Open Air:Kalte Dusche, heiß ersehnt

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Viel Sonne und ein kräftiger Regenguss - beim Oben-Ohne-Festival auf dem Königsplatz haben die Bands und 20 000 junge Musikfans vor allem eines: jede Menge Spaß

Von Cindy Riechau

Der G20-Gipfel wirkt hier sehr weit weg. Ein paar Polizisten haben sich zu einer Brotzeitpause in ihren Wagen zurückgezogen, andere sehen sich vom Rande des Festivalgeländes aus die Bands des "Oben Ohne Open Air" an. "Die Polizei München hat auch Lust auf's Oben Ohne" schreiben die Veranstalter auf ihrer Facebook-Seite und posten ein Bild der Beamten auf dem Gelände dazu.

Um die entspannte Atmosphäre auf dem Königsplatz würden ihre Kollegen in Hamburg sie wohl gerade beneiden. Bei den überwiegend jungen Münchner Festivalbesuchern überwiegt nämlich statt Wut und Aggression vor allem eine Emotion: Freude. Im vergangenen Jahr musste das Musikspektakel kurzfristig abgesagt werden - am Vortag hatte ein Amokläufer im Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen und dann sich selbst erschossen. Die Veranstalter von den beiden Kreisjugendringen München-Stadt und München-Land und ihre Sponsoren entschieden schon kurz darauf, das Jugend-Event 2017 wieder an den Start zu bringen. Offenbar sehr zur Freude der Fans: Die 20 000 Tickets waren schon Wochen vor dem Festival restlos ausverkauft.

Das einzige, was die Stimmung nun noch trüben kann, ist der Regen am Nachmittag - und die peniblen Einlasskontrollen. Grund sind die neuen Sicherheitsbestimmungen, nach denen Taschen und Rucksäcke, die größer als DIN-A4-Format sind, nicht mehr mit aufs Festivalgelände dürfen. "Dann geh' ich jetzt nach Hause, vorhin kam ich auch noch damit rein", ärgert sich eine junge Besucherin, die mit ihrem Rucksack die Schranke nicht passieren darf. Ihre Freundinnen versuchen sie aufzuhalten: "Gib mir den Rucksack, ich versuch's mal", schlägt eine vor. Dann verschwinden die Mädchen in der Menge. Einem jungen Mann wird derweil geraten, seinen Rucksack am Hauptbahnhof einzuschließen. Genervtes Augenrollen.

Diejenigen, die es aufs Gelände geschafft haben, verstecken sich derweil unter den Ständen vor dem stärker werdenden Regen. Ein paar Besucher funktionieren kurzerhand die Werbebanner der Medienpartner in Regenplanen um. Ein Gruppe junger Mädchen etwa bedeckt sich lachend mit dem Wimpel der SZ. Auf dem Boden bilden sich größere Pfützen. Manch eine trotzt dem Schauer auch schlicht im Bikini-Oberteil und ein paar Jungs dem Motto des Festivals entsprechend einfach "Oben ohne". Tatsächlich ist der nasse Spuk dann auch schnell wieder vorbei.

Pünktlich als Rakede am späten Nachmittag ihr Set beginnen, machen die grauen Regenwolken wieder dem blauen Himmel Platz. Die durch die Luft fliegenden Luftballons und Seifenblasen sehen vor diesem Hintergrund natürlich auch viel schöner aus. "Die Sonne geht auf und das Leben nimmt sich seine Zeit", singen die Hamburger passend dazu. Der Auftritt der Musiker, die Hip Hop, Reggae und Elektro miteinander vermischen, steht dennoch unter keinem guten Stern - wieder einmal. Im vergangenen Jahr waren sie von der Festivalabsage betroffen und 2015 standen sie so lange im Stau, dass sie es nicht mehr rechtzeitig zu ihrem Konzert geschafft haben. Ihr dritter Versuch auf dem "Oben Ohne" ist nun leider begleitet von technischen Problemen. Mehrfach muss nachgebessert werden. So richtig kommt die Menge deshalb nicht in Schwung. "München, habt ihr Hände dabei?", versucht Sänger Julian Schmit die Fans zu motivieren. Die Band nimmt die Schwierigkeiten gelassen und macht weiter, wenn ihr Sound auch etwas verrauscht klingt.

Auf der rechten Bühnenseite übersetzt derweil eine Musikgebärden-Dolmetscherin die Texte der Band für gehörlose Festivalbesucher. Die Organisatoren von den Münchner Kreisjugendringen legen großen Wert auf Inklusion. Dolmetscher von der "Internationalen Gehörlosen Jugend" begleiten Gehörlose über das Festival, ein Blindenführerservice Menschen mit einer Sehbehinderung. In der Mitte des Königsplatzes gibt es zudem ein Rollstuhlpodest mit bester Sicht auf die Bühne.

In den Umbaupausen können sich Jugendliche in der "Azubi-Straße" über Unternehmen und Ausbildungsmöglichkeiten informieren oder sich vom "Demokratiemobil" zur Bundestagswahl motivieren lassen. Kreative Besucher sprühen derweil Stencils auf ihre T-Shirts oder basteln Schilder. "Free hugs" und "free kisses" ist auf vielen zu lesen. Das amüsiert den 23-jährigen Mehdi, der sich zusammen mit einem Freund auf einer Wiese niedergelassen hat. Der junge Mann stammt aus dem Iran und ist sich sicher: "So etwas würde man dort niemals sehen". Mehdi und auch die anderen Festivalbesucher scheinen dann auch eher schüchtern und kommen den Einladungen nicht nach.

Weniger verhalten zeigt sich die Menge hingegen beim Auftritt von Dicht & Ergreifend. Im Rhythmus zu den Hip Hop- und Bläserbeats bewegen sich die Arme, den Gesang mit bayerischem Dialekt intonieren die Fans textsicher mit. Dabei rechnet das Duo auch schon mal gerne mit der erzkonservativen Tradition ihres Bundeslandes ab. Mit Zeilen wie "I sig eich imma no eire Weiba haun, imma no eia Haisl baun, imma no des Asylantengschwerl zum Deife haun", üben sich Michael Huber und Fabian Frischmann eher in Kritik statt in Lokalpatriotismus. Die Münchner Fans beim "Oben ohne" feiern diese kritische Auseinandersetzung mit der Heimat in jedem Fall. Und ähnlich ausgelassen jubelt die Menge auch den Headlinern der Veranstaltung zu. Die Orsons sind auserkoren, die inzwischen 18. Auflage des Oben-Ohne-Festivals auf dem Königsplatz dann auch schon wieder zu beenden.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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