Neuer Karikaturen-Streit:Gegen den Strich

Lesezeit: 2 min

Der Zeichner Klaus Stuttmann vom Berliner Tagesspiegel erhält Morddrohungen. Nicht etwa weil er wie seine dänischen Kollegen den Propheten Mohammed gezeichnet hat. Sondern weil man im Iran offenbar seine Ironie nicht versteht.

Uschi Treffer

Ende Januar, der Streit um die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten war gerade entbrannt, reiste Klaus Stuttmann in den Winterurlaub nach Österreich. Auf seiner Homepage hinterließ er eine Zeichnung: Sie zeigt den deutschen Michel, wie er Zeitung liest.

Der Aufmacher darin trägt den Titel "Deutscher Karikaturist entführt". Darunter: "Falls Ihnen in den nächsten Tagen so eine Schlagzeile begegnen sollte, dementiere ich schon mal ganz entschieden, dass es sich hierbei um meine Person handeln könnte" - auch wenn er tatsächlich "eine Woche lang spurlos verschwunden bleibe".

Der Karikaturist kehrte unversehrt aus Österreich zurück, und am 6. Februar legte er nach. Die neue Zeichnung zeigt drei Stubenhocker, mit Zigarette und Pfeife im Mundwinkel - und einem Bombengürtel aus Federkielen am Bauch: "Wir sind die neuen Terroristen", steht darüber, "nur die Chefredakteure können uns noch stoppen."

Staatsschutz ermittelt

Die Chefredakteure des Berliner Tagesspiegels haben ihren Karikaturisten Stuttmann nicht gestoppt, und nun ist er tatsächlich verschwunden. Er hat Morddrohungen erhalten und ist sicherheitshalber aus seiner Wohnung ausgezogen. Der Staatsschutz ermittelt. Auslöser ist eine Zeichnung, die am vergangenen Freitag im Tagesspiegel erschienen ist.

Sie hatte die Diskussion um einen Bundeswehr-Einsatz bei der Fußball-Weltmeisterschaft ironisch aufgegriffen. Die Karikatur zeigt vier iranische Fußballspieler mit Sprengstoffgürteln um den Bauch, daneben bewaffnete Bundeswehr-Soldaten. Textzeile: "Warum bei der WM unbedingt die Bundeswehr zum Einsatz kommen muss!!" Am Samstag begannen die Proteste.

Der Tag danach

Mehr als 60 Mails seien innerhalb kürzester Zeit bei der Zeitung eingegangen, schreibt Redaktionsdirektor Gerd Appenzeller unter dem Titel "Das Rätsel einer Empörung" in eigener Sache am Dienstag im Tagesspiegel, der "dem Tag danach" eine ganze Seite widmet. Viele Briefe ließen sich offenbar auf ein iranisches Internetforum zurückführen. Die Reaktionen seien "alle ablehnend, manche empört, andere beleidigend, die eine oder andere enttäuscht" gewesen.

Der Generalsekretär der iranischen Sportpressegemeinschaft, Manuchehr Sandi, nannte die Karikatur "einen schmutzigen Witz" und kündigte Protest bei der deutschen und internationalen Sportpresse an. Auch die iranische Botschaft in Deutschland meldete sich mit einer Erklärung: Die Zeichnung habe "Abscheu und Empörung" ausgelöst, die Zeitung solle sich dafür entschuldigen, man behalte sich rechtliche Schritte gegen "diesen unmoralischen Akt" vor.

In der Redaktion des Berliner Zeitungshauses war man überrascht und erschrocken über diese Reaktionen und ihre Heftigkeit - obwohl der Streit um die Mohammed-Karikaturen im Jyllands-Posten bereits beängstigende Ausmaße angenommen und deren Nachdruck in der Berliner Tageszeitung Welt auch in Deutschland die Frage aufgeworfen hatte, was Satire darf. Über das weitere Vorgehen wurde beim Tagesspiegel sachlich, aber besorgt diskutiert. Es äußerten sich auch kritische Stimmen: Die Karikatur hätte in der aufgeheizten Situation nicht veröffentlicht werden dürfen. Aber die Solidarität mit Stuttmann ist groß. Er ist ein beliebter und geschätzter Kollege.

"Dummes Zeug"

Von "bedauerlichen Missverständnissen" schrieb Redaktionsdirektor Appenzeller dann: "Da niemand auf die Idee kommen kann, die iranische Mannschaft würde bewaffnet antreten, ist auch die Schlussfolgerung - Bundeswehr aufs Spielfeld - dummes Zeug."

Die Chefredakteure Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt erklärten am Dienstag außerdem: "Selbstverständlich wollten weder Herr Stuttmann noch der Tagesspiegel die Integrität der iranischen Fußballer in Frage stellen." Sie bedauerten die iranischen Reaktionen auf diese Karikatur und könnten sie sich nur mit mangelnder Vertrautheit mit der innenpolitischen Debatte in Deutschland erklären. Eine Entschuldigung lehnt der Tagesspiegel allerdings ab.

Der Zeichner selbst hingegen lenkt ein. In einem Interview mit dem eigenen Blatt sagte Stuttmann: Er sei gegen einen Bundeswehreinsatz bei der WM und habe lediglich versucht, seinen Standpunkt zu verdeutlichen, "indem ich den Vorschlag ins Absurde zog". Auf seiner Homepage hatte er bereits am Sonntag erklärt: "Wenn das iranische Volk und die iranische Nationalmannschaft verlangen, dass ich mich bei ihnen entschuldige, dann tue ich das hiermit auch - wenn ich mir auch keiner Schuld bewusst bin."

© SZ vom 15.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: