Neues Buch: "Bruno":Unter Problemmenschen

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Milder Wahn und blutiger Ernst: Endlich gibt es das literarische Denkmal für den Problembären - Gerhard Falkners Novelle "Bruno".

Kristina Maidt-Zinke

Das Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2006 war bekanntlich auch das Jahr des Bären Bruno.

So hat der echte Bruno geendet: als Präparat. (Foto: Foto: ddp)

Wer geglaubt hat, die Wortschöpfung "Problembär" entstamme der Begriffsschmiede des unvergessenen Edmund Stoiber oder zumindest seinem politisch-folkloristischen Umfeld, der braucht nur bei Google das "Konzept Bär" des schweizerischen Bundesamtes für Umwelt anzuklicken, um eines Schöneren belehrt zu werden.

Vorausgesetzt, dass es sich nicht um eine kabarettistische Fälschung handelt, teilt man bei den Eidgenossen vagabundierende Vertreter der Gattung "Meister Petz" seit Februar 2006 in fünf Kategorien ein: Je nach Verhalten in freier Wildbahn unterscheidet man den "unauffälligen Bären", den "auffälligen Bären", den "Schadbären", den "Problembären" und den "Risikobären".

Der aus Italien eingewanderte Problembraunbär Bruno wurde zwar in Bayern zur Strecke gebracht, aber vieles deutet darauf hin, dass es ihm unter vergleichbaren Umständen auf Schweizer Boden nicht besser ergangen wäre.

Das Überleben

Für alle, die bis heute um Bruno trauern, mag es ein Trost sein, dass dem bepelzten Opfer bürokratischer Überreaktion jetzt ein literarisches Denkmal gesetzt wurde: Gerhard Falkner, vor allem als Lyriker bekannt, hat unter dem lapidaren Titel "Bruno" eine Novelle vorgelegt, die genügend Qualitäten besitzt, um der Hauptfigur wenigstens im Reich der Dichtung das Überleben zu sichern.

Dort, wo die Einbildungskraft regiert, ist Geographie nur Schall und Rauch. Als halb reales, halb fiktives Fabel-Tier streunt Bruno durch das Oberwallis und wird am Ende von schweizerischen "Problemmenschen" erschossen.

Der Autor stellt sich unterdessen dem Problem, die Tradition der Naturerzählung und der Künstlernovelle wiederzubeleben und obendrein eine Groteske mitzuliefern. Er richtet dabei nicht nur keinen Schaden an, sondern generiert eine geradezu auffällig gute Prosa.

Die Schweizer allerdings, über deren Humor widersprüchliche Gerüchte kursieren, könnten ihm das eine oder andere übelnehmen, sodass man Falkner mit Fug als Risikoschriftsteller bezeichnen darf.

Selbstfindung im Gebirge

Ein solcher ist, auf seine Weise, auch der Ich-Held der Geschichte, ein Berliner Dichter mittleren Alters, den es vorübergehend ins Walliserdorf Leuk verschlagen hat.

Sein Ruhm reicht immerhin so weit, dass seine Ankunft mit Foto in der Kantonszeitung vermeldet wird; gleichwohl hat er Grund, an seinem Dasein und Sosein zu zweifeln: Er empfindet sich als "derzeit letztes lebendes Exemplar meiner eigenen Person" oder auch als "vom Aussterben bedrohtes Exemplar einer einst in gesunden Populationen vorkommenden, unbändigen Existenz".

Sein Gefühlsleben ist merkwürdig abgestorben, seine Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt; er behauptet gar, er habe "bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr geredet".

Mit anderen Worten: Es drängt ihn heftig nach jener Selbstfindung und Selbstvergewisserung, für die der Gang ins Gebirge einen traditionsbeladenen Topos darstellt.

Kaum aber hat der Schriftsteller vernommen, dass der Bär Bruno just in dieser Gegend unterwegs sei, steht für ihn fest, dass er auf den Bären treffen muss, um sich selbst zu begegnen.

Hat ihm nicht eine kreolische Geliebte einst offenbart, der Bär sei sein "Totemtier"? Gleichnishaft spukt ihm Hemingways alter Fischer Santiago durch den Kopf, der den Blauen Marlin und das Meer bezwingt, um sich noch einmal der eigenen Willenskraft zu versichern.

Suche nach der Bestie

Anders als jener freilich ist Falkners Held als selbstironischer Stadtmensch sich dessen bewusst, dass schon der Versuch, eine Begegnung mit der Bestie herbeizuführen, als "milder Wahn" einzustufen ist: "Der einzige Ozean, auf den ich mich weit hinauswage, ist der Ozean der Abwegigkeit. Der fixen Idee."

Dennoch streift er nun durch Wälder und über unwegsame Pfade, legt Köder aus, fahndet nach Spuren und versucht, der Route des Bären zu folgen. Den Leser beglückt er derweil mit Naturschilderungen, die eine Verneigung vor Adalbert Stifter sind, aber auch an die kühnen Schweiz-Impressionen Brigitte Kronauers erinnern, eingedampft auf einen sprachlichen Präzisionsmechanismus, der vom Formwillen des Lyrikers gesteuert wird.

Es ist darin sogar noch Platz für ein schnelles Rendezvous in Basel und bedächtige Unterhaltungen mit einem greisen Einheimischen, für eine funkelnde Restaurant-Satire, für Exkurse über Geologie und Gletscherkunde, Neurophysiologie, Gegenwartskunst und Fußball - aber warum auch nicht, wenn dieser Satz stimmt: "Das menschliche Gehirn besitzt ausgefaltet ungefähr die Oberfläche von dreieinhalb Bogen Schreibmaschinenpapier."

Ode an den Problembären

Die Schweiz wiederum, heißt es, sei "ein zentraler Teil des alpinen Gehirns, das hier wegen besonders tiefer Furchung auf relativ kleinem Raum eine relativ große Oberfläche bildet, so dass die Schweizer mehr Abstand zueinander wahren können, als ihnen eine ausgezogenere Landesfläche bieten würde, weil sie sozusagen gestapelt leben".

So greift beziehungsreich alles ineinander, und es stören höchstens die Modemarken, die wie pflichtschuldig Erwähnung finden, als müsse partout eine alberne, sinnferne Gegenwelt zu den Naturkräften konstruiert werden.

Die unerhörte Begebenheit, der die Novelle entgegenstrebt, macht dafür umso mehr Effekt, als aufwühlendes Erlebnis und komische Täuschung musterhaft und parodistisch zugleich.

Blutig ernst wird es, wie im richtigen Leben, für Bruno, den armen Bären. Aber der hätte sich keine hübschere Hommage wünschen können als dieses kleine Buch.

GERHARD FALKNER: Bruno. Eine Novelle. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 Seiten, 16 Euro.

© SZ vom 24.6.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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