Offener Brief an die G-8-Staatschefs:Stoppt Putin!

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Als ihr Buch "Die Mutanten des Kreml" in Russland erschien, explodierte eine Bombe vor ihrem Haus. Die Journalistin Elena Tregubova floh nach England. Aus London schickt sie nun einen offenen Brief an die G-8-Staatschefs in Heiligendamm. Ihr Appell: Halten Sie Putin auf, es ist die letzte Chance!

Elena Tregubova

Es begann mit einem Sushi-Essen und endete in bitterer Feindschaft: Die Journalistin Elena Tregubova traf Wladimir Putin im Restaurant, als dieser noch Geheimdienstchef war. Heute ist Putin Präsident Russlands und nach Meinung Tregubovas der Totengräber seines Landes. In ihrem Buch, das am 14. Juni auf Deutsch unter dem Titel ,,Die Mutanten des Kreml'' in einer aktualisierten Ausgabe im Tropen-Verlag erscheint, geißelt sie die Zerschlagung der russischen Demokratie. Kurz nach dem Erscheinen des Buches in Russland explodierte eine Bombe vor ihrem Haus. Der Mord an ihrer Kollegin Anna Politkowskaja gab ihr den Rest, Elena Tregubova floh nach England. Aus London schickt sie nun einen offenen Brief an die G-8-Staatschefs in Heiligendamm. Ihr Appell: Halten Sie Putin auf, es ist die letzte Chance! SZ

(Foto: Foto: AFP)

Wahrscheinlich hatte sich keiner von Ihnen träumen lassen, dass man zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder von einem ,,Kalten Krieg'' sprechen würde. Ein paar Tage vor dem G-8-Gipfel hat Wladimir Putin offen damit gedroht, Raketen auf Europa auszurichten. Soeben hat er den Test neuer Waffen angeordnet, darunter einer neuen ballistischen Interkontinentalrakete und neuer Flügelraketen. Nach dieser Machtdemonstration verkündete der Präsident den Beginn eines neuen ,,Wettrüstens'', für das er, wie früher, Amerika die Schuld gibt.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass das aggressive Auftreten des Kreml eine unmittelbare Folge der nachgiebigen westlichen Politik ist. In den sieben Jahren seit dem Amtsantritt Putins haben Sie geschwiegen, als er mit der Opposition, der Presse, mit Nicht-Regierungsorganisationen und allen demokratischen Institutionen in Russland abgerechnet hat. Nun, da er sich der Gegner im Inneren entledigt hat, wendet er sich den äußeren ,,Feinden'' zu.

Die Revanche

Eigentlich erscheint es unlogisch, zuzusehen, wenn ein Stärkerer einen Schwächeren bedrängt. Denn wenn dieser mit dem Schwachen fertig ist, knöpft er sich den nächsten vor. Und in der Tat gibt es in der Geschichte nicht einen Diktator, der nicht seine Nachbarn angegriffen hätte. Anders als die Kreml-Propaganda verbreitet, geht es nämlich nicht um eine ,,Wiedergeburt'' Russlands oder um die ,,Wiedergeburt des russischen Nationalstolzes'', sondern um die Revanche eines autoritären Regimes - mit allen bis zum Überdruss bekannten Methoden.

Der Radius der Einschüchterungen erweitert sich nicht täglich, sondern stündlich. Als Begleitmusik zu Ihrem Schweigen hat Putin alle unabhängigen Fernsehsender geschlossen, eine rigide Zensur eingeführt, hat der demokratischen Opposition den Zugang zu den Medien abgeschnitten, Menschenrechtler der Spionage für den Westen beschuldigt, und er hat - mit Hilfe einer folgsamen Staatsanwaltschaft und Marionetten-Gerichten - die gewaltsame Neuverteilung des Eigentums auf den Weg gebracht wie im Falle des Yukos-Konzerns. Die logische Folge waren Zusammenstöße mit Journalisten und Oppositionellen, aber auch die brutale Niederschlagung von friedlichen Demonstrationen wie dem ,,Marsch der Nicht-Einverstandenen''.

Inzwischen ist das Regime so stark und so dreist, dass es seine Nachbarn bedroht, die ehemaligen sowjetischen Kolonien, ihnen vorschreiben will, welche Raketenabwehrsysteme sie aufstellen dürfen und welche nicht. Der Höhepunkt waren die vom Kreml provozierten Pogrome in Estland und der Terror in Moskau, ausgelöst von einer kremlfreundlichen extremistischen Organisation, die ,,die estnische Botschaft vom Antlitz Moskaus'' auslöschen will. Solche Gruppen haben bereits die Botschafter dreier europäischer Länder schikaniert: die von Estland, der Schweiz und Großbritannien. Der nächste Schritt ist nur logisch: Der Kreml droht dem Westen.

