Paris in Disneys "Ratatouille":Ratte sich, wer kann

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Der Film "Ratatouille" ist eine entzückende Hommage an das glanzvolle Paris. In welchen Restaurants bewegt sich Remy? Wo rennt er umher? Auf den Spuren einer kochenden Ratte.

Johannes Willms

Das Geheimnis einer alten, aber ewig jung bleibenden Liebe ist, dass man diese hartnäckig mit einem Bild von ihr verwechselt, das man sich einmal gemacht hat. Den derzeit wohl anregendsten und witzigsten Aufschluss dafür liefert der im vergangenen Jahr erfolgreich gestartete und vom Studio Disney-Pixar sehr aufwendig produzierte Animationsfilm "Ratatouille". Der Film erzählt die Geschichte der Ratte Remy, die den vermutlich unmöglichsten, abwegigsten und absurdesten Traum aller Träume träumt, in Paris ein großer Küchenchef zu werden, der mit seinen Rezepten Kritik wie Publikum verblüfft.

Die Ratte Remy würde alles tun, um an guten französischen Käse zu kommen. (Foto: Foto: AP)

Selbst in der Traumfabrik der Disney-Studios in Hollywood, die fast schon jeden kindgemäßen Traum wahr und wirklich werden ließen, hat man sich bislang an etwas derart Unausdenkbares, Unvorstellbares noch nicht gewagt. Zwar gründet sich der Ruhm und Ruf des Hauses, wie bekannt, auf die Figur der Mickey Mouse. Aber Mäuse, die zwar auch zu den Nagern und pelzigen Schädlingen gehören, gelten als niedlich und putzig, ein Image, das ihre erfolgreiche Verwandlung in liebenswürdige Clowns mit menschlichen Zügen und Verhaltensweisen entschieden nahelegte.

Die Ratte: Positiver Held

Ganz anders hingegen verhält es sich mit Ratten. Das "Genus rattus rattus rattus" ist zumindest im europäischen Kulturkreis aus vielen guten Gründen mit einer Ekelsperre bewehrt, denn Ratten sind die Wirtstiere von Flöhen, die allerhand tödliche Epidemien wie beispielsweise die Pest auf den Menschen übertragen können. Das vor allem rechtfertigt das Verdikt, das ihre unnachsichtige Ausrottung lizenziert.

Das erhellt aber auch, warum Ratten bislang nur als Schurken und so gut wie nie als positiv besetzte Helden auf die Leinwand kamen. Zumal gerade Märchenfilme, in denen zwar alles möglich ist, dennoch gewisse kulturelle Vorurteile und Schablonen respektieren müssen, um den Anklang zu finden, der über ihre Moral entscheidet, die sich schließlich im Erfolg verzinst.

Die Geltung dieser Schulweisheit ist nun von einer Ratte spektakulär überwunden worden: Remy, der Protagonist vom "Genus rattus rattus rattus" zertrümmert im Trickfilm "Ratatouille" das Tabu, das seinesgleichen bislang die Eignung, Handlungsträger in einem Märchen zu sein, rundweg absprach. Verblüffender noch: Die Ratte Remy reüssiert ausgerechnet in einem Handlungszusammenhang, in dem man wie in kaum einem anderen der Gattung mit diskreter, aber umso mörderischer gesinnter Feindschaft begegnet: der Haute Cuisine, den vom Glanz der Sterne bestrahlten kulinarischen Gnadenstätten, in denen Kochtopf-Gurus ebenso raffinierte wie teure Gaumengenüsse zubereiten und deren Ruf nichts abträglicher wäre als Ratten, die sich in der Küche tummeln.

Magische Traumwirklichkeit

Der Widerspruch könnte also kaum haarsträubender ausgedacht sein und beansprucht damit die selbst bei einem Märchen sehr weitgespannte Toleranz, etwas als vorstellbar zu akzeptieren, bis zum Äußersten. Doch gemach, denn selbst um das vermeintlich Unvorstellbare, den albtraumhaften Tabubruch schlechthin, den eine Ratte in der Küche eines Spitzenrestaurants vorstellt, in einer zu Herzen gehenden Weise zu vermitteln, muss man diese zum einen nur in einer dem Genre des Animationsfilms gemäßen Weise vermenschlichen, und zum anderen die Handlung in einer zwar märchenhaft verfremdeten, aber gleichzeitig sehr realen Traumkulisse spielen lassen.

