Neue Musik:Die Klangmystikerin

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Die amerikanische Komponistin Gloria Coates lebt seit Jahrzehnten in München und schreibt Werke, die sich nicht einfach einordnen lassen wollen. Am Sonntag wird ihr Klavierquintett uraufgeführt

Von Barbara Doll

Der 50er-Jahre-Schriftzug "Haus Savoy" am Eingang. Der rote Läufer im Treppenaufgang, mit Messingstangen befestigt. Die verwaiste Portiersloge. All das passt sehr gut zu Gloria Coates und ihrer Musik. Weil es so wunderbar der Zeit enthoben scheint, weil es von Vergänglichkeit und Fortdauern erzählt.

Seit gut 40 Jahren lebt die aus Wisconsin stammende Komponistin in dem berühmten Schwabinger Appartementhaus, mit einem weißen Klavier und Wänden voll eigener, hoch expressiver Gemälde. Vor dem Zweiten Weltkrieg wohnten im "Haus Savoy" viele jüdische Mieter, später zog Leni Riefenstahl ein; Franz Josef Strauß feierte im Keller beim Edelitaliener, im Rückgebäude arbeitete Bernd Eichinger. Gloria Coates, Jahrgang 1938, landete zufällig hier: 1969 ging sie mit ihrer kleinen Tochter, ihrem dreizehnjährigen Dackel und zehn Koffern in Amerika an Bord eines Frachters. In Stuttgart wollte sie Operngesang studieren. Doch München, besonders die Gegend um den Josephsplatz, gefiel ihr besser. Sie blieb - und beschloss, Komponistin zu werden. Bis dahin hatte sich Coates nicht entscheiden können, ob sie Sängerin, Komponistin oder Schauspielerin werden sollte. Obwohl sie schon Tontrauben notiert hatte, bevor sie wusste, dass man so etwas "Cluster" nennt; obwohl sie mit 15 Schülerin des großen russischen Komponisten Alexander Tscherepnin geworden war und in Louisiana Komposition studiert hatte.

Das Münchner Musikleben, sagt Gloria Coates, sei damals "viel, viel lebendiger" gewesen: Es gab noch keinen Gasteig, dafür viele kleine Spielorte wie das Lenbachhaus oder das Amerikahaus, wo sie eine deutsch-amerikanische Konzertreihe leitete. Mit Nebenjobs - Reiseführerin für US-Soldaten, Synchronsprecherin - schlug sie sich durch und entwickelte langsam ihre eigene Musiksprache. Sie fuhr zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, hörte Zwölftoner und Serialisten. Doch ästhetische Dogmen berührten sie nicht, auch dank ihres amerikanisch unbefangeneren Musikbewusstseins.

Gloria Coates komponierte ein Orchesterwerk nach dem anderen und gab ihnen immer wieder neue Titel, etwa "Homage to Van Gogh". Irgendwann wurde ihr das zu chaotisch, sie nummerierte die Stücke durch und nannte sie "Symphonien", ohne groß über die Gattungstradition nachzugrübeln. So wurde sie mit ihren 16 Symphonien zur wohl produktivsten Symphonikerin überhaupt, und der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher bescheinigte ihr eine Neubelebung der Form durch eine "apokalyptisch-expressionistisch-mystische Weltsicht". Ihre erste Symphonie "Music on Open Strings" war eine Sensation beim Warschauer Herbst 1978. Zwei Jahre später wurde sie als erste Orchesterkomposition einer Frau bei Musica Viva aufgeführt. Vor einigen Wochen hat das Münchener Kammerorchester die Symphonie gespielt, im Herbst ist sie beim Klangspuren-Festival in Schwaz zu hören. Ihre Musik, sagt Gloria Coates, komme aus dem Innersten, sie sei Emotion, Intellekt - und noch etwas Metaphysisches. Ihre Musik rührt auch ans Innerste. Es sind unendlich langsame, großflächige Klangprozesse, deren Bewegungsrichtung oft nicht nachvollziehbar ist. Mikrotonale Glissando-Wellen, die sich in die Höhe schrauben. Oder in die Tiefe bohren? Oder stagnieren?

Coates schreibt monumentale Musik übers Werden und Vergehen, und ja, das könne man durchaus "autobiografische Musik" nennen. Vieles entstand in emotionalen Extremsituationen, etwa die markerschütternde vierte Symphonie ("meine beste"), die sie nach dem Tod ihres Vaters schrieb. Sie kann skurrile Geschichten erzählen über Dinge, die ihr beim Komponieren passiert sind, "mystische" Dinge, Fügungen. Als Komponistin ist Gloria Coates ein Solitär geblieben - weil sie Eigenmarketing nie interessiert hat und weil sich ihre Musik nicht in Stilmuster pressen lässt. Einfache musikalische Modelle kombiniert sie mit überlieferter Technik wie Kanon oder Passacaglia, jedoch anders als etwa Penderecki oder Ligeti. Viele ihrer Werke - Symphonien, Streichquartette, Vokalmusik - gibt es auf CD, einen Verlag hatte sie nie. Auch privat wollte sie nie sesshaft werden, lange pendelte sie zwischen München und New York. Das Leben zwischen Deutschland und den USA - "kind of here and there and everywhere and nowhere" - gibt ihr die Freiheit zum Komponieren. Coates braucht "viel leeren Raum" um sich, doch es gibt auch Stellen, die schmerzen, weil sie plötzlich leer werden und sich nicht mehr füllen: Ihr Klavierquintett, das am Sonntag uraufgeführt wird, hat Gloria Coates angesichts des Verlusts mehrerer enger Freunde komponiert.

"Gloria Coates. Eine Amerikanerin in München" , Uraufführungen von Gloria Coates, Elena Tarabanova und Katharina Susanne Müller, Kreutzer Quartet / Roderick Chadwick, Klavier, So., 21. Juni, 19.30 Uhr, Black Box im Gasteig

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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