Pädophilie im Vatikan:Kinder der Kirche

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"Sex, crimes and the Vatican": Ein BBC-Film über pädophile Kleriker im Vatikan bringt Italien auf. Hat Joseph Ratzinger als Chef der Glaubenskongregation die Vorfälle vertuscht?

Stefan Ulrich

Michele Santoro ist kein zurückhaltender Mann. Normalerweise tritt der linke Star-Moderator des italienischen Staatsfernsehens Rai ziemlich forsch auf. Am Donnerstag aber stakste Santoro so vorsichtig durch seine Talkshow, als überschreite er Glasscherben. Drei Mal betonte er, es gehe hier um Einzelfälle und nicht um einen Generalangriff auf die Kirche. Die Vorsicht war angebracht. Schließlich bewegte sich Santoro an diesem Abend auf schwierigem Terrain: Er zeigte die BBC-Dokumentation "Sex, crimes and the Vatican", die schwere Vorwürfe gegen die Kirche und den Papst enthält. Danach soll der Vatikan in Mafia-Manier über Jahrzehnte versucht haben, sexuelle Übergriffe von Priestern auf Kinder unter einem Mantel des Schweigens zu verbergen und die Strafverfolgung zu behindern.

Papst Benedikt XVI. bei der Versammlung der italienischen Bischöfe am 24. Mai. (Foto: Foto: dpa)

Colm O'Gorman, der irische Autor des Films, belegt an Fällen aus seiner Heimat, den USA und Brasilien, wie katholische Pfarrer Jungen und Mädchen missbrauchten. Statt dafür bestraft und aus dem Kirchendienst verbannt zu werden, schoben manche Ortsbischöfe die Täter von einer Pfarrei in die nächste, wo diese ihre Verbrechen fortsetzten. Der Dokumentation zufolge steckte dahinter eine Strategie des Vertuschens, die Joseph Ratzinger als langjähriger Chef der Glaubenskongregation im Vatikan mit zu verantworten habe. Die Kirche habe sich nicht um die Opfer geschert, sondern danach getrachtet, ihr Bild in der Öffentlichkeit rein zu halten, suggeriert der erschütternde Dokumentarfilm.

Doch das Werk hat auch Schwächen. So werden die Vorwürfe nicht hinterfragt. Verteidiger der Kirche kommen kaum zu Wort, aus Einzelfällen wird ein Totalversagen konstruiert. Dabei stützt sich O'Gorman, der als Kind selbst von einem Geistlichen missbraucht wurde, auf Dokumente der Kurie, die - teils offensichtlich fälschlich - Kardinal Ratzinger zugeschrieben werden. Diese Erlasse sehen eine Bündelung kirchlicher Missbrauchsverfahren beim Vatikan vor und ordnen Geheimhaltung an - für O'Gorman ein Beweis der Vertuschungs-Absicht. Kirchenvertreter bezeichnen diese Auslegung als böswillig. Der BBC-Film wolle den Papst anschwärzen und die Kirche mundtot machen. Von einer ,,niederträchtigen Verleumdung'' schreibt die katholische Zeitung L'Avvenire.

Darf das Staatsfernsehen Rai im katholisch geprägten Italien einen solchen Film senden? Nein, antworteten viele Politiker von Rechts bis Mitte-Links. Mario Landolfi, der Chef der Kontrollkommission der Rai, warf Santoro vor, er wolle den Film als ,,öffentliches Hinrichtungskommando gegen Kirche und Papst'' nutzen. Ausgerechnet die Bischofskonferenz aber befand: ,,Wir wollen keine Zensur.'' Und nicht nur das: Der Vatikan schickte sogar den Rektor der Lateran-Universität, Rino Fisichella, in die Talk-Runde, um über den BBC-Film zu diskutieren.

Dem eloquenten Monsignore gelang es, einige Punkte zurecht zu rücken. Er betonte, die Kurie habe die Missbrauchsfälle nicht deshalb an sich gezogen, um etwas zu vertuschen, sondern um die Aufklärung voranzutreiben. Übergriffe von Priestern auf Kinder zählten zu den grauenhaftesten Verbrechen. ,,Dabei darf es kein Schweigen geben.'' Vielmehr fordere die Kirche alle Menschen auf: ,,Wer von solchen Dingen erfährt, muss sie anzeigen.'' Doch auch O'Gorman hatte in der TV-Debatte einen starken Auftritt. Mehrmals habe er den Vatikan um Stellungnahme gebeten, ohne Antwort zu bekommen. Zudem habe die Kurie in den Missbrauchsfällen immer nur auf Druck der Öffentlichkeit und nicht aus eigener Einsicht agiert. Bis heute fehle dem Vatikan ein Konzept, Kinder weltweit vor Übergriffen pädophiler Priester zu schützen.

Die Kirche wird sich noch vielen drängenden Fragen stellen müssen. In Santoros Sendung hat sie zumindest demonstriert, dass sie dazu bereit ist - und so ihren übereifrigen Verteidigern in der italienischen Politik ein Beispiel gegeben.

© SZ vom 2./3.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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