Neue New-Order-CD: "Waiting For The Sirens' Call":Zähle bis 10, bevor du etwas falsch machst!

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In den Achtziger lehrten New Order, wie man Rock und Elektronik und Disco zu einem schicken Fummel zusammenschneidert, und heute ist klar, dass es immer noch keine bessere Jungsband gibt als die hier. Von Alexander Gorkow

Hoffentlich täuscht man sich, aber es könnte ja sein, dass ein paar Bübchen aus dem deutschen Kulturbetrieb gerade ihr Zwergenleiden am Lebenssinn wegmachen wollen, indem sie an einer Biedermeiergroßhandlung basteln.

Touched by your presence, meine Herren! (Foto: N/A)

Man wähnt sich fast umzingelt von Damen und Herren, die als Großschriftstellerdarsteller herumtun, von im Akkord Leinwände mit lauwarmem Öl vollpinselnden Malern aus Leipzig, von cremefarbenen Architekturbüros, die Berlin wieder herschinkeln sollen, weil wenn alles schon den Bach 'runtergeht, dann wie damals, mit Im-Tässchen-Rühren und Fingerchen-Abspreizen.

Womöglich müssen da ein paar Hohlräume hinter Mauern und Stirnen bis zum Regierungswechsel zugekalkt werden, damit man die Po-Öffnung in die richtige Richtung halten kann, nämlich in die, aus der dann bald der Wind weht, gell? Aaah, joldene Zwanziga. Wenn die ersten Kollegen mit Gamaschen und Ärmelschonern ins Büro kommen, gehen wir jedenfalls einen saufen und sagen dann superleise Servus.

Dass vorläufige Rettung durch eine Musik-CD nahen soll, ist gewagt, aber dann eben wieder nicht. Die Rettung naht natürlich aus England, dem Land, in dem man Schlösser nicht wieder aufbauen muss, dem Land des sinnlosen Humors und der grundlosen Zuversicht (aber immerhin der Zuversicht), der Heimat Gautama Buddhas, in der man 7 Pfund für einen Capuccino bezahlt und dann nichts übrig hat für den Herrn in der Unterführung Knightsbridge, der so schön "Something" von den Beatles auf der Gitarre spielt, dass man noch draußen vorm Harrods das Sicherheitspersonal anheult und sofort herzeigen muss, was man in der Plastiktüte hat, weil ja eine Bombe hochgehen könnte.

Die Musiker von New Order haben vier Jahre lang den Erfolg ihrer CD "Get Ready" zu Recht genossen. 2001 wagte man noch nicht, es zu schreiben, aber man ahnte bereits: Diese Platte war derartig gut, dass in den Feuilletons und angeschlossenen Funkhäusern nun für Jahre eine Konferenzschaltungsratlosigkeit anheben würde, gegen die die Weimarer Republik der reinste Kindergeburtstag war. So kam es dann auch.

Man tritt sicher niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass seit zirka 2001 sämtliche Hypes der Nullerjahre eher Doppelnullen waren.

(Foto: N/A)

Das war nur viertelniedlich, wie Franz Ferdinand versuchten, Roxy Music nachzuspielen, wie die White Stripes versuchten, T. Rex nachzuspielen, wie die kleine Nervensäge Adam Green (Wertung im englischen Musikmagazin Q: "So wertlos, wie Musik nur sein kann.") in natürlich Berlin als Achtelkafka zum lokalen Star wurde, wie der Autist Beck bei Harald Schmidt eine schöne Brille aufsetzte und ein schlechtes Lied sang.

Das will alles immer so irre dringend was sein und ist dann nix, und dass nun wiederum New Order im 25. Jahr ihrer Bruderschaft was sein wollen, glaubt man der neuen Platte nicht anzuhören, dass sie was sind, aber schon und sofort.

Die Entstehung dieser Platte stellt man sich wie folgt und zum Durchdrehen simpel vor. Einen um den anderen Tag leuchtete über der Rübe von Bernard Sumner ein Lämpchen wie damals bei Wickie im Kinderfernsehen. Flugs hatten New Order ein paar hinreißende Songs zusammen, und dann haben sie im Studio noch dran 'rumgebastelt.

