Oskar Schlemmers Erbe:Wie ein Künstler verschwindet

Lesezeit: 3 min

Ein Familienstreit lässt das Werk des Malers und Bildhauers Oskar Schlemmer langsam aber sicher abtauchen.

Adrienne Braun

Wenn einige deutsche Museen in den kommenden Wochen Post von der Familie Schlemmer erhalten, verheißt das nichts Gutes. Denn Janine Schlemmer, die Enkelin des Malers Oskar Schlemmer (1888 bis 1943), hat damit begonnen, Leihverträge der Werke ihres Großvaters zu kündigen.

Werke Schlemmers, wie hier in der Pinakothek der Moderne in München könnten rar werden. (Foto: Foto: dpa)

Im Laufe des Jahres sollen bereits Bilder versteigert werden, wie ihr Anwaltsbüro erklärt. 127 Werke aus der Erbmasse des Bauhaus-Künstlers befinden sich derzeit noch als Leihgaben in Museen in Wien, Basel, Baltimore, Lugano und Stuttgart.

Damit ist der Fall eingetreten, den Janine Schlemmer mit allen Mitteln verhindern wollte. Sie ist gleichberechtigte Erbin mit ihrer Tante, der Schlemmer-Tochter Ute Jaina (85), deren Geschäfte aber ihr Sohn Raman (58) führt. Die beiden sollen 2500 bis 3000 Werke aus der Erbmasse unter Verschluss halten, um der Miterbin ihren Anteil trotz diverser Gerichtsbeschlüsse vorzuenthalten.

Deshalb hatte sich Janine Schlemmer im April mit ihrem Anwalt Walter Hagena an die Öffentlichkeit gerichtet - in der Hoffnung, ihre Familie zu Gesprächen bewegen zu können. Aber auch die diversen Medienberichte konnten Raman Schlemmer nicht an den Verhandlungstisch bringen.

"Es kommt nichts Vernünftiges von denen", heißt es nun im Anwaltsbüro Hagena, deshalb habe man "erste Maßnahmen eingeleitet." Auch eine schriftliche Stellungnahme, mit der sich Raman im Mai an die SZ wenden wollte, ist bis heute nicht angekommen.

Die Angelegenheit ist fatal. Denn es geht nicht nur um das millionenschwere Erbe einer einzelnen Person, sondern auch darum, dass so das Werk Oskar Schlemmers zunehmend aus der Öffentlichkeit verschwindet. Der in Stuttgart geborene Künstler gehört zu den wichtigsten Repräsentanten des Bauhauses. Sein Thema ist die Figur im Raum, verbunden mit der Vision eines neuen Menschenbildes. In kaum einer neuen Publikation finden sich aber noch Abbildungen aus seinem Werk.

So sind in dem Katalog zur Ausstellung "Laboratorium Lack" im Kunstmuseum Stuttgart auf 17 Seiten leere Flächen zu sehen, auf denen eigentlich Werke von Schlemmer hätten gezeigt werden sollen. Es ist nicht das erste Buch, bei dem Raman Schlemmer Abbildungen kurzfristig verhinderte - mitunter auch durch hohe Honorarforderungen. Dass Museen darüber meist nicht sprechen, soll dem Vernehmen nach daran liegen, dass sie sich zu Stillschweigen verpflichten müssen.

Auch Ausstellungen mit Werken Schlemmers sind kaum mehr möglich. 1977 fand in Stuttgart die letzte Retrospektive statt. Kaum ein Museum leiht noch ein Werk aus, weil ernsthaft Gefahr besteht, dass es nicht mehr zurückkommt. Als das MoMA in New York Schlemmers Hauptwerk "Bauhaustreppe" (1932) nach Berlin auslieh für die Ausstellung "Das XX. Jahrhundert", erwirkte Raman Schlemmer eine einstweilige Verfügung, die allerdings erst kam, als das Bild schon auf der Rückreise war.

Das Gemälde sei 1933 nicht rechtmäßig erworben worden - ein von Raman Schlemmer immer wieder geäußerter Vorwurf, mit dem in den vergangenen Jahren nicht nur Museen, sondern auch Privatsammler konfrontiert wurden.

Geheime Lager in der Schweiz

Zahllose Werke, behauptet Janine Schlemmer, wurden auf solchem Wege in den Besitz ihrer Tante geschafft. Leihverträge mit Museen seien ohne Absprache mit ihr gekündigt worden, in anderen Fällen habe man Arbeiten geliehen, aber nicht mehr zurückgegeben. So sei zum Beispiel das gesamte Bildmaterial zum Bauhaus-Unterricht "Der Mensch" aus dem Bauhaus-Archiv in Berlin heraus geholt worden und ist seither verschwunden.

Diese ihrer Einschätzung nach 2500 bis 3000 Werke lagerten vermutlich in der Schweiz, man wisse von Werken, die über Lörrach ausgeführt worden seien. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Tante Auskunft über Umfang und Verbleib des Nachlasses geben muss. "Aber es ist nichts passiert", sagt Janine Schlemmer. Es gebe zwar Zwangsmittel, erklärt ihr Anwalt Hagena, "doch die müssten in Italien oder der Schweiz vollstreckt werden". Das sei schwierig und sehr teuer.

Da das Gesetz bei Erbstreitigkeiten den Verkauf vorsieht, sollen nun die 127 Schlemmer-Werke, die noch als Leihgaben in Museen hängen, verkauft werden. "Es geht mir nicht ums Geld", beteuert Janina Schlemmer. Sie wolle vor allem sicherstellen, dass das Werk ihres Großvaters nicht gänzlich aus der Öffentlichkeit entweiche. "Eine große Retrospektive in Deutschland wäre wunderbar."

© SZ vom 12.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: