Opernsängerin Waltraud Meier:Von der Leidenschaft zur Liebe

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22 Jahre lang sang Waltraud Meier die Isolde in Wagners "Tristan"; bei den Münchner Opernfestspielen in diesem Jahr nimmt sie nun Abschied von der Partie, die sie weltweit und dabei immer wieder an der Bayerischen Staatsoper verkörperte

Interview von Egbert Tholl

Ihre erste Isolde sang Waltraud Meier 1993 bei den Festspielen in Bayreuth. Danach verkörperte sie bis heute die Figur weltweit, bis 2000 immer wieder in Bayreuth, auch oft in München, wo sie sich nun an der Bayerischen Staatsoper von der Partie verabschieden wird - zum letzten Mal singt sie die Isolde am 8. und 12. Juli in der Inszenierung von Peter Konwitschny.

SZ: Wagners "Tristan" wird 150 Jahre alt - Sie sind nun 22 Jahre Teil von dessen Aufführungsgeschichte. Fällt Ihnen der Abschied schwer?

Waltraud Meier: Ja und nein. Ja, weil es immer eine Rolle gewesen ist, über die ich sagte: Da siegt der Wille über die Materie - also ich hab's geschafft. Und ich hoffe, dass ich aufgrund dessen, was ich da interpretatorisch hineinlege, immer etwas Überzeugendes habe zeigen können. Aber es ist ganz klar: Ich habe nun langsam ein Alter erreicht, in dem ich mir denke, jetzt wird es mühsam. Und wenn man zu sehr spürt, dass es mühsam wird, bin ich der Auffassung, lieber aufhören, bevor es so weit ist.

Bei aller Expressivität hat Sie ja gerade die Selbstverständlichkeit des Gesangs immer ausgezeichnet.

(zögerlich) Ja. Während der Vorstellung hat man schon die Kraft. Das geht Hand in Hand: Ich weiß, was ich ausdrücken will, gehe mit der ganzen Energie da hinein - und dann geht es schon. Es ist einfach eine schwere Partie, und ich bin ja von Haus aus nie ein wirklicher Sopran gewesen. Ich habe auch nur ein paar ausgewählte Sopranpartien gesungen, die ich mir so zurecht legen konnte, dass ich sie singen konnte, ohne dass sie mir schaden.

Mal abgesehen, dass für Sie als hoher Mezzo die Isolde nominell nicht ganz passt: War sie ein Sehnsuchtspartie für Sie?

Nö. Ich habe im "Tristan" immer Brangäne gesungen und mich dabei richtig wohl gefühlt. Die Idee zur Isolde hatte Daniel Barenboim. Und zuerst hielt ich ihn für völlig verrückt. Ich glaube mich zu erinnern, dass damals nicht einmal Wolfgang Wagner davon überzeugt war. Nur Barenboim meinte, das schaffst Du. Also fing ich mal an, die Partie zu lernen - ich fing ja vier Jahre vorher damit an. Und dachte mir: Wenn's nichts wird, dass lasse ich es halt wieder bleiben. Aber man muss es erst einmal probieren.

Dachten Sie nie daran, es vor Bayreuth an einem kleineren Haus auszuprobieren?

Ich war in einem Stadium meiner Karriere, da wäre es egal gewesen, wo ich es probiert hätte - die Leute wären da hingerast. Und in Bayreuth hatte ich damals die allerbesten Probenbedingungen. Was heutzutage ja ganz schrecklich ist, ist die Schlussprobenphase. Da ist alles immer zu gedrängt. Wenn man Glück hat, hat man zwischen Generalprobe und Premiere zwei Tage, und in der Hauptprobe davor ist schon Presse oder Fernsehen drin. Es ist alles keine Probe mehr im eigentlichen Sinn. Das war damals in Bayreuth wunderbar anders. Da konnte man es wirklich probieren und sich nach der Generalprobe fast eine Woche ausruhen.

Klingt, als wäre es jetzt in Bayreuth auch anders?

Das weiß ich nicht. Seit ich dort 2000 das letzte Mal gesungen habe, habe ich es nicht mehr wirklich verfolgt. Ich bin auch nicht der Typ, der immer schaut, was links und rechts gerade passiert, sondern gehe liebe meinen Weg. Damit lebe ich glücklicher. Ich habe mir sehr früh abgeschminkt, immer daran zu denken, was ich gerade versäumen könnte.

