Oliver Pocher geht zu Sat 1:"Ohne ihn geht's auch"

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"Oliver Pocher ist jung und hat sich für das Abenteuer entschieden. Bon voyage": Pocher wechselt zu Sat 1, und die ARD weint ihm keine Träne nach.

Christopher Keil

Es sind Tage wie dieser Mittwoch, an denen Volker Herres herausgefordert wird als Programmdirektor der ARD. Im November des vergangenen Jahres übernahm er das mächtige, aber komplizierte Amt von Günter Struve, 69, und in der kurzen Zeit seines Wirkens wurde doch eines deutlich: Herres, 51, sucht nach Lösungen, um das erste öffentlich-rechtliche Programm zu verjüngen - ohne die Stammkundschaft zu vergraulen.

Stets experimentierfreudig: Oliver Pocher verlässt die ARD. (Foto: Foto: ddp)

Einer, der immer wieder Fernsehräte vergraulte, seit er von 2007 an zusammen mit Harald Schmidt einmal wöchentlich spät abends auf Teenager- und Studenten-Komik machte, war Oliver Pocher. Die Fälle, um die es ging, waren kaum der Rede wert. Doch im gebührengepolsterten Funktionärsapparat ARD sorgten Nazometer und eine Parodie auf Tom Cruise (als Oberst Stauffenberg) und den Filmstart des amerikanischen Dramas Operation Walküre für mittlere Beben.

Volker Herres ließ sich durch die Sirenen aus dem eigenen Haus nicht in die Irre treiben. Er machte Pocher, 31, zum Programm. Zuletzt versammelte er die Intendanten geschlossen hinter seiner Idee, Pocher am späten Samstagabend als Solist eine Chance zu geben. An diesem Donnerstag läuft Schmidt & Pocher letztmals im Ersten, Schmidt wird kurz vor der Bundestagswahl mit einer politischen Satire alleine auftreten. "Pocher wagt sich an Grenzen heran und überschreitet sie gelegentlich", verkündete Anfang März der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust vom SWR und bilanzierte: "Pocher, Schmidt, Kurt Krömer und Dittsche sind Farben, die wir brauchen."

Selten haben die ARD-Kommandeure so sehr um einen renitenten Kadetten der Fernsehunterhaltung gebuhlt. Vor allem deshalb war die Überraschung groß, als Pocher am Mittwoch dieser Woche absagte und seinen Wechsel zu Sat 1 verkündete. Der gegenwärtig profillose TV-Konzern Pro Sieben Sat 1 kann Verstärkung gebrauchen. Nach SZ-Informationen soll Pocher ein Fußball-Casting-Format bekommen, außerdem sei offenbar eine wöchentliche Late Night Show verabredet, die dann - sofern sie nicht am Freitag platziert wird - allerdings in Konkurrenz zu Stefan Raabs TV Total laufen würde: entweder um 22 Uhr oder 23 Uhr herum. Pocher, der im Herbst, spätestens im Winter bei Sat 1 auf Sendung gehen soll, wird dabei sehr wahrscheinlich erstmals als sein eigener Produzent auftreten. Unlängst gründete er die Pocher Entertainment GmbH.

Die Vereinbarung mit Sat 1 - dort wirkt mittlerweile Guido Bolten als Geschäftsführer - soll über mehrere Jahre geschlossen worden sein, was möglicherweise das für Pocher zentrale Argument gewesen sein könnte, sich der angeschlagenen, von Finanzinvestoren geführten TV-Gruppe anzuschließen. Auch RTL hatte ihm wohl eine Offerte unterbreitet, ist aus Verhandlungskreisen zu erfahren, allerdings nur über zunächst acht bis zehn Sendungen.

ARD-Programmchef Herres erfuhr von Pochers Absage am Mittwochmittag in einem persönlichen Gespräch. Er erklärte: "Oliver Pocher ist jung und hat sich für das Abenteuer entschieden. Bon voyage. Keine Frage, wir hätten ihn gerne weiter bei uns gesehen. Aber ohne ihn geht's auch, wie man in der ARD sagt."

Irritiert haben soll den ARD-Programmdirektor nur eines: dass Pocher nicht signalisiert hatte, über eine Alternative zu verfügen und darauf verzichtete, weiteren Gesprächsbedarf anzumelden. Herres hatte ihm eine Vereinbarung über zwei Jahre in Aussicht gestellt, hätte aber sicher auf drei erhöht - so, wie er sich in der Personalie engagierte. Fußball-Casting-Show?

Ein hochrangiger ARD-Mann glaubt deshalb, Pocher sei mehr an einer Summe als an Perspektive gelegen. Denn die Aussichten bei der ARD hätten für ihn kaum besser sein können. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist durch seine Finanzierungsart krisensicher, Pocher hätte im komischen Fach ein Monopol gehabt und eine diversifizierte Verbreitung gefunden. Vor allem die so genannten jungen Radiowellen und auch die Internetplaner im Ersten hätten Pocher gerne für ihre Zwecke eingesetzt.

Herres muss sich nichts vorwefen, allerdings wird er künftig kaum noch einmal so öffentlich um die Dienste eines Künstlers kämpfen. Seine Strategie der behutsamen Verjüngung ist von Pocher nicht abhängig. Demnächst beginnt TV-Koch Tim Mälzer im Ersten, Ina Müller bewies sich am Hauptabend, auch den Musikpreis Echo plant die ARD 2010 wieder live auszustrahlen. Nur Pocher wird dann nicht mehr der Moderator sein.

© SZ vom 02.04.09/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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