Dafür bietet, nicht nur aus amerikanischer Perspektive betrachtet, Paris allemal die besten Voraussetzungen, denn im "alten Europa" ist dies noch immer die Stadt, mit der wohl die meisten Menschen Träume und Sehnsüchte verbinden. Schließlich gilt die alte Weisheit: "Paris will be always Paris", Paris wird, was immer auch passiert, Paris bleiben. Hier wie kaum anderswo lockt die Exotik des Altvertrauten, des charmant Gestrigen, des irgendwie romantisch Unvollkommenen, das mit einer Patina prunkt, die jedem Zeitgeist zu widerstehen scheint.

Mit etwas Geschick lässt sich die vorhandene Szenerie zu einer magischen Traumwirklichkeit steigern, die in das ein wenig müde, aber sehr transparente Licht eines mild-sonnigen Oktobernachmittags getaucht ist. Dazu muss man nur die Türme und Giebel etwas höher und spitzer erscheinen lassen, als sie in Wirklichkeit sich dem Augen darbieten, gilt es, die Dachlandschaft noch zerklüfteter zu zeigen, müssen alle Straßen gepflastert sein, auf denen Lieferungen noch mit dem Fahrrad besorgt werden, sind die einzigen Autos, die lediglich als Staffage dienen, die vor-vor-gestrigen Citroën DS.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Pariser Restaurants Sie besuchen müssen, um der kleinen Ratte Remy auf die Schliche zu kommen.

Außerdem bewirkt schon einen wunderbaren Verfremdungseffekt, der einem das Altvertraute wieder lebendig werden lässt, dass die Stadt konsequent aus der Perspektive einer Ratte gezeigt wird, die alle Dimensionen ins Gewaltige verzerrt und selbst der banalen Möblierung des Stadtraums ein Geheimnis verschafft. Das sind im Wesentlichen die Zutaten, die es braucht, um das vertraute Traumbild von Paris aufzurufen, die alte Liebe zu dieser Stadt wieder erblühen zu lassen.

Rattengift und Zuschnappfallen

Deshalb haben sich die Produzenten von "Ratatouille" mit der liebevollen und detailreichen Vergegenwärtigung von Paris, dessen Anmutung dadurch ins Magische gesteigert wird, alle erdenkliche Mühe gegeben. Mehr als 4500 Fotografien wurden gemacht, die nicht nur die großen Perspektiven, Häuser oder Straßenzüge, sondern vor allem auch kleinste und banalste Einzelheiten wie Simse, Fensterrahmen, Klinken, Rohre, Schrauben oder Schmuckornamente dokumentieren.

Dabei gelang auch manche überraschende Entdeckung. Beispielsweise die von "Les Etablissements Julien Aurouze", einem Ladengeschäft in der Nummer 8, Rue des Halles, in dem man alles erwerben kann, was der Mensch ersonnen hat, um Ratten den Garaus zu machen.

Der Protagonist von "Ratatouille", die Ratte Remy, gewahrt auf ihren nächtlichen Kreuz- und Querzügen durch Paris mit verständlichem Entsetzen dieses tatsächlich im I. Arrondissement gelegene Geschäft, das seinen Zweck nachdrücklich dadurch zu erkennen gibt, dass in seinem Schaufenster in mehreren Reihen übereinander präparierte Ratten hängen, denen das Zuschnappen einer stählernen Falle das Genick gebrochen hat. Der Laden dürfte zu einer Sehenswürdigkeit avancieren, allerdings darf man zweifeln, ob dadurch auch der Umsatz gesteigert wird.

Für Jim Capobianco, den "Story Supervisor" und einen der Autoren von "Ratatouille", war die Abgründigkeit dieser Geschäftsauslage jedoch nur ein dramaturgisches Element unter anderen, weshalb er konsequenterweise "Les Etablissements Julien Aurouze" pragmatisch-schlicht als "the extermination shop" bezeichnet.

Simulierte Speisen

Es sei ihm nachgesehen, denn er weiß nicht, dass bis zum Beginn der siebziger Jahre in diesem Stadtteil die zentralen Markthallen, der "Bauch von Paris", lagen, in denen täglich Hunderte Tonnen Frischfleisch, Fisch, Obst und Gemüse in Pavillons umgeschlagen wurden. Die Hallen von Paris waren damals eine wahre "Rattenfeste" und damit ein potentieller Seuchenherd mitten in der Millionenstadt. Daran erinnern die "Les Etablissements Julien Aurouze" noch heute.

