PAM:Ein Loblied auf Timofei

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Mit Stanniolpapier verkleidet ist die Decke der Ost-West-Friedenskirche auf dem Oberwiesenfeld. (Foto: Leah Kawka)

Die Warschauer Künstlerin Aleksandra Wasilkowska in der Ost-West-Friedenskirche

Von Jürgen Moises, München

Der Flieder, die Obstbäume und die roten Tulpen im Garten blühen, und nachdem vor ein paar Tagen die Fassade neu gestrichen wurde, erstrahlt auch die Kirche in frischen weiß-blauen Farben. Wer derzeit das Gelände um die Ost-West-Friedenskirche auf dem Oberwiesenfeld betritt, der landet an einem idyllischen, friedlichen Ort. In einer grünen Oase mitten auf dem Schotterplatz, auf dem jeden Sommer das Tollwood-Festival stattfindet. Geschaffen haben sie Väterchen Timofei und seine Frau Natascha vor mehr als 60 Jahren. Der Legende nach aus Kriegsschutt, und weil der aus Russland stammende Timofei Wassiljewitsch Prochorow 1952 in einer Marienvision den Auftrag dazu bekam.

Dass der laut Christian Ude "charmanteste Schwarzbau Münchens" heute noch steht und man ihn genauso wie das zugehörige Wohnhaus, das kleine Museum und die Kapelle täglich besichtigen kann, das könnte man durchaus ein kleines Wunder nennen. Denn als es um die Gestaltung des Geländes für die Olympischen Spiele 1972 ging, sollten die illegalen Bauten eigentlich verschwinden. Aber in der Münchner Bevölkerung gab es Protest, und schließlich ließ sich Architekt Günter Behnisch dazu überreden, das Olympiagelände weiter nach Norden zu verlegen. Außerdem soll ihn die mit silbernem Stanniolpapier ausgekleidete Kirchendecke zur Form des Olympiadachs inspiriert haben.

Genau diese Decke wird Aleksandra Wasilkowska am Montag in Bewegung setzen. Oder genau gesagt: Es wird eine bereits eingezogene, zweite Decke sein, welche die Warschauer Künstlerin und Architektin als Eröffnungsaktion von PAM 2018 mithilfe von Ventilatoren und Projektionen zum "Schweben" bringt. "Gold für Natascha, Silber für Timofei" heißt ihre Installation, die nur an diesem Tag von 16 bis 19 Uhr in dem mit unzähligen Heiligen- und Andachtsbildern, Kerzen, Blumen und Statuen ausstaffierten Raum in Aktion zu erleben sein wird. Am 1. Mai kann man sie noch in reduzierter Form in der Kirche sehen, die seit Timofeis Tod im Jahr 2004 von Sergey Kokasin mit Unterstützung der Stiftung Ost-West-Kirche erhalten und gepflegt wird. Vom 3. Mai an wird die Decke dann für vier Wochen in der Artothek schweben.

Wasilkowska versteht ihre Installation als Tribut an die Stadt als sozialem Organismus, in dem "partizipative Techniken" und "die Fantasie von Neuankömmlingen wie Timofei" eine "ebenso wichtige Rolle spielen wie systematisch-hierarchische Planungsprozesse". Man könnte auch sagen: Sie ist ein Loblied auf den Mut und die Gestaltungskraft des Einzelnen. Und auf Menschen, die, obwohl sie Außenseiter der Gesellschaft sind, diese mitgestalten und verändern wollen. Wie eben Timofei, der seine Kirche als Symbol der Vermittlung zwischen Ost und West und zwischen den verschiedenen Kirchen verstand. Gemäß dem über dem Eingang geschriebenen Johannes-Wort, "daß alle eins seien".

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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