Ostalgie im Fernsehen:Seid bereit? Immer bereit!

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Die Ost-Shows sind unter uns: Viele Kessel Buntes im Fernsehen, und die DDR war ja wohl kein finsteres KZ.

Von MARCUS JAUER

(SZ vom 22.08.2003) — Vor vier Jahren erschien im Reportermagazin des Spiegel eine Enthüllungsstory über Kai Pflaume, Ulrich Mühe und Christiane Gerboth. Ein Showmaster, ein Schauspieler, eine Moderatorin - und alle verband sie dasselbe Geheimnis. "Sie sind Medienstars und wirken, als kämen sie aus dem Westen." Kamen sie aber nicht. Es sind Ostdeutsche.

Laut FAZ der "Supergau des Unterhaltungsfernsehens" - die Ostalgie Show im ZDF. (Foto: Foto: AP)

Die Geschichte war ein wenig unheimlich. Sie spielte mit dem Schrecken, der sich einstellt, wenn sich Vertrautes plötzlich in Fremdes verwandelt. Und sie spielte mit der Angst, dieses Fremde könnte auch noch überlegen sein. Ihr Titel lautete: "Die Superwessis".

Hätscheln der DDR

Inzwischen ist das Magazin abgewickelt wie der Staat der Arbeiter und Bauern. So hat niemand diese Ostdeutschen, denen man ihre Herkunft nicht ansieht, im Auge behalten. Sie konnten unbemerkt in Schlüsselstellungen gelangen und haben nun offenbar das Westfernsehen unter ihre Kontrolle gebracht. Jetzt machen sie dort, was sie wollen. Also das, was sie sich bisher nicht getraut haben - sie hätscheln die DDR.

Vergangenen Sonntag im ZDF. Heute, Freitag, im MDR. Morgen auf Sat 1. Dann auf RTL und später auf Pro Sieben. Überall Osten. Überall Ostalgie.

Es ist, als gehe es auf eine geheime Verabredung zurück, als hätten sich vor Wochen alle Fernseh-Kader getroffen, in einem verspiegelten, klimatisierten Politbüro vielleicht, und dort haben sie dann entschieden, nun nach dem Kinoerfolg von Good bye, Lenin! sei die Zeit reif für eine erste Demonstration der Macht.

Beim ZDF sah das dann so aus: Die Moderatorin Andrea Kiewel, geboren in Ostberlin, steht im Mainzer Fernsehgarten, gerade ist ihr Publikum mit DDR-Pralinen beregnet worden, da ballt sie die rechte Faust und ruft: "Für Frieden und Sozialismus - seid bereit?" Und 500 Zuschauer antworten: "Immer bereit!"

In den folgenden 90 Minuten reihten Frau Kiewel und Co-Moderator Marco Schreyl, geboren in Erfurt, im Minutentakt Verblichenes aneinander. Stars, die keine mehr sind. Produkte, die es nicht mehr gibt. Lieder, die keiner mehr hört. Dazu kicherten sie und fragten: "Weißt Du noch?" Sie wussten. Nur der Westzuschauer, der wusste nicht, und es wurde ihm auch nicht erklärt, sonst hätten sich die Ostler ja nicht über ihn amüsieren können, nur weil er nicht weiß, was ein Abschnittsbevollmächtiger ist.

Man sollte also froh sein, dass Sat 1 den Boxer Axel Schulz noch überzeugen konnte, Die ultimative Ostshow gemeinsam mit dem Westler Ulrich Meyer zu moderieren. So kann der wenigstens fragen, wenn er was nicht versteht. Meyer, heißt es aus dem Sender, bringe "die Kompetenz des erfahrenen Journalisten" ein. Schulz "die des im Osten Geborenen". Das hört sich läppisch an, täuscht aber.

Axel Schulz ist ein Mann, der jahrelang davon ausging, zur Weltspitze zu gehören, dann den wichtigsten Kampf seiner Karriere verlor, sich wegen einer umstrittenen Ringrichterentscheidung aber später als moralischer Sieger fühlte. Mehr Kompetenz in Sachen Lebensgefühl Ost lässt sich schwer finden.