Über Jahre hinweg waren Sie, Barenboim und Ihr Tristan Siegfried Jerusalem ein Team in Bayreuth. Wurde das nie fad?

Nein, im Gegenteil. Man hat sich ja gespürt auf der Bühne, wusste, was der andere braucht und gibt, szenisch und musikalisch. Das sind ja Partien, die hat man nicht beim ersten Mal drauf. Ich weiß noch, dass ich 1993 keineswegs zufrieden mit mir war. Da gab ich mir noch eine Chance, und wenn ich da immer noch unzufrieden gewesen wäre, hätte ich es bleiben lassen.

Haben Sie sich je mit anderen berühmten Isolden verglichen?

Nein, ich nicht. Ich kannte natürlich einige, von meiner Zeit als Brangäne. Aber die gleiche Partie von einer Kollegin zu intensiv zu hören, kann sehr hinderlich sein. Sich davon loszumachen, ist wirklich schwer. Deshalb habe ich das immer vermieden. Ich musste meine eigene Isolde finden, mit all meinen Schwächen und vielleicht auch Vorzügen. Ich kann doch nicht raus aus meiner Haut.

Wenn Sie sagen, Ihre Isolde: Gab es da jemals Konflikte mit Inszenierungen oder Inszenierenden?

Ja schon, aber darauf will ich jetzt lieber nicht eingehen.

Aber zu vorhin: Heißt das, Sie haben nie einen "Tristan" von außen gesehen?

Nö. Das kann ich auch nicht so gut. Na ja, vielleicht bei Teilen vom "Ring", in denen keine Partie von mir vorkommt. Die Lösung muss aus einem selbst kommen. Vielleicht ist bei mir deshalb jeder Abend auch immer ein bisschen anders.

Sollten Sie jemanden, der keine Ahnung vom "Tristan" hat, erklären, was das Faszinierende daran ist, was sagten Sie?

Uiuiui, das würde ich sagen, jetzt machen wir eine gute Flasche Rotwein auf und haben den ganzen Abend Zeit. Es kommt immer auf die Sicht an, die des Sängers, des Dirigenten, des Regisseurs, des Zuschauers. Aus der Sicht der Sängerin ist es ein tiefgründiges Werk über die menschliche Natur, über Schwächen, Stärken, Verletzung, Stolz. Es ist so fein geschrieben und beobachtet: der Weg von der Leidenschaft zur Liebe. Es beginnt mit der Leidenschaft und durch alle Verletzungen hindurch erreicht man die Liebe füreinander.

Und schon kommt der Tod.

Aber bei "Tristan" hat der Tod nichts Negatives, sondern eine Weite. Ich finde es nie hoffnungslos.

Sie sind so ein bodenständiger, fränkischer, manchmal hemdsärmeliger Mensch . . .

. . . aber das ist ja nicht die Isolde.

Aber dennoch: Seit 22 Jahren beschäftigen Sie sich mir einer todessehnsüchtigen Figur. Wird man da nicht mal narrisch?

Nein. Es lebt sich voll, wenn man weiß, das Leben ist endlich. Vor kurzem dachte ich mir: Ich liebe es, im Frühjahr durch den Hofgarten zu gehen, und die roten Kastanien blühen. In diesem Jahr dachte ich mir zum ersten Mal: Das ist wie Balsam. Wie oft werde ich das noch sehen?

Ach je jetzt.

Nein, das ist nicht traurig. Das ist wunderbar. Ich genieße alles so schön. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden ewig leben. Wann machen Sie denn dann mal eine gute Flasche Champagner auf?

Sind Sie unmittelbar nach einer "Tristan"-Aufführung auf praktische Dinge ansprechbar?

Natürlich. Auch direkt, bevor ich auf die Bühne gehe. Das Talent habe ich schon immer gehabt. Man muss ja auch da raus, wenn es heiß ist, wenn der Kreislauf im Keller hängt. Da hilft nichts.

Eigentlich wollten Sie doch Ihre letzte Isolde schon gesungen haben, im Dezember 2014 in Berlin mit Barenboim.

Aber dann kam Herr Bachler und hat mich doch noch überredet. Und da München schon eine Art Heimathaus für mich ist, sagte ich: Na gut, die machen wir noch. Hoffentlich gelingt es.

© SZ vom 10.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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