Nein, am Aufwand, um dem filmischen Märchen eine möglichst lebenswirkliche Anmutung zu verschaffen, wurde nicht gegeizt, wie Jim Capobianco wortreich ausführte, der zu einer Presse-Veranstaltung aus Anlass der Präsentation einer DVD-Version von "Ratatouille" nach Paris gekommen war. So seien beispielsweise von ihm und seinen Kollegen eine Reihe von Küchen in Pariser Luxusrestaurants genau studiert, seien die Arbeitsabläufe in Ton und Bild festgehalten worden, um die Filmhandlung entsprechend realistisch gestalten zu können. Schließlich habe auch ein amerikanischer Spitzenkoch, Thomas Keller, der im kalifornischen Napa Valley das Nobelrestaurant "French Laundry" betreibt, mehr als 250 verschiedene Gerichte gekocht, damit das Produktionsteam genauen Aufschluss über das Aussehen der Speisen erhielt und dieses dementsprechend in Bilder umsetzen konnte, die am Computer simuliert wurden.

Kochen wie in Trance

All dieser Aufwand leistete einen unverzichtbaren Beitrag dazu, die unwahrscheinliche, in vieler Hinsicht aberwitzige Story dieses Märchens von der Ratte Remy, die es unbedingt zum großen Küchenchef in Paris - wo auch sonst - bringen will, in eine ebenso plausibel wie verzaubernd wirkende Handlung umzusetzen. Wie bei jedem guten Märchen ist diese vielschichtig angelegt, weshalb man "Ratatouille" auch als eine sehr abgründig-witzige Satire auf die zahllosen Koch- und Gourmetsendungen, die im Fernsehen allüberall Konjunktur haben, verstehen kann.

Auguste Gousteau ist der sprechende Name, den der Küchen-Papst von "Ratatouille" trägt und als dessen Vorbild im wirklichen Leben man Paul Bocuse vermuten darf, denn er mutet in Gehabe wie Sprechen wie dessen Karikatur an. Bocuses Ebenbild Gousteau kocht aber nicht wie jener in dem kleinen, aber seinetwegen weltberühmten Ort Collonges-au-Mont-d'Or bei Lyon, sondern war der berühmte Chef eines edlen Pariser Restaurants.

Das Vorbild dafür dürfte das unmittelbar an der Seine gelegene einstige Restaurant "Tour d'Argent" sein, dessen Glanz und Ruf unterdessen zwar stark ramponiert sind, dem aber Amerikaner und Japaner unverbrüchliche Treue halten. Auguste Gousteaus Ruhm und Ruf wurden der Ratte Remy zum Vorbild, weil der Starkoch auch der Animateur einer Kochsendung im Fernsehen war, dessen Slogan, "Jeder kann kochen", sie sich derart zu Herzen nahm, dass sie, wiewohl eine Ratte, selber ein berühmter Koch werden wollte.

Das ist der Plot des Märchens, zu dem eben auch gehört, dass Auguste Gousteau den Ehrgeiz von Remy immer wieder mit allerhand guten Ratschlägen in die richtigen Bahnen zu lenken sucht. Das wird dadurch möglich, dass Gousteau, der aus Gram darüber, dass seine Küche durch einen Kritiker zwei ihrer fünf Sterne verliert, stirbt, der Ratte Remy immer wieder als guter Geist erscheint. Remy verbündet sich dann mit einem anderen Außenseiter, dem reichlich tumben Küchengehilfen Linguini, unter dessen Küchenhaube die Ratte sich versteckt.

Indem sie Linguini an den Haaren zupft, macht die Ratte aus ihm eine Marionette, die wie in Trance die in der Restaurantküche bereitstehenden Zutaten in köstliche Speisen verwandelt - die verblüffen mit ihrer Qualität selbst den gefürchteten Kritiker Ego. Mittels einer Ratte, die sich ihrerseits des Einfaltspinsels Linguini bedient, gelingt dem toten Auguste Gousteau also der wahrhaft märchenhafte Erfolg, die Behauptung seines Slogans, "Jeder kann kochen", als richtig zu erweisen. Im Märchen ist eben, wie Hollywood einmal mehr zeigt, alles möglich, selbst eine Ratte, die vorzüglich kocht.

© SZaW vom 26./27.1.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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