Vor knapp zehn Jahren, bei der ersten Begegnung mit dem Stück, war die Aufführung von Fausto Romitellis "An Index of Metals" in der Münchner Reaktorhalle ein heilsamer Schock. Was Romitelli 2003 seinem sterbenden Leib abrang, ist die Synthese aller möglichen Strömungen der Avantgarde, aus dem Pop genauso wie aus der Klassik. Es ist die Schnittstelle, an der in München lange Zeit das Ensemble Piano possibile arbeitete. Piano possibile gibt es schon länger nicht mehr, und die Arbeit des Ensembles fehlt nach wie vor in dieser Stadt. Aber Romitellis Stück, einst eine Art Markenzeichen von Piano possibile gibt es natürlich noch. Jetzt eröffnete das Ensemble Phace damit das Festival Aspekte, das seit 40 Jahren die Gegenwartsmusik nach Salzburg bringt.
Romitelli entdeckt einen gemeinsamen Stammbaum von avancierter Pop-Musik - wobei "Pop" hierbei ein unzureichender Begriff ist - und zeitgenössischer Neuer Musik, gerade solcher, die auch mit elektronischen Klangereignissen experimentiert. Gleichwohl ist "An Index of Metals" ein analoges Stück, für eine Sopranistin, im Salzburger Republic die völlig angstfreie Daisy Press, ein Ensemble, Elektronik und Videoprojektion. Es heißt auch "Video-Oper", was irreführend ist, denn auch ohne die Projektionen von Schraffuren, Oberflächen, Texturen und Lichtschlieren würde die Aufführung vollkommen gelingen. Ja manchmal glaubt man eher, das Sehen könnte vom Hören ablenken.
Von den früheren Aufführungen in München ist "An Index of Metals" viel stärker als Band-Erlebnis in Erinnerung, eben weil Piano possibile über die Jahre gelernt hatte, wie eine hochkomplexe Band zu agieren. In Salzburg ist der Eindruck durchaus akademischer, was aber der Wucht dieser Musik keinen Abbruch tut. Auch beim Ensemble Phace ist unter der (ein bisschen zu) akkuraten Leitung von Nacho de Paz die Elastizität eines unmittelbaren Live-Erlebnisses noch vorhanden. Da ist Romitellis Amalgam aus Elektrogitarre, synthetischen Klängen, E-Bass und symphonischer Musik, in kleiner, aber extrem durchschlagstarker Besetzung einfach unverwüstlich. Und die engagierten Musiker von Phace sowie die hochvirtuose Daisy Press sind absolut souverän genug für diese vielschichtige Musik voller komplexer Anforderungen für jeden einzelnen Musiker, die letztlich alle gruppentaugliche Solisten sein müssen. So entsteht eine Stunde klangliche Hypnose, ein Sog aus Klang, Gesang, pendelnd zwischen heilsamem Lärm und schmerzvoller Lyrik. Es ist verstiegen, aber diese Verstiegenheit verliert nie ihren harten, emotionalen Kern.
Danach schaffen es die Bayern gegen real Madrid nicht, den Ball ins gegnerische Tor zu bugsieren, und Marino Formenti lädt zu einer Nachtsession in die Kavernen, einem herrlichen Ort, der ein wenig an die Gewölbe im Münchner Einstein erinnert. Formenti spielt eine Hommage an Olga Neuwirth, eine Sammlung kleiner Stücke von Neuwirth, Satie, Cage, Lachenmann, Schubert, um nur ein paar Namen zu nennen. Ach ja, seine eigene Sicht auf Pink Floyd ist auch dabei, was eine schöne Klammer zu "An Index of Metals" bildet, denn Romitellis Werk beginnt mit den Wiederholungen eines elektrischen Schnaufers, entlehnt dem Album "Wish You Were Here".
Formenti kramt im Flügel herum, versteckt dort sirrende und klappernde Dinge, legt auch allerlei Zeugs auf die Tastatur, nimmt mit Freude den Schalk an, der in manchen der ausgewählten Kompositionen angelegt ist. Aber er ist von emsiger Ernsthaftigkeit. Er spielt diese Musik, als säße er spätnachts in einem Club, versunken, traumverloren, aber doch hellwach. Genau gesetzt ist immer wieder das romantische Luftholen zwischen den hochexpressiven Experimenten. In der Gesamtschau wirkt es wie die Bilder eine kaputten Ausstellung, Risse reißen die Ohren auf.
Danach haben zwar die Bayern verloren, aber man selbst trägt den Gewinn davon, ein spannendes Konzertformat erlebt zu haben, das man gerne so nach München mitnähme. Die "Aspekte" mit ihrem diesjährigen Schwerpunkt Klang-Musik-Video-Film gehen noch weiter, bis zum kommenden Sonntag.