Weiter auf Seite 2): Von der Bereitschaft zur Gewalt.

Der fatale Unterschied zur Sowjetzeit liegt darin, dass man damals genau wusste, auf welcher Seite der Barrikade man stand - und dass die Gegner der Diktatur mit moralischem Beistand rechnen konnten. Heute aber kann Putin Ihr Schweigen dank der hohen Öl- und Gaspreise spielend erkaufen. Sie haben ja sogar geschwiegen, als Putin ein Gesetz unterzeichnete, dass Morde des Geheimdienstes an ,,Feinden Russlands'' im Ausland sanktioniert. Und die Praxis hat gezeigt, dass dazu alle zählen, die es wagen, Russland zu kritisieren.

Erst allmählich äußern Sie zaghafte Proteste, erst jetzt dämmert Ihnen, dass Sie sich vom Öl- und Gashaken nicht so leicht werden befreien können; dass Sie für das Spiel mit dem Aggressor bald nicht nur mit Ihren demokratischen Überzeugungen bezahlen werden, sondern auch mit der nationalen Sicherheit und dem Vertrauen der Wähler.

Aber inzwischen reichen Worte nicht mehr. Ein schlagendes Beispiel dafür war die Reaktion Putins auf Angela Merkel während des EU-Russland-Treffens. Die Kanzlerin hatte gefordert, den ,,Marsch der Nicht-Einverstandenen'' in Samara zu erlauben. ,,Aber bitte sehr'', hatte Putin entgegnet: ,,Die stören mich nicht! Sie sind bedeutungslos!''

Der Kreml spuckt auf Ihre Worte

Zur selben Zeit aber hatte Putins linke Hand die Miliz angewiesen, die Anführer des Protestes ohne Angabe von Gründen auf dem Moskauer Flughafen über Stunden festzuhalten, unter ihnen den Schachgroßmeister Garri Kasparow und auch westliche Journalisten.

Der Kreml spuckt auf Ihre Worte. Er spuckt nur nicht auf Ihr Geld, das Putins Freunde aus Ihren Staaten herausquetschen möchten, um Aktien westlicher Firmen aufzukaufen und Ihren Widerstand auch künftig zu lähmen. Man muss kein großer Analyst sein, um sich die weitere Entwicklung in Russland auszumalen. Die Opposition wird auf die Straße gedrängt, wo sie weitere Protestaktionen startet. Der Kreml wird, wie angekündigt, gegen friedliche Demonstranten mit aller Härte vorgehen. Und alles für ein Ziel: um ehrliche Wahlen zu verhindern. Putin und der enge Kreis aus den Sicherheitskräften wollen für Jahrzehnte eine Diktatur im Stil des alten sowjetischen Politbüros installieren, wo ein ,,Nachfolger'' den anderen in Marionetten-Wahlen ablöst.

Der letzte Moment

Ich bin sicher, dass auch Sie qualifizierte Analysten haben, die wissen, dass alles dies in absehbarer Zeit zu Blutvergießen führen wird, denn der Kreml ist offenbar entschlossen, mit Gewalt auf alle Versuche zu reagieren, im Land wieder demokratische Wahlregeln einzuführen.

Dies ist der letzte Moment der Umkehr. Wenn Sie in Heiligendamm die Hand Wladimir Putins schütteln, lastet die Verantwortung für das erwartbare Blutvergießen auch auf Ihren Schultern. Allein gemeinsame, rasche und harte Maßnahmen können eine Katastrophe in Russland und in der Welt verhindern. Möglicherweise besteht eines der letzten Mittel darin, Putin vor die Wahl zu stellen: Entweder der Kreml kehrt unverzüglich zu demokratischen Normen zurück, garantiert Wahlfreiheit, Pressefreiheit und stellt seine Attacken auf Andersdenkende ein - oder Russland wird aus der G8 und anderen internationalen Organisationen ausgeschlossen. In diesen Clubs würden Sie sich ja auch nicht mit einem Anführer, sagen wir, Nordkoreas, an einen Tisch setzen, nur weil er plötzlich Öl und Gas verkauft.

Täuschen Sie sich nicht: Russland besteht nicht nur aus Putin und seinem Tschekisten-Klan. Das freiheitsliebende Russland stöhnt und windet sich vor Scham über Putin, über das Klima des Hasses, die Paranoia, die Spionage, die Angst. Unter Putin ist Russland erneut ein Faktor der Destabilisierung geworden. Sind Öl und Gas es wirklich wert, dem Kreml die Vernichtung der Opposition zu erlauben, hinzunehmen, dass dieses amoralische und kriegslüsterne Regime die Welt erneut an den Rand des Untergangs bringt? Vielleicht nützt es, Sie in diesen Tagen an ein russisches Sprichwort zu erinnern: Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.

Deutsch von Sonja Zekri

© SZ vom 6.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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