Das ist bei Katarina Witt anders. Sie wohnte schon in Amerika, sie hatte es geschafft. Trotzdem saß sie vor ein paar Wochen in Hamburg unter einem Banner, auf dem stand "Mein Arbeitsplatz - mein Kampfplatz für den Frieden", weil sie gemeinsam mit Oliver Geißen die DDR-Show von RTL moderieren wird. Vielleicht macht sie es ja aus Überzeugung, oder weil sie zu den Besten gehören will.

RTL hat nämlich von allen Sender am frühesten begonnen, seine Ostalgie zu planen und wahrscheinlich wird sie deshalb auch am besten gelingen. Das Problem aller Ostshows ist es ja nicht, Trabikolonnen über eine Bühne fahren zu lassen oder Bilder aus der DDR-Werbung und der Aktuellen Kamera zu zeigen oder im Studio einen Konsumladen aufzubauen. Das Problem ist eher, welche Gäste man in eine solche Kulisse setzt.

Ansturm auf die Verbliebenen

Schien es noch nach der Wende so, als sei der größte Makel der Oststars, dass sie nicht gut genug fürs Westfernsehen sind, stellte sich nun heraus, dass es nicht genug von ihnen gibt. Einige waren tot, einige nicht vorzeigbar, einige selbst in der DDR nicht richtig bekannt gewesen. So begann der Ansturm auf die verbliebenen, und nur Exklusivverträge konnten das senderübergreifende Comeback von Wolfgang Lippert verhindern.

Am Ende singen nun die Puhdys und Karat für RTL, Sat 1 sicherte sich Frank Schöbel (der Peter Kraus der DDR) und Gojko Mitic (der Winnetou des Ostens). Das ZDF musste nehmen, was übrig blieb. Und der MDR, der auch auf der Welle mitschwimmen wollte, hat wohl eine Show, die er sowieso im Programm hatte, nur schnell in Ein Kessel DDR umbenannt. Hier grüßt Gunther Emmerlich mit "Freundschaft", und Co-Moderatorin Franziska Schenk mit "Druschba". Und das muss auch keiner übersetzen.

So machen alle mit beim Ostfernsehen, nur die Bürgerrechtler nicht, weil nicht über Mauer, Stasi, Doping geredet wird. Dies sei eine DDR, von der die SED immer behauptet habe, dass sie so existiere, sagt Vera Lengsfeld. Rainer Eppelmann sieht eine "fürchterliche Bagatellisierung der DDR" und Günter Nooke fragt, was das wohl für ein Geschrei gewesen wäre, wenn nicht Kati Witt eine DDR-Show, sondern Johannes Heesters eine Dritte-Reich-Show moderieren würde?

Wie immer gelang es erst Manfred Stolpe, den schiefen Vergleich wieder gerade zu biegen. Es sei ein Fehler, sagte er, "auf Dauer so zu tun, als wäre die DDR nur ein finsteres KZ gewesen."

Angesichts dieses Programms fragt der Zuschauer (West) ängstlich, was da auf ihn zukommt. Wird Günther Jauch bald Wer wird Sekretär? moderieren? Wird es Big Brother in der Prager Botschaft geben - Preis: eine Ausreise?

Nun, zumindest die Frankfurter Allgemeine will es soweit nicht kommen lassen und warnte nach der ZDF-Show, dieser "Supergau des Unterhaltungsfernsehens" sei "ein Fall für den Fernsehrat".

Schön, wenn wenigstens einer der Welle Widerstand leistet. Doch leider, auch die Wertehüter aus Frankfurt werden die Wasser nicht halten. Sie sind schon überall. Vor kurzem erschien eine CD , die Johann Georg Reißmüller besungen hat. Er war lange Herausgeber der FAZ und hat Kommentare geschrieben, die ihm den Titel "Kommunistenfresser" einbrachten. Nach dem Abschied aber erhob der Mann die konservative Stimme nur noch zum Text von Arbeiterkampfliedern aus der DDR. Und ein Klavier begleitete ihn.

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