Man muss sagen: 1. so einfach geht das und 2. auch das Gebastel hört man der Platte an, die so viel Spaß macht wie unseren Kleinen ein Abenteuerspielplatz, auf dem sie ständig neue Verlockungen vorfinden.

Es sind Sumners stürmische Gitarren zum Fäuste-in-die-Luft-werfen drauf, es sind dahinter lilafarbene und seelenprügelnde Streicher, natürlich ist Peter Hooks großartiger Bass drauf, der einst lehrte, wie das klingt, wenn Stahlseile Geschichten erzählen. Dazu kommt heiteres Geplucker und "Piupiu!" und "Doingdoing!" aus dem Computer wie damals in der Italodisco, und dazu kommen Gitarrendreiklänge lupenreinster Schönheit und Melodien, für die man die Welt umarmen möchte, die englische natürlich, nicht deutsche.

Die CD trägt den Titel "Waiting For The Sirens' Call", und der ist in seiner Sehnsuchtshaftigkeit ebenso für 1 zu 1 zu nehmen wie die Texte, in denen sich Äkschn auf Sätisfäkschn reimt, die Mutmacher Hey und Allright zu vernehmen sind, und in denen Briten, die die alte Labour Party wiederhaben wollen und zum Fußball gehen, immer noch auf der Suche nach sich selbst oder der Liebsten sind. Das Reizende an dieser Platte ist ihr ernst gemeinter Sturm und Drang, der im Kleid lasziver Wurschtigkeit daherkommt. Und 25 Jahre nach dem Selbstmord von Ian Curtis, der den New Order-Vorgänger Joy Division kraft Finsternis anführte, schreiben die Familienpapis heute idealistische Texte, in denen empfohlen wird, die gewalttätige Fernsehkiste nicht mit dem Fenster zur Welt zu verwechseln, denn: "Out there the world is a beautiful place / With mountains, lakes and the human race / And this is where I wanna be . . . ".

In den Achtzigern lehrten New Order, wie man Rock und Elektronik und Disco zu einem schicken Fummel zusammenschneidert, und heute ist klar, dass es immer noch keine bessere Jungsband gibt als die hier, wobei es der Musik gut tut, dass diese Jungs daheim so normale Familiensorgen haben wie andere Jungs um die 50 auch, solange sie noch halbwegs dicht sind und nicht den lieben blöden Tag lang auf die eigenen Stiefelspitzen schauen und auf was Großes warten. Man könnte auch sagen: Wenn hier schon wieder eine Band eine Band nachspielt, so ist es großartig, wie es New Order hinkriegen, im Jahr 2005 noch toller zu klingen als New Order 1980.

Dass sie wegen Stur- und Faulheit nie so groß geworden sind wie U 2, darüber wurde von ihrem armen Manager viel geklagt, der aber vergaß, anzufügen, dass New Order wegen ihrer Stilsicherheit auch nie so behämmert wurden, wie U 2 es immer bleiben werden.

Der einzige Hype, der in den letzten Jahren Freude bereitete, war die lustige Homotruppe Scissor Sisters aus New York, und - wir sprachen gerade von Stilsicherheit - prompt krallt sich Sumner deren Sängerin Ana Matronic für ein Duett in dem umwerfend räudigen Tanzknaller "Jetstream", um den herum man umgehend eine Party mit netten Frauen und Männern ohne Gamaschen modellieren will. Wem das zuviel ist, der wird immerhin noch das Fenster aufreißen und die liebe Sonne zurückgrüßen, die es also doch gibt.

So lehrt dieser Diamant von einer Platte, dass gerade in Zeiten, in denen es - wie ja eigentlich immer - total superschlecht läuft, schon elf brillante Kopf-hoch-Songs einen sehr guten Sommer machen. Man muss wissen, woran man glaubt, und wenn man das weiß, weiß man eben auch, wo die Feinde stehen und immer stehen werden. Auf dem Plattencover sehen die, die es immer noch nicht begriffen haben, groß die Initialen der Band. Sie machen eine Ansage, die mal wieder nötig war: No.

Oder, wie es in unserem Lieblingssong heißt: "Hey now what you doing ? / Don't go down the road to ruin / Look back at where you came from / Count to ten before you go wrong."

Touched by your presence, gentlemen!

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