Oliver Maria Schmitt:Noch so 'ne Phrase - Faust auf die Nase

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Oliver Maria Schmitts neues Buch heißt "Der beste Roman aller Zeiten" und wird als "Buch des Jahres" angekündigt. Aber wer wird das lesen wollen?

B. Müller

Du hast keine zweite Chance für den ersten Eindruck. An dieses Mantra scheint jedenfalls Oliver Maria Schmitt fest zu glauben. Sein Roman hat noch gar nicht begonnen, da ist man, wie bei einem Kinofilm, schon mittendrin. "Buch des Jahres!" schallt es dem prospektiven Leser vom geschmackssicher in Pink und Giftgrün gehaltenen Einband entgegen, und: "Absoluter Mega-Bestseller", und: "Komisch . . . Kraftvoll . . . Verstörend - Norddeutsche Allgemeine Zeitung". In Silber gleißt der Titel: "Der Beste Roman Aller Zeiten", im weiteren Verlauf des Buchs kurz "BRAZ" genannt. Man wundert sich, dass er noch frei war; aber offenbar hat sich im deutschen Sprachraum bisher kein Autor dieses so schlichten wie unverschämten Kniffs zu bedienen getraut. Neben den fetten Fanfaren klingt im Motto des Buchs aber auch ein leiserer Ton in Moll an. Hier kommt Friedrich Nietzsche zu Wort: "Wer wird das lesen wollen! Gott weiß es nicht, ich auch nicht."

Fette Fanfare mit leisem Unterton: "Der beste Roman aller Zeiten", kurz: BRAZ. (Foto: Foto: Amazon)

Damit ist der Rahmen gesteckt. Die Angeberei wird so dick aufgetragen, dass sie sich selbst ironisch dementiert; aber gerade dies will als hohe Kunst gewürdigt sein. Das Schlechte soll, indem es anwächst bis zum Grad des Schamlosen, umschlagend plötzlich das Geglückte zeitigen, ach was: das Unübertreffliche schlechthin! Die mentale Haltung steht dem Camp nahe, jedoch mit dem wichtigen Unterschied, dass Camp ein Phänomen der Rezeption und nicht der Produktion ist: Wer Camp zu goutieren weiß, der lacht sich scheckig, dass die da nicht wissen, was sie tun. Schmitt aber weiß es sehr genau. Er vollführt eine fortgesetzte dialektische Rolle rückwärts, eine gewiss erstaunliche Turnfigur; aber, um es vorwegzunehmen, auf die Dauer geht sie doch sehr ins Kreuz. Die Dauer ist das Problem dieses Buchs.

Doch sollte man fairerweise, wie bei einer Zirkusnummer, erst einmal den augenblicklichen Effekt betrachten. Wenn man sich zuvor eine Reihe deutscher Romane zu Gemüte geführt hat, die sich durch die Qualitäten der Stille und des Ernstes auszeichnen und dabei eine Miene aufsetzen, als wäre die Verströmung von Langeweile ihr Geburtsrecht, dann reagiert man mit dankbarer Erheiterung, wo man auf ein Buch stößt, das anfängt: "Rumms!"

Was ist passiert? Dem Ich-Erzähler Mick Rademann, seines Zeichens Coach, Mediator und Dipl.-Entschleuniger, kracht, unmittelbar nachdem er sein kostbares Diplom vom MindBlasterInstitute of Professor Pelz entgegengenommen hat und während er zukunftsdurstig durchs Frankfurter Bahnhofsviertel tigert, ein riesiger Kerl vor die Füße, der soeben aus der Bar zur Pik-Dame entfernt wurde. Denn in diesem Etablissement darf man jede Sünde begehen außer zu rauchen. ",Diese Pottsäue! Diese Nichtraucher! Rauchen! Rauuuuuu-chen! Ich will endlich rauchen, ich will rauchen, ich will dampfen, schmöken, schloten, ich will quarzen und qualmen, ich will rußen und brennen, wie es Mannesart ist! Ich will verdammt noch mal eine paffen, ich will eine beschissene Zigarette rauchen!'"

Einer dieser Titel, die man nie vergisst

Nach dieser zornentbrannten und wortschatzbildenden Suada überrascht es kaum mehr, dass sich der Hinausgeworfene als der deutschland-, vielmehr weltweit erfolgreichste Schriftsteller überhaupt Jo Hollenbach entpuppt, Urheber des BRAZ eben; denn zum Anspruch dieses Werks gehört auch die Selbstreferenzialität. "Es war einer dieser Titel, die man nicht vergisst, wenn man sie einmal gehört hat, so ähnlich wie ,Der Fänger im Weizen' oder ,Nassgebiete' oder wie die Bestseller alle hießen."

Das ist so der Humor von Oliver Madonna Schmitt, und er ist nicht schlecht. Rademann wittert in Hollenbach sofort seinen ersten Klienten; von nun an ziehen sie als unzertrennliches, obschon ziemlich ungleiches Paar durch die reichlich krummen Abenteuer dieses Buchs. Hollenbach hat seine exorbitanten Honorare leider komplett für undurchsichtige Machenschaften verjuxt, jetzt sitzt ihm die albanische Mafia in Gestalt zweier Bahnhofsviertelganoven im Genick. Sie tauschen mit ihm Bruderküsschen und ermuntern ihn: ",Du weißt, wir brauchen die Auto und du wirst uns geben die Auto, Alda! Und du wirst uns geben die Geld, konkret, echt jetzt, kein Scheiß.'"

