NS-Vergangenheit der Bahn:Fahrplan der Vernichtung

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Persönliche Erlebnisberichte und Dokumente zur Logistik der Deportation: Nach langem Streit wird in deutschen Bahnhöfen die Ausstellung "Sonderzüge in den Tod" gezeigt.

Lothar Müller

Lange Zeit hatte es um diese Wander-Ausstellung konzeptionelle Kontroversen gegeben, nicht zuletzt darüber, wo sie gezeigt werden sollte, in Museen oder in Bahnhöfen. Nun demonstrierten alle Redner bei der Eröffnung der Ausstellung "Sonderzüge in den Tod - Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn" große Einigkeit: Die Ausstellung ist im Bahnhof Potsdamer Platz in Berlin zu sehen, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Zentrale der Deutschen Bahn AG.

Schienen in den Tod: Die Zufahrt ins KZ Auschwitz Birkenau. (Foto: Foto: AP)

Deren Chef, Hartmut Mehdorn, hatte eher an Museen als Ausstellungsorte gedacht. Aber nun lobte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ausdrücklich die Entscheidung für den öffentlichen Stadtraum. Und Margret Suckale vom Vorstand der Deutschen Bahn hieß Serge und Beate Klarsfeld als Vertreter der Organisation der "Söhne und Töchter der deportierten Juden aus Frankreich" besonders herzlich willkommen.

Zwanzig große Bahnhöfe

Noch vor Jahresfrist hatten die Klarsfelds moniert, an der Konzeption der Ausstellung nicht hinreichend beteiligt zu sein. Nun stellten sich nicht nur die französischen Gäste, sondern auch Charlotte Knobloch als Repräsentantin des Zentralrates der Juden in Deutschland und Romani Rose für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in ihren Grußworten hinter das Ausstellungskonzept, das seine endgültige Gestalt im Verlauf des vergangenen Jahres in der Kooperation der Historiker der Deutschen Bahn mit dem Eisenbahn-Kenner Alfred Gottwaldt vom Deutschen Technikmuseum und dem Berliner Centrum Judaicum gewonnen hat.

Schon ein erster Rundgang durch das nicht sehr große Ausstellungsgelände mit seinen vierzig Stelltafeln und der zentralen Videoinstallation, in der überlebende Zeitzeugen von der Innenwelt der Züge berichten, zeigt den Hauptimpuls der nun gefundenen Konzeption: zwischen den Polen eines Memorials, das als Gedenkstätte und Mahnmal erfahren werden kann, und dem historisch-analytischen Blick auf die Technikgeschichte und Logistik der Deportationen zu vermitteln.

Am Mahnmal-Pol ist der Beitrag von Serge und Beate Klarsfeld angesiedelt. Sie haben in Frankreich eine inzwischen an zwanzig großen Bahnhöfen des Landes gezeigte Ausstellung mit Fotos, Briefen und Dokumenten über die 11 400 jüdischen Kinder erarbeitet, die aus Frankreich deportiert wurden. In die nun eröffnete deutsche Ausstellung sind die Dokumente jener 800 unter diesen Kindern eingegangen, die aus Deutschland und Österreich stammten.

Logistik der Vernichtung

Am anderen Pol der Ausstellung steht, was man die Firmengeschichte der Deportationen nennen könnte. Auch in ihr kommen Individuen vor, etwa die Brüder Gert und Hans Rosenthal (der überlebte und ein Fernsehstar wurde) als Insassen eines Transportes, der am 19. Oktober vom Güterbahnhof Moabit in Berlin aus nach Riga in Lettland abging. Aber es gibt hier zugleich die Fahrpläne ("Düsseldorf-Derendorf ab 11.06 Uhr, Lublin an 4.16"), die bürokratischen Erlasse zu den Sonderzügen, die Direktiven für den Umlauf der leeren Güterwagen, das für Massenbeförderungen zuständige Referat 21 und das Referat IV B in der Geheimen Staatspolizei, dem als einer der wichtigsten Organisatoren der Deportationen Adolf Eichmann vorstand.

Ein Bahnhof ist kein Museum. Eine Ausstellung, die hier stattfindet, muss mit dem Passanten als wichtigstem Besuchertyp rechnen. Der bringt in der Regel weniger Zeit mit als jemand, der sich einen Besuch des Holocaust-Mahnmals vorgenommen hat. Dem trägt das kompakte Format der Ausstellung erfolgreich Rechnung. Und zumindest in Ansätzen arbeitet sie einer Asymmetrie entgegen, die nicht selten in Gedenkstätten begegnet: der Intensität, mit der sie den Opfern ihr individuelles Gesicht zu geben suchen, steht oft die Logistik der Vernichtung als anonyme Maschinerie gegenüber.

Hier aber haben, wie in einer Firmenbroschüre notwendig und üblich, im Abschnitt über die "Gleichschaltung und Anpassung" des Unternehmens nach 1933 auch die Reichsbahnvorstände und Abteilungsleiter ein Gesicht. So stehen, wenn etwa der Transport von 987 Menschen von Berlin nach Lodz (Litzmannstadt) am 24. Oktober 1941 dokumentiert wird, hinter den exakten Zahlen erkennbar diejenigen, die sowohl die Exaktheit der Deportation wie die Exaktheit ihrer Überlieferung garantierten. Es lohnt sich, für diese Ausstellung am Potsdamer Platz Station zu machen.

Berlin, Potsdamer Bahnhof, bis 11. Februar, anschließend in Halle, Schwerin, Münster und weiteren Städten

© SZ vom 24.1.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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