Robert Menasse:Der naive Herr Gudenus

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Robert Menasse. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

In Potsdam skizzierte der Schriftsteller, wie er die Hintergründe des aktuellen Strache-Skandals literarisieren würde.

Von Lothar Müller

Bei der Lit.Potsdam, die an diesem Wochenende zu Ende ging, war Robert Menasse der Writer in Residence. Am Sonntagmittag sitzt er, nachdem er zusammen mit seiner Schwester Eva Menasse auf der Bühne des Hans Otto Theaters über Familiengeschichte parliert und Romanauszüge vorgelesen hat, am Seeufer. Natürlich hat er im Netz in das Strache-Video hineingeschaut. Und wie findet er es? "Ich hab mich gefragt, warum mich das alles nicht wundert. Mir war klar, dass Strache zurücktreten muss. Ich habe aber auch gewusst, dass der Kanzler Kurz, der auch zurücktreten müsste, weil er es war, der dieser Politik Tür und Tor geöffnet hat, nicht zurücktreten wird, sondern sich einmal mehr als Salvator Austriae gerieren wird. Man kann das mit einem Satz zusammenfassen: Die Karten werden neu gemischt, aber die gezinkten Karten bleiben im Spiel."

Es passt gut zum nahen Theater, dass das Video eine Inszenierung war, und Robert Menasse macht kein Hehl daraus, dass er es perfekt gemacht findet. Nicht nur die Machart, sondern auch die Regie, nach der es ins Spiel gebracht wird. Wie aber würde er über diesen Stoff - ein unerhörtes Ereignis ist er ja durchaus - eine Novelle schreiben? "Ich würde mir Antworten auf die grundlegenden Fragen ausdenken: Wer hat das gemacht, und warum wird es jetzt publiziert? Sie sind leicht zu beantworten, wenn man sich die Frage stellt: Wem nützt es am meisten? Das ist der Kanzler Kurz. Ich würde fragen: Warum ist das Video nicht vor der Nationalratswahl eingesetzt worden? Weil es damals für die ÖVP noch keinen Sinn gemacht hat, denn sie wollte ja mit der FPÖ eine Koalition, um die Sozialdemokraten von der Macht fernzuhalten. Irgendwann kommt der Moment, an dem es für die Christdemokraten nicht mehr erträglich ist, unausgesetzt diese Schmuddelpartei verteidigen zu müssen. In meiner Novelle würde Kurz sagen: Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir die Freiheitlichen zerstören, Neuwahlen machen und die Stimmen ihrer enttäuschten Wähler absaugen. Was meinen europäischen Ruf betrifft, so habe ich mich dann endgültig als Zähmer der Rechtspopulisten und als Staatsmann erwiesen."

Für das Europäische Parlament ist der Skandal nicht wichtig, es geht um Innepolitik

Aber wie ließe sich in der Novelle die Wahrscheinlichkeit des Plots erhöhen? "Nun, man muss wissen, dass die ÖVP schon vor Wochen landesweit für September Plakatflächen gemietet hat, dieses Detail könnte ich mir nicht entgehen lassen, was Neuwahlen betrifft. Außerdem hat jeder ehrgeizige Politiker einen Giftschrank. Den füllt er eine Zeitlang und bei Bedarf öffnet er ihn und gibt Dinge frei."

Aber wie ging es in der Novelle kurzfristig weiter, bei den Europawahlen? "In meiner Novelle hat das Auftauchen des Videos überhaupt nichts zu tun mit den Europawahlen. Es geht um österreichische Innenpolitik. Der Kanzler ist noch jung. Es genügt nicht, dass er zu Fuß über den See Genezareth gegangen ist, um ins Kanzleramt zu kommen, der muss da noch etwas draufsetzen. Und in seiner Zukunft muss es darum gehen, europapolitisch wichtige Positionen zu besetzen mit dem Netzwerk, das er sich inzwischen aufgebaut hat."

In Menasses Version der Geschichte gäbe es Minimum zwei Jahre Vorlaufzeit

Wie aber ginge der Erzähler Menasse damit um, dass dieser Politikersturz auf das Paradox einer authentischen Fiktion zurückgeht, auf eine Inszenierung, bei der die Darsteller den Fiktionscharakter nicht durchschaut haben? Welches Bild von den Leuten, die hinter der Inszenierung stehen, würde seine Novelle entwerfen? "Das sind Menschen, die perspektivisch denken. Ich stelle mir vor, dass das Video nicht einfach vor zwei Jahren produziert wurde und jetzt ins Spiel gebracht wurde, weil es nützlich ist. Der Vorlauf vor der Produktion interessiert mich: Es musste ja diese vermeintliche russische Millionärin in Ibiza schon bekannt sein, damit das vertrauenerweckend ist. Die kommt jedes Jahr und so weiter. Man muss eine solche Figur in einer raunenden Realität aufbauen. Und man muss den Sekretär von Strache, Gudenus, der bekanntermaßen naiv ist, in die zweckmäßige Position bringen, in kleinen Schritten. Ich werde zu Recht von den Leuten wegen meiner überschäumenden Fantasie bewundert. Bei mir hat das Minimum zwei Jahre Vorlaufzeit, dann wird es produziert, dann zwei Jahre gewartet. Das sind eiskalte Profis, die das gemacht haben. Am Ende kann ich mir nichts anderes vorstellen, als dass es so gewesen ist, wie meine Handlung läuft, mit dem Helden, dem Bundeskanzler Kurz."

© SZ vom 24.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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