, für einen soliden Aufenthalt in der Schwerelosigkeit.

Sibylle Lewitscharoff, Friedrich Meckseper : Pong am Ereignishorizont. Insel Verlag, Berlin 2017. 122 Seiten, 14 Euro.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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