Orgel-Historie:Aus Byzanz nach Europa

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Der Organist Michael Hartmann über den Werdegang der Orgel

Interview von Rita Argauer

Orgeln sind riesige und überaus komplexe Maschinen. Der Münchner Musiker, Orgelexperte und Hochschulprofessor Michael Hartmann erklärt, was es mit dem deutschen Orgelbau auf sich hat.

SZ: Wie hat sich ein so kompliziertes Instrument, wie die Orgel, entwickelt?

Michael Hartmann: Die Orgel wurde ursprünglich aus Byzanz nach Mitteleuropa gebracht. 811 übergab man in Aachen Karl dem Großen eine kleine Orgel. Sie wurde am byzantinischen Kaiserhof gespielt, immer dann wenn der Kaiser gesprochen hat. So bekam die Orgel ihre emblematische Bedeutung: Wenn der Kaiser spricht, tönt der ganze Kosmos. Und über diese Schiene gelangte die Orgel dann in den Gottesdienst, denn was für den Kaiser galt, gilt potenziert für Gott und seinen Sohn, den Logos.

Entstand um diese Zeit auch der deutsche Orgelbau, der nun von der Unesco zum Immateriellen Kulturerbe erklärt wurde?

Die Orgeln, die wir heute noch kennen, haben sich vom 15. Jahrhundert an entwickelt. Die Technik entstand gemeinschaftlich in Mitteleuropa, in Italien genauso, wie in Deutschland oder den Niederlanden. Für diesen deutschen Orgelbau, der jetzt so gewürdigt wurde, kommen jedoch zwei Aspekte zusammen: Durch die Reformation und vor allem durch Martin Luthers Kirchenlieder wurde die Musik im Gottesdienst wichtiger und dadurch weiterentwickelt. Und in Deutschland hat man dann noch den Glücksfall, dass zwei der größten Komponisten, Bach und Händel, auch hervorragende Organisten waren und viel für Orgel komponiert haben.

Und dafür brauchte es neue Instrumente?

Für die aufkommende Virtuosität brauchte es auf der Orgel mehr Möglichkeiten. So haben sich Komponisten und Orgelbauer immer wieder gegenseitig beeinflusst. Aber es gibt auch heute noch Unterschiede zwischen süddeutschen Orgeln in katholischen Barockkirchen und etwa den Orgeln in Sachsen und Thüringen.

Warum?

Zwar wurde auch in der katholischen Liturgie die Musik wichtiger, doch die Orgeln in den Barockkirchen in Süddeutschland sind vergleichsweise klein. Nicht äußerlich, die sehen oft sehr opulent aus, doch das Orgelwerk im Inneren ist relativ klein. Manche Stücke von Bach kann man auf solchen Instrumenten gar nicht spielen, weil etwa dessen Toccaten einen größeren Tonumfang im Pedal brauchen.

Das heißt, jede Orgel ist anders, und man kann nicht auf jeder Orgel das gesamte Repertoire spielen.

Genau. Die Kunst des Organisten fängt bei der Auswahl des Repertoires an. Viele Virtuosen-Stücke kann man auf den süddeutschen Barockorgeln nicht spielen. Andererseits klingen die oft von Klosterkomponisten für diese Instrumente geschriebenen Werke im galanten Stil geradezu zauberhaft. Und die späteren Orgelkompositionen, etwa von Reger, kann man wiederum auf den Bach-Orgeln nicht spielen, das haut nicht hin. Denn erst durch die im 19. Jahrhundert erfundene Pneumatik, welche die mechanische Bauweise verdrängte, waren die musikalisch geforderten raschen und stufenlosen Dynamik- und Klangfarbenwechsel möglich.

Wenn man heute Orgel lernen möchte, wie geht man vor? Das ist ja kein Instrument, das man sich einfach anschafft und ins Wohnzimmer stellt.

Die ersten Erfahrungen mit der Orgel machen die meisten immer noch in den Kirchen. In Bayern wird sowohl von den katholischen als auch den evangelischen Gemeinden flächendeckend Orgelunterricht angeboten. In jeder kleinen Dorfkirche kann man sich anmelden. In den Verträgen der Kirchenmusiker steht, dass sie Nachwuchsförderung anbieten müssen, was dann über die Kirchensteuer finanziert wird. Als ich angefangen habe, war das noch nicht so. Meinen Orgelunterricht haben die Eltern bezahlt.

Im 20. Jahrhundert hat die Orgel mit dem Synthesizer Konkurrenz bekommen. Da lässt sich auch über eine Klaviatur digital eine beinahe unendliche Klangvielfalt ansteuern.

Man kann das nicht vergleichen. Die digitale Orgelwelt ist eine andere. Ich bin ja in dieser Zeit, als die Synthesizer und sogenannte Hammondorgeln populär wurden, groß geworden und auch mit der Musik der Sechzigerjahre sozialisiert. Ich habe in einer Band gespielt und begeistert auf elektrischen Orgeln und E-Pianos musiziert. Aber das sind dennoch zwei völlig verschiedene Welten. Und auch bei den Pfeifenorgeln gibt es heute noch Weiterentwicklungen. So wird derzeit etwa viel mit Materialien im Inneren des Instruments experimentiert und die Orgel als raumgestaltende Skulptur wiederentdeckt.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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