Neues von Nick Cave:Lieber zu viel als zu wenig

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Der Australier bietet treuen Fans mit dem Doppel-Album "Abattoire Blues/The Lyre of Orpheus" ein Überangebot an Songs - doch die Anstregung lohnt sich.

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Es braucht nur wenige Sekunden, um die Anstrengung zu hören, dieses Wollen, diesen Drang, die eigene Welt aus den Angeln zu heben, eine Welt, in der sich alle so fein eingerichtet hatten in den letzten Jahren, fast Jahrzehnten, die Musiker, der Dichter, sein Label, sein Publikum, eingerichtet in einer sprachmächtig-archaischen Welt voll habitueller Dekadenz: in der Welt des Nick Cave.

Dass es dem Demiurgen nicht mehr ganz wohl war in seiner Haut aus Designer-Schlamm und Dichter-Schund hat man bereits seiner letzten Arbeit mit den Bad Seeds, hat man bereits "Nocturama" angemerkt, ein Album, das mit einer 14-minütigen Kraftmeierei endete: "Baby Im On Fire". Und wie ein Kassiber, der uns vorbereiten sollte auf die Dinge, die da kommen, wirkt im Nachhinein eine CD-Single, die ebenfalls "Baby, I'm On Fire" enthielt und zwei Nicht-"Nocturama"-Songs, die zum besten gehören, was Nick Cave seit zehn Jahren aufgenommen hat.

Nun also die doppelte CD "Abattoire Blues / The Lyre of Orpheus" und also dieser Schweiß, dieser Trotz, dieses Klang gewordene Aufbegehren gegen das Erreichte, ohne die Basis des Ganzen, ohne den Nick-Cave-Patent-Mutantenblues verlassen zu wollen und zu können: Um die Mühen zu überdecken, die es kostet, lieb gewonnene Routinen abzuschütteln, hat sich Nick Cave neben teils neuen Musikern einen gospelnden Chor geleistet, der den Songs wohl die Erdenschwere, das Galeerenfronhafte nehmen soll. Dies gelingt nur teilweise; viele Songs wie "There She Goes, My Beautiful World" oder "Get Ready for Love" überrumpeln einen nur, ohne nachhaltige Wirkung zu entfalten.

Überangebot - strahlend in neuem Glanz

Aber beide Teile, "Abattoire Blues" wie "Lyre of Orpheus", so sehr sie an einem Überangebot an Songs leiden, die doch oft genug nur ein und derselbe Song sind, strahlen plötzlich doch in einem neuen Glanz, der von einem gereiften Dichter und einem endlich etwas selbstironischeren Musiker Cave ausgeht. "Fable of the Brown Ape" ist minimalistischer Irrwitz. "Nature Boy" ist ein ergreifendes Textmonument, das der Schönheit selbst und der ihr innewohnenden Kraft ein Denkmal setzt.

"Breathless" offenbart endlich Mut zum Halbfertigen, zum Brüchigen. Und "Babe, You Turn Me On" schmiegt sich an, dass es vielleicht ein halbes Leben brauchen wird, um zu merken, dass man das Lied nicht mehr los wird: "And, babe, you turn me on / like an idea / like an atom bomb." Ja, Nick Cave ist wieder da, versteckt in einem Zuviel zwar, aber zurück. Und das war jede Anstrengung wert.

© SZ vom 22.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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