Neue Musik:Maximaler Minimalismus

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Ein Geburtstagskonzert für Steve Reich im Schwere Reiter

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Es muss nicht immer der Herkulessaal sein. Vier Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker spielen im Schwere Reiter "off off" - und zwar Kompositionen von Steve Reich, dem reflektiertesten der Minimal-Music-Pioniere. Die jungen Musiker haben sichtlich Spaß dabei, hoch konzentriert die umwerfende Präsenz dieser Musik herauszuklöppeln. Und das bildungsbürgerlich-soignierte Publikum trampelt am Ende vergnügt.

Die Musik des New Yorkers Steve Reich, der just am 3. Oktober 80 wurde, ist geprägt von afrikanischen Rhythmen und balinesischem Gamelan. Reich stieß in der Folge in bisher nicht gekannte polyrhythmische Klangkosmen vor. Sein Instrument, das Schlagzeug, passte ebenso wenig wie sein kompositorisches Frühwerk zu der in New Yorks Upper Westside in den Sechzigerjahren kultivierten Neuen Musik von oftmals gediegener Langeweile. Reich, stets unterwegs zwischen Ost- und Westküste, gehörte, wenn in New York, zu denen, die downtown etwas wagten und ausprobierten. Er ging Anfang der Achtziger eine künstlerische Allianz ein mit der Tänzerin Laura Dean, der ersten Minimal-Choreografin. In Europa war es die Flämin Anne Teresa De Keersmaeker, die Steve Reichs Kompositionen kongenial in Bewegung umsetzte und sinnlich auflud. Sich beim Tanzen fransig zu zählen und repetitive Muster herunterzunageln, reicht eben nicht.

Auch nicht bei den Musikern, die Steve Reich spielen. Es ist wohl, ähnlich wie beim Zuhören, ein meditatives Durchdringen der komplexen Kompositionsmuster vonnöten, deren Schläge in steter Wiederholung rhythmisch immer kleinere Notenwerte in einer Art Zellteilung addieren und sie dann wieder auf wenige fettere Töne im gleichbleibenden Muster zu schrumpfen. Dabei sind die identischen Phasen zeitlich leicht verschoben - ein Phänomen, das Steve Reich beim Abhören zweier gleichzeitig abgespielter Tonbandaufnahmen entdeckt hatte, deren Geschwindigkeit sich eben um eine Kleinigkeit unterschied. Er übernahm es als Technik für seine Kompositionen.

Heute ist es, anders als noch vor 30 Jahren, für Orchestermusiker selbstverständlich, Minimal Music spielen zu können. Sebastian Förschl, Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach und Michael Leopold bearbeiten mit der Präzision eines Uhrwerks die Holz- und Metallbretter der Marimba- und Vibrafone, die kleinen Trommeln. Sie lassen Mikrofone über Lautsprechern rhythmisch im klanglichen Feedback schwingen oder klatschen synkopisch in die Hände, dass es ein Fest ist. Dabei ist die Anordnung der Schlaginstrumente im Raum schon eine Installation für sich.

Fünf Stücke aus den Jahren 1967 bis 1973 gipfeln schließlich in Drumming, Part 1, einer der berühmtesten Kompositionen Steve Reichs. Acht Hände, manchmal fast doppelt so viele Stöcke traktieren die straff gespannten Felle in wohlkalkulierten Crescendi, entlocken ihnen trockenere, härtere Rhythmen, als sie vom Steve Reich Ensemble dokumentiert sind. Und erzählen dabei wortlos, lautstark, ekstatisch sehr schöne Geschichten von einem Amalgam verschiedener Kulturen.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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