Lesen Sie auf der nächsten Seite wann es bei Oliver Maria Schmitt so richtig "brezelt".

Als ob das nicht langte, haben die Helden auch noch damit zu tun, Hollenbachs gestört-penetrante Mutter abzuwimmeln, die ständig über Handy präsent ist. Der ganze erste Teil geht als Hetzjagd über die Bühne, Rademann muss Hollenbachs Luxuskarosse aus der Werkstatt holen, einen edlen, aber etwas heruntergekommenen Mercedes 600, der einst Pol Pot gehörte (auf dem Beifahrersitz liegt ein Zettel: "Nix ausliefern an Scheff!"), Rademann fliegt bei Freundin Ira raus, gemeinsam holen Sie einen ganzen Müllsack von Medikamenten jenseits des Verfalldatums ab (die Firma arbeitet ausschließlich mit Behinderten, was Anlass zu etlichen schrägen Witzen gibt) - na und so weiter eben, Tempo ist alles, der Plot, um es in den Worten des Buchs zu sagen, "einfach, aber simpel", dramaturgische Folgerichtigkeit ein lästiges Detail am Rande. Man erfährt nebenbei, was ein "Bausatz" ist - je ein Glas Champagner und Jägermeister, gleichzeitig mit beiden Händen in den Schlund zu kippen - und hört eine Menge breitbeiniger Kernsprüche wie "Am Arsch die Räuber" und "Noch so'ne Phrase - Faust auf die Nase" und "Das brezelt ja ungemein!"

Durchgeknallt

Den Höhepunkt von Teil Eins bildet eine durchgeknallte Party, zu der, wie Hollenbach zu berichten weiß, niemand anders als Thomas Pynchon ihn nach New York geladen hat, aus tiefer Verehrung, wie sich versteht; es gibt Gelegenheit, über den Rest der Weltliteratur herzuziehen, zum Beispiel über Günter Grass, der "absolut null" könne, "kein Wunder, dass die SS den Krieg verloren hat". Wie lang geht so was gut? Text-extern: fünf Jahre, dann wird keiner mehr den kleinen Tritt ans Schienbein des Nobelpreisträgers verstehen. Text-intern: hundert Seiten, dann beginnt man zu ahnen, dass sich die Protagonisten den Albanern und den Erfordernissen eines zusammenhängenden Stücks Prosa nicht ewig werden durch Flucht entziehen können.

Im zweiten Teil ist es dann so weit; Rademann und Hollenbach finden sich als Entführungsopfer in Albanien wieder, und irgendwann während der monatelangen Haft im winzigen Bunker kommt ihnen die Treffsicherheit ihres Witzes abhanden. Niemand will das Lösegeld für Hollenbach aufbringen, also soll er sich selbst auslösen, indem er einen weiteren Welterfolg produziert; sonst müsse man ihm leider die Ohren abschneiden, für den Anfang. Entwurf um Entwurf wird von den als Jury zusammentretenden Clanoberhäuptern mit wachsendem Unmut zurückgewiesen.

Ziellos schweifende Groteske

In gewissen deutschen und speziell Frankfurter Milieus kennt sich der Autor gut aus und weiß was draus zu machen; sein Albanien jedoch peilt er über den Daumen. Dieses Setting möbelt nicht, wie wohl erhofft, die inzwischen etwas durchhängende Geschichte mit rauem exotischen Charme auf, sondern landet in der ziellos schweifenden Groteske. Hübsch zwar ist die Fluchschule. Alle Albaner sind bekümmert, als Rademann explodiert: "Gottverdammte blöde Kackscheiße!" "So schlecht darf ein Mann nicht fluchen!" Zum Aufwärmen empfiehlt ihm ein altes Mütterlein: "Ich ficke die Törtchen auf dem Tisch mit deinem Leichenschmaus", besser aber wäre schon: "Ich stecke meinen Schwanz in die Biene, die den Nektar schleckt von der Blume auf dem Grab deiner Mutter".

So einfühlsam werden die Albaner aber nur an wenigen Stellen gezeichnet. Im Großen und Ganzen erscheinen sie als eine Nation von debilen Mercedesdieben, die außer Inzest und Blutrache keine Hobbies kennen. "Mit den Geldautomaten dagegen kommen wir schon zurecht, die reißen wir einfach mit einem Traktor aus der Hauswand. Wir sind Albaner, wir sind Praktiker!" Unseren national gebundenen Ostfriesenwitz im Zuge der EU-Erweiterung durch einen gesamteuropäisch anschlussfähigen Typus ersetzen zu wollen, das ist kein erleuchteter Vorsatz.

Zu lang, um komisch zu sein

Das Buch schließt, da es sonst wohl nicht weiß wie, mit einem völlig überdrehten Showdown, der indes keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Das mit dem "Kraftvoll" und "Komisch" auf dem Umschlagdeckel hat schon seine Richtigkeit, aber das "Verstörend" bleibt auf der Strecke, weil das Buch als Buch auf seiner Vorgabe der festen, großen Form besteht, von der die komische Kraft mit ihren kurz getakteten Wirkungen und stark improvisatorischen Anteilen nicht gefasst werden kann. Für die Verwertbarkeit im Buchhandel muss alles unbedingt einen "Roman" ergeben. An diesem Dilemma haben noch andere deutsche Humoristen zu knabbern. Man grübelt, wie es anders zu machen wäre.

OLIVER MARIA SCHMITT: Der beste Roman aller Zeiten. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009. 253 Seiten, 16,90 Euro.

© SZ vom 9.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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