Philharmonisches Reisetagebuch:An die Musik

Lesezeit: 3 min

Immer volle Konzentration: Valery Gergiev bei der Arbeit. (Foto: Christian Beuke)

Valery Gergievs erste Reise mit den Philharmonikern - ein reines Glück

Von Egbert Tholl, Tokio

Nach dieser Reise muss man Einiges revidieren. Vor allem, was als eine Art Image in Deutschland kolportiert wird: Valery Gergiev ist nicht der Whisky trinkende Putin-Freund, der unentwegt überall auf der Welt dirigiert, ohne so recht zu wissen, welches Orchester gerade vor ihm sitzt. Gergiev ist ganz anders. Immer superpünktlich, gut gelaunt, lustig, exakt, nie müde, und offen gegenüber den Musikern.

Nehmen wir mal die Politik: Ein einziges Mal kommt während dieser Reise die Rede darauf, beim Abendessen mit ihm. Da spricht er kurz über das Flüchtlingsdrama, aber nicht als jemand, der die Nähe zur Macht kennt, sondern als Valery, der sich einfach nur Sorgen macht, wie das alles je ein gutes Ende nehmen soll. Wenn ihn etwas beschäftigt, wie etwa die immer weniger abstrakt werdende Angst vor Terror oder eben die Millionen Menschen, die durch die Welt irren und irgendwo eine Bleibe suchen, dann sagt er etwas dazu. Dass ihm dabei in der Vergangenheit das eine oder andere Malheur passiert ist, dass er einfach manchmal Unsinn verzapft hat, das gehört bei seiner Impulsivität dazu.

Natürlich wissen auch die Münchner Philharmoniker von diesen Äußerungen. Aber sie sind kein Thema hier. Ebenso wenig wie die Verfolgung Homosexueller in Russland. Mitarbeiter aus Gergievs engstem Umfeld sind schwul, in St. Petersburg leitet er ein Opernhaus mit einer Ballettkompagnie, natürlich sind auch einige der Philharmoniker homosexuell, wie halt überall, wo mehr als 100 Menschen zusammen sind. Na und? Hätte Gergiev ein Problem damit, er könnte seinen Job gleich aufgeben. Aus einer satten westlichen Sicht heraus eine Verpflichtung zu ethischem Handeln gemäß unseren Maßstäben abzuleiten, ist fast schon moralischer Kolonialismus. Natürlich wäre es schön, wäre Gergiev auch noch der Heros einer superdemokratischen Opposition. Aber man kann solches von ihm nicht verlangen.

Ich bin auf dieser Reise weder eingeladen noch unter Drogen gesetzt worden. Ich habe einfach nur zugeschaut und mit den Leuten geredet. Und festgestellt: Es gibt schon noch eine kleine, gesunde Skepsis im Orchester. Das ist gut so. Damals, als Thielemann kam, empfingen ihn die Musiker als Heilsbringer; als es auseinanderbrach, waren sie umso enttäuschter. Jetzt haben sie einfach große Freude, mit Gergiev Musik zu machen. Sie lieben seine Art zu proben, mit eben jener kleinen Skepsis - mal schau'n, ob er in zwei, drei Jahren immer noch so arbeitet. Aber vielleicht ist ja gerade die Möglichkeit, mit den Philharmonikern so arbeiten zu können, der Grund, weshalb er die Stelle annahm. Denn so eine Arbeit am Detail habe ich noch auf keiner Tournee erlebt. Und also auch nicht die gierige Konzentration, mit der die Musiker der Probe folgen. Die wollen ja lernen. Und zwar in dieser freundlichen, kollegialen Atmosphäre. Das Orchester hat sich deutlich verjüngt, es herrscht ein anderer Geist, auch das C-Wort fällt auf der Reise kaum. C ist Celibidache, der Begründer des philharmonischen Weltruhms, und auch ein bisschen ein Fluch. Wobei: Dass die Philharmoniker hier in Japan eine Spitzenmarke sind, das hatte Thielemann begründet; lange nach C, von dem man in Tokio viele halblegale Aufnahmen kaufen kann. Auf manchen der Plakate heute steht der Name des Orchesters größer als der von Gergiev, obwohl der in Asien einer der berühmtesten Dirigenten überhaupt ist.

Da fällt einem noch ein Witz ein, den Gergiev in Sendai erzählt hat. Ein berühmter Schriftsteller irgendwo im Hohen Norden, auf der Insel Kamtschatka, wurde einmal darauf hingewiesen, sein Werk erinnere an Puschkin, auch an Tolstoi oder Dostojewski. Darauf schaute der Dichter unverständig (und wenn er nur halbwegs so dreinschaute wie Gergiev es tut, als er dies erzählt, dann muss das sehr lustig ausgesehen haben) und meinte, das alles sage ihm gar nichts: "I'm not a reader, I'm a writer." Auf Kamtschatka hat Gergiev noch nicht dirigiert, dort gebe es höchstens "ein Orchester aus weißen Polarbären". Aber: Er, dessen Ideal in der Musik Natürlichkeit ist, ist Musiker, kein Musikredner. Auch wenn er viel über etwa Tschaikowski oder Schostakowitsch erzählen kann, so doch immer mit dem Nachsatz: ". . . so viel ich weiß".

Dabei klingt ja alles toll. Hier in der Suntory Hall eh, die einfach nur glücklich macht. Da fragen die Musiker immer wieder, ob man sich denn nun für den neuen Saal auf dem Pfanni-Gelände entschieden habe oder fürs Paketpostamt. Doch weder Gergiev noch Intendant Paul Müller kennen die Standorte so genau, um sich dazu im Detail äußern zu wollen. Gergievs Haltung ist eh die, dass es nie genug grandiose Säle geben könne. Bleibt noch die Frage nach dem Ausweichquartier, wenn der ganze Gasteig vielleicht wirklich einmal renoviert werden soll. Wird es Aubing? Paul Müller sagt nur: "Wenn es um ein Ausweichquartier geht, das über Jahre hinweg irgendwie funktionieren muss, hat man kaum die Qual der freien Wahl."

Das Ende: ein Triumph. Das ist zwar nicht ungewöhnlich in der Suntory Hall, aber die plastische Pracht von "Don Juan" (Strauss), die zwar nervenaufreibende, aber beeindruckende Kraft auch in Momenten liebreizender Akkuratesse bei Bruckners Vierter beeindruckten. Eine hell erleuchtete, klare Reise durch diese Werke. Nicht mehr, aber schon gar nicht weniger. Ein Erlebnis des Musizierens von Menschen, die dabei ungemein viel Freude haben und verursachen.

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: