Niels Ruf: Sitcom bei RTL:Zeit für den Wahnsinn

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Dieses Land hat mehr verdient als Mario Barth: Mit arroganter Großkotzigkeit will Niels Ruf als Scheidungsanwalt Herzog die deutsche Sitcom neu erfinden. Doch ist das Genre noch zu retten?

Lars Albaum

Mal ehrlich, kennen Sie eine aktuelle deutsche Sitcom? Kurt Beck auf dem letzten SPD-Parteitag? Hören Sie auf, Sie Scherzkeks, die Lage ist ernst. Die heimische Situationskomödie steckt in einer schweren Krise. Wenn RTL an diesem Freitagabend (21.45 Uhr) mit Niels Ruf in der Rolle des Scheidungsanwalts Herzog noch einmal einen Versuch startet, halbwegs an alte Quotenerfolge anzuknöpfen, ist das schon eine Art mediale Ardennenoffensive.

Aus dem Ferkel wurde ein Schwein: Auch auf RTL verspricht Niels Ruf bissigen Witz. (Foto: Foto: RTL)

Anders gesagt: Keiner glaubt mehr so richtig an den Erfolg des Unterfangens. Gründe für den Niedergang des Genres gibt es viele. Die Krise des fiktionalen Fernsehens im allgemeinen, die Mut- und Ratlosigkeit der Sender, die mangelnde Qualität der Bücher. Trotzdem: Waren lustige 25 Minuten vor wenigen Jahren nicht noch Garant für Traumquoten und Fernsehpreise? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wieso die plötzliche Agonie im komischen Fach?

Alle wollten Sitcom

Erinnern wir uns: 1997 tauchte in der bunten Programmwelt der Privaten ein völlig neues Genre auf namens Sitcom. Weil keiner so richtig wusste, wie Sitcom eigentlich geht, holte man die amerikanischen Freunde zu Hilfe. 50 Jahre nach den Rosinenbombern kamen jetzt die Spaßberater eingeflogen. Die erklärten den zumeist jungen Autoren, was eine Funny Line ist, wohin im Drehbuch der Act Break gehört, und dass gute Comedy stets auch Truth and pain bedeutet.

In den USA hieß das Format der Stunde Seinfeld. Der ehemalige Stand-Up Comedian und sein Ensemble waren das Maß aller Dinge. Komischerweise lief die Serie bei uns quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Stattdessen schickte RTL deutsche Entwicklungen ins Rennen. Mit ungeahntem Erfolg. Das Publikum schaltete ein.

Und wie! Von Glücksstadt bis Passau wollte die Menschen plötzlich Jochen Busse im Amt besuchen, bei den Campern eine Rostbratwurst essen oder Gaby Köster in Ritas Welt erleben. Mariele Millowitsch und Walter Sittler legten in Nikola sogar ein so perfektes Timing hin, dass sich die heimische Sitcom spätestens mit dieser Serie auch qualitativ auf internationalem Niveau etablierte.

Die Folge: Alle wollten Sitcom! In den darauffolgenden Jahren setzte eine regelrechte Massenproduktion ein, doch spätestens da zeigte sich, wie schwer es ist, lustige Unterhaltung fiktionaler Art herzustellen. Setzte man bei RTL größtenteils auf die Produkte der amerikanisch geschulten Produktionsfirma Sony Pictures, fehlte es vielen anderen Machern an den notwendigen Erfahrungswerten. Eine Sitcom ist eben weit mehr als szenisch inszenierte Albernheit.

Widerstand der Sender

Bei den Kollegen in den USA lautet die Losung nicht umsonst seit jeher: "Drehst du eine Sitcom um 180 Grad, bist Du mitten in einem Drama." Man muss seine Protagonisten verdammt ernst nehmen, wenn sie komisch sein sollen. Stattdessen regierte im deutschen Sitcom-Lager nur zu oft der gespielte Witz. In einem Land, dessen Humor im Ausland gerne als nicht vorhanden gewertet wird, fehlte es vor allem an Autoren, die die Grundvoraussetzung für gute Sitcom mitbrachten: Funny Bones, die legendäre seelische Melange aus Verzweiflung, Selbstironie und einem intuitiven Gespür für das Abseitige im Alltäglichen.

