Oswalt Kolle: "Ich bin so frei.":Wichtig ist: Was willst Du?

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Oswalt Kolle, der Erforscher des deutschen Beischlafs, legt in seinem achtzigsten Lebensjahr seine Autobiographie vor. Sie belegt, dass die sexuelle Befreiung hauptsächlich ein Spaß der Männer war.

V. Mayer

Die Filme sagen eigentlich alles. Mann und Frau, nackt und mit viel Haaren, wie sie sich umarmen, aufeinanderliegen oder eine Kissenschlacht veranstalten, dazu Kommentare wie dieser hier: "Die Frau wird durch orale Techniken besonders befriedigt. Sie genießt den Cunnilingus."

Oswalt Kolle mit Ehefrau Marlies - eine Marke wie Blumenkinder oder Alice Schwarzer. (Foto: Foto: AP)

In den Aufklärungsfilmen von Oswalt Kolle werden die Menschen im Bett beobachtet wie Tiere in der freien Wildbahn, mit einer heute ziemlich ironisch wirkenden Mischung aus angeregtem Interesse und weichgezeichneter Anschaulichkeit.

Und dann die Titel der Filme: "Dein Mann, das unbekannte Wesen", "Deine Frau, das unbekannte Wesen", "Dein Kind, das unbekannte Wesen", "Das Wunder der Liebe". Wir befinden uns in den sechziger Jahren, der Weltraum wird erforscht und der Mond, also warum nicht auch Mann, Frau und Kind?

Oswalt Kolle gilt als der Erforscher des deutschen Beischlafs, sein Name ist eine Marke wie Blumenkinder oder Alice Schwarzer.

Kolles Filme trafen den Nerv einer Zeit, die schon liberal genug war, sich im Kino Sexklamotten (Franz Antel!) anzugucken, aber noch zu verklemmt, um dabei ohne Zensur auszukommen.

"Der Schwanz bleibt drin!"

In diesem Zusammenhang erzählt Oswalt Kolle in seinem neuen Buch "Ich bin so frei" eine nette Anekdote aus der Freiwilligen Selbstkontrolle, als elf Männer und eine Frau über die Freigabe des Films "Dein Mann, das unbekannte Wesen" zu befinden hatten.

Die elf Männer verlangten unisono, eine Szene mit einem Penis aus dem Film zu schneiden, da so etwas auf der großen Leinwand nicht gehe. Die Frau soll daraufhin gesagt haben: "Der Schwanz bleibt drin!"

Als die Achtundsechziger Sex als etwas Politisches ansahen und die freie Liebe auch die letzten WG-Matratzen erreicht hatte, wurde es still um den Aufklärer der Nation.

Kolle schrieb noch Texte für Beate Uhse und für Zeitschriften, später hielt er im Auftrag eines Pharmaunternehmens Vorträge über Frigidität, Impotenz und Alterssexualität.

Ein Sittenbild der deutschen Medien

Fürs Privatfernsehen dreht er die fünfteilige Serie "Sexualreport 2008", und er tritt immer mal wieder in Talkshows auf und spricht über die Pornographisierung der Gesellschaft. Jetzt, in seinem 80. Lebensjahr, hat er seine Autobiographie vorgelegt.

"Ich bin so frei" beginnt nicht als Bestandsaufnahme deutschen Sexualverhaltens, sondern als Sittenbild der deutschen Medien.

Kolle, 1928 als Sohn des Psychiaters Kurt Kolle in gutbürgerlichen Verhältnissen groß geworden, machte nach dem Krieg Karriere als Boulevard-Journalist. Erst in Frankfurt, dann bei der neu gegründeten Bild-Zeitung in Hamburg.

Dort machte er, was von einem Bild-Mitarbeiter Mitte der fünfziger Jahre verlangt wurde: Storys über die Eheprobleme einer Opernsängerin oder darüber, dass Romy Schneider angeblich entjungfert worden sei. " Bild, das merkte ich schnell, war eher ein Märchenblatt als eine Zeitung."

Lesen Sie auf der zweiten Seite, was Kolles Ehefrau Marlies alles über sich ergehen lassen musste.

Dazwischen schrieb er Texte, die von Anzeigenkunden bezahlt wurden, durfte ordentlich Spesen machen, und einer der Chefs bei Springer bot ihm sogar an, auf Verlagskosten ein Edelbordell auf der Reeperbahn zu besuchen. Doch Kolle behagte, wie er es nennt, "die Richtung nicht", und er wechselte zum Berliner Boulevardblatt B.Z. Dort, als Society-Reporter, fühlte er sich angekommen: Theater, Berlinale, Hildegard Knef - das Leben "eine turbulente Pressekomödie à la Billy Wilder".