Die wenigen, die sich fanden, mussten bei ihrer Arbeit gegen allerlei Widerstände ankämpfen, meist aus den Sendern. Hier saßen oft Redakteure, die das Humorpotential eines hanseatischen Grabredners mit in die Drehbuchbesprechungen brachten, gleichzeitig aber meinten, den Autoren die Welt erklären zu müssen - nur weil sie zufällig am Vortag gerade ihr erstes Sitcomseminar besucht hatten. Gute Formatideen und mutige Bücher wurden durch den Mainstream-Filter gejagt. Die Autoren übernahmen gezwungenermaßen die Rolle des schreibenden Kompromissverwalters.

Der Boom aus den späten Neunzigern begann sich darum langsam wieder zu relativieren. Die Quoten sanken. Nach einigen missglückten Experimenten wandten sich ZDF (trotz der frühen Erfolge mit Dirk Bach vor Publikum) und ARD schon vor einigen Jahren als erste wieder ab. Auch bei RTL ließ die Qualität der Formate nach. Zu unbedacht wurden vermeintliche Hoffnungsträger aus dem eigenen Hause ins Rennen geschickt. Zudem hieß die Direktive der Redakteure immer wieder und immer mehr: "Mach mir eine Sitcom, die so ähnlich ist wie: (Setzen Sie bitte hier ein amerikanisches Format ihrer Wahl ein)". Massive Ratlosigkeit machte sich breit. Die Zahl der Produktionen nahm stetig ab.

Auf Seite 2 erfahren Sie, ob Herzog dem Konkurrenten Stromberg das Wasser reichen kann.

Und heute? 2008 herrscht im deutschen Sitcom-Land Resignation. So mancher Autor der ersten Stunde schreibt mittlerweile Krimis oder TV-Movies, andere, die weniger Glück hatten, texten Teddygrußkarten oder pflegen einfach nur ihre Depressionen.

Einer, der es in schwierigen Zeiten dennoch geschafft hat, ist der Kölner Ralf Husmann. Mit Stromberg (Pro Sieben) gelang dem ehemaligen Chefautor von Harald Schmidt vor zwei Jahren die geglückte, sehr freie Adaption des britischen The Office. Husmann und sein Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst holten sich anfangs den Applaus des Feuilletons, später auch den des Publikums.

Mario Barth - günstiger als jede Sitcom

Stromberg wurde zum Idol der YouTube-Gemeinde. Ähnlich wie in Amerika und England zog sich damit aber auch bei uns die Sitcom ins Spartenprogramm zurück. Avancierter Humor für Connaisseure, statt für das breite Publikum. Das ist inzwischen längst bei Reality-TV oder Eventshows gelandet. Ein Trend, der fiktionalen Programmen rund um den Globus zu schaffen macht.

Anke Schäferkordt, besonnene RTL-Geschäftsführerin, gab schon vor längerer Zeit unverhohlen zu, dass fiktionaler Humor in ihrem Sender augenblicklich wenig gefragt sei. Verständlich, war doch zuletzt die Produktion einer Mario-Barth-Show weitaus kostengünstiger und quotenträchtiger als jede Sitcom. Trotzdem kann sich der Sender, der einst das Genre im deutschen Fernsehen salonfähig machte, noch immer nicht ganz von seinem heutigen Problemkind trennen.

So startet nun Herzog. Noch einmal bietet RTL alles auf, was früher Erfolg garantierte: mit Sony Pictures die erfahrenste Produktionsfirma, mit Uli Baumann den erfahrensten Regisseur. Dazu mit Niels Ruf, 34, einen noch gerade jungen Star. Der einstige Mann für alle Fäkal-Fälle, inzwischen gereift ("Ich bin kein Ferkel mehr, ich bin ein ausgewachsenes Schwein"), gibt den slicken Juristen, der einem gepflegt frauenfeindlichen Hedonismus frönt.