Anfang der sechziger Jahre ist aus Kolle ein richtiges Boulevard-Urgestein geworden, nah dran an den Intimzonen der Stars und journalistisch getrimmt auf das wichtigste Genre der Zeit: die Fortsetzungsserie.

Für die Illustrierte Quick (das war die mit den Nackten und Nick Knatterton) konzipierte er zwei Serien, die den Beginn einer gewaltigen Verwertungskette bilden sollten, Arbeitstitel: "Deutscher Mann, das ist deine Frau" und "Deutsche Frau, das ist dein Mann". Das klingt ein bisschen wie Loriot, und tatsächlich schlug er Loriot vor, die Serie zu illustrieren. Ein weiterer Quick-Mitarbeiter hieß übrigens Johannes Mario Simmel.

Aus Kolles Serien (die dann in der Neuen Revue erschienen) wurden Bücher, aus den Büchern wurden Filme, die 140 Millionen Menschen auf der ganzen Welt sahen.

Der Rest klingt wie eine Episode aus dem Leben von Gunter Sachs: Kolle schwamm im Geld, hatte Frauen, Autos und ein Haus auf Sylt. Im kultivierten Plauderton eines in Würde gealterten Dandys ist "Ich bin so frei" dann auch verfasst.

Augenzwinkerndes Preisen der eigenen Vorzüge

Kolle erzählt ein Leben in Anekdoten, vom ersten Kuss über das glamouröse Nachtleben in Berlin bis zu den Marotten seiner Chefs. Er streift das gesellschaftliche und politische Klima, in dem seine Filme entstehen, viel Platz nehmen die Verhandlungen mit der Bundesprüfstelle oder der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ein.

Außerdem hagelte es immer wieder Anzeigen wegen Verbreitung pornographischer Schriften, und die Kirchen sahen sehr oft die abendländischen Werte gefährdet. Wobei vor allem Kolles Ausflüge in die Sprache der fünfziger Jahre ihren Charme haben: "Die Angst vor ungewollter Schwangerschaft war ein Riesenproblem für alle jungen Paare. Man lebte im Vierwochenrhythmus. Die Frage war stets: Kommt rot oder kommt rot nicht?"

Kolle bleibt dabei angenehm undoktrinär, er muss mit niemandem abrechnen, nicht einmal mit den Achtundsechzigern, die in ihm einen "scheinliberalen Spießer" sahen. Man folgt ihm wie einem reizenden älteren Herrn, der ins Reden gekommen ist.

Das augenzwinkernde Preisen der eigenen Vorzüge darf natürlich nicht fehlen: "Mir flogen die Mädchenherzen zu. Ich war Arztsohn, ein hübscher Kerl, geschniegelt, Zigarette im Mundwinkel, die Haare mit Pomade nach hinten gekämmt. Mein Blick war konstant melancholisch, was, wie ich nur jedem empfehlen kann, bei Frauen viel besser ankommt als penetrant gute Laune."

"Mein Leben" lautet der Untertitel von Kolles Autobiographie. Allerdings ist nach den siebziger Jahren schnell Schluss. Gerade zwanzig Seiten sind dem Leben nach dem Ruhm gewidmet, das Kolle mit seiner Frau und den Kindern in Holland verbrachte.

Ach ja, die Ehefrau. 48 Jahre war Kolle verheiratet, und Marlies Kolle, genannt "meine kleine Engländerin", musste an seiner Seite einiges mitmachen. Kolle küsste schon vor der Hochzeit eine andere, gab sich seiner Bisexualität hin und hatte zahlreiche Affären, unter anderem mit Romy Schneider, über die er in seinem Buch auch ausführlich berichtet.

Man traf sich in Kitzbühel, Kolle flog zu ihr nach Paris, Marlies Kolle blieb indessen zu Hause bei der Familie. Sie war es auch, die ihm den Rücken freihielt, drei Kinder großzog und in Kolles Memoiren solche Sätze sagt: "Wichtig ist: Was willst du? Und was du willst, das musst du tun. Und dann fügte sie wie immer an: "Wir kommen schon durch. Ich kann auch putzen gehen."

Eine Ehefrau, die bereit ist, putzen zu gehen, damit der Mann seine Ideale der Libertinage leben kann - Kolles Autobiographie belegt nicht zuletzt eine alte Erkenntnis: Dass die sexuelle Befreiung hauptsächlich ein Spaß der Männer war.

Oswalt Kolle: Ich bin so frei. Mein Leben. Rowohlt Berlin, Berlin 2008. 312Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 30.08.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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