Es geht um nichts

Gleich in der ersten Folge legt sich die Hauptfigur fröhlich mit der katholischen Kirche an, um zu verhindern, dass eine Freundin aufgrund ihrer Hochzeit mit einem geschiedenen Mann ihren Job im kirchlichen Kindergarten verliert. Das klingt weniger satanisch als erwartet. Und tatsächlich: Das nonchalante Arschloch im Anzug lässt erstaunliche Milde walten.

So kommt es, dass die Serie zu unentschlossen zwischen den familienfreundlichen Farben der hauseigenen Erfolgsserien und der dialogisch härteren Gangart eines Stromberg changiert. Anders gesagt: Zu RTL's beeindruckendem Seriencharakter Dr. House verhält sich Herzog in etwa wie Mahmud Ahmadinedschad zu John Bon Jovi.

Genau darin liegt die Tragik der deutschen Sitcom, wie wir sie bisher kannten. Es geht um nichts. Alles ist witzig und fast alles ist egal. Statt Truth and pain komische Semi-Wirklichkeit - und darunter Leere. Moment, nicht dass wir uns falsch verstehen: Herzog ist eine durchweg muntere Sitcom, aber um das Comeback des Genres einzuleiten, braucht es jetzt mehr. Es braucht vor allem Sender, die noch einmal etwas riskieren wollen.

Dieses Land hat Besseres verdient

Es braucht vor allem Ideen jenseits des Mainstreams. Jetzt wo es doch offensichtlich eh nichts mehr zu verlieren gibt, ist genau der richtige Zeitpunkt für extreme Charaktere gekommen. Für Wahnsinn, für Schmerzen, für abstruse Szenarien - und nicht zuletzt für Menschlichkeit, die sich echt anfühlt.

Es ist einfach, zu behaupten, wir, die Deutschen, können es nicht. Klar sind die Amerikaner und die Engländer gut. Na und! Wo sind die jungen, wilden Autoren, die statt vor Youtube zu verschimmeln, ihre Kreativität endlich auf den Schirm bringen wollen?! Die Schauspieler dafür gibt es, man denke allein nur an Bastian Pastewka und sein wunderbares Sat-1-Format. Also: weitermachen! Mit der Hoffnungslosigkeit beginnt der wahre Optimismus!

Irgendwann findet dann auch das Publikum zurück zur Sitcom. Fernsehen funktioniert zyklisch. Und die Menschen da draußen können Qualität besser erkennen, als viele Programmdirektoren glauben. In einer wirklich guten Sitcom steckt viel Liebe und Mühe. Und das zahlt sich irgendwann aus. Vielleicht spätestens dann, wenn Bauer Ewald endlich seine Melkerin des Herzens gefunden hat und die Herdplatten der Kochshows nicht mehr glühen. Beten Sie, dass es klappt. Denn dieses Land hat etwas Besseres verdient als Mario Barth!

Herzog, RTL, freitags, 21.45 Uhr, Pilotfilm und acht Folgen.

Der Autor: Lars Albaum, 40, lebt und schreibt in Köln. Anfang der Neunziger war er DJ-Partner von Götz Alsmann, als Drehbuchautor schrieb er für zahlreiche Sitcoms (Das Amt, Nikola, Typisch Mann, Stromberg, Trautes Heim), außerdem Fernseh-Komödien fürs ZDF sowie Boulevard-Theaterstücke für Jochen Busse (gemeinsam mit seinem langjährigen Coautor Dietmar Jacobs). Zuletzt realisierte Lars Albaum eine Musikdoku für Arte mit Wladimir Kaminer in Bukarest.

© SZ vom 17.1.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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