Neue Duett-CD: Ray Charles "Genius & Friends":Das Tanzbein zuckt, der Anzug steht uns bestens

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Von vielen Musiker-Legenden werden posthum "Best Of"-Platten veröffentlicht. Bei Soul-Altmeister Ray Charles läuft das anders: Er singt neu, frisch und unverbraucht - und bringt sich unter anderem mit Alicia Keys und Mary J. Blige selber Ständchen.

Frederic Huwendiek

Noch auf dem Sterbebett soll Ray Charles seinen Produzenten James Austin gebeten haben, alte Duett-Aufnahmen aus den späten Neunzigern hervor zu kramen - ungehobene Rhythm & Blues-Perlen harrten ihrer Entdeckung.

So wird er wohl im Gedächtnis bleiben: "Soul Genius" Ray Charles und sein unvergleichlicher Gesichtsausdruck. (Foto: Foto: AP)

Dabei seien seine Aufnahmen, so Produzent Austin, für Charles immer so etwas wie Kinder gewesen - dadurch, dass diese Duette aber bis dato weder veröffentlicht, noch abgemischt worden waren, galten sie für ihn wohl vielmehr als Vollwaisen.

Jetzt, über ein Jahr nach seinem Tod, erscheint nach dem Grammy-gekrönten "Genius loves Company" nun die zweite Scheibe mit fast verstaubten Charles-Duetten: "Genius & Friends". Und es sind tatsächlich Duette mit dem großen Charles.

Und wieder versammeln sich die Größen des Pop, um dem Übergroßen des Soul ihre Reverenz zu erweisen: Angie Stone, Mary J. Blige, Diana Ross, George Michael, Alicia Keys und einige mehr.

Leichenfledderei? Fehlanzeige!

Manch einer mag hier Leichenfledderei umwillen des schnöden Mammon wittern, Geldmacherei fürchten mit dem Vermächtnis des toten Soulgiganten - doch: Die Scheibe ist wunderbar geworden.

Aus jeder Melodie, aus jeder Silbe des wirkungsmächtigen Stimm-Titanen strahlt Kraft und Lebensfreude. Und wer sich erinnert, wie sich Ray Charles für die Verfilmung seines Lebens in "Ray" begeisterte, weiß, dass der Altmeister des modernen Souls und R'n'Bs wahrscheinlich wenig gegen die eigene Mythospflege einzuwenden hätte.

Die neuen Einspielungen und Gesangsspuren, mit denen die 'rohen' Originalaufnahmen der Duett-Sessions aufpoliert wurden, die neuen Beats und Gaststimmen fügen sich organisch ins Soundgewebe dieses beste Laune verbreitenden Tonträgers.

Das Tanzbein zuckt, der Anzug steht uns bestens

Neo-Soul-Diva Angie Stone macht mit dem herrlich-smooth groovenden "All I want to do" den Anfang und man glaubt Ray und Angie aufs Wort, dass sie einfach nur Spaß mit einander haben wollen. Bevor man ob des wohligen Schönklangs dieser Musik gewordenen Liebeserklärung langsam auf Wolke sieben wabert, schüttelt uns "You are my sunshine" mit dem grandios treibenden Big-Band-Swing aus souligen Träumereien.

Das Tanzbein zuckt, der Anzug steht uns bestens, wir grinsen breit - und, ach ja: "Du bist mein Sonnenschein, Baby." Die einzigartige, verrauchte, gewachsene Stimme von Ray Charles klingt so jung, so frisch, so unverbraucht - man mag kaum glauben, dass Charles zur Zeit der Aufnahme ein fast 70 Jahre alter Mann war.

Nach diesem swingenden Zwischenspiel auf einem sommerlichen Tanzparkett mit Chris Isaak, entschweben wir mit der Popballade "It all goes by so fast" allem Weltlichen - schmachtend das ganz große Gefühl beschwörend - gebettet in den wohligen Schoß der Romantik. Die große Stimme des neuen Souls, Mary J. Blige singt mit Vibrato von Abschied, Liebe und Hoffnung. Nur die lebensweise Melancholie in Charles' Stimme rettet den Song vor dem Fall in den pathos-gepuderten, rosaroten Kitschtopf.

Gleiches gilt auch für den schablonenhaft nach Black Music-Stangenware klingenden Schmachter "You were there" mit Gladys Knight und das unangenehm zuckrige "Blame it on the sun" mit George Michael. Aber wer hätte anderes von Mr. Michael erwartet?

Lennons "Imagine" schunkelt vor sich in

Ganz im Gegenteil dazu John Lennons "Imagine": Der große Klassiker schippert im gemächlich-schunkelnden Sechs-Achtel-Takt dahin, um sich dann im Refrain mit Unterstützung von Streichern, und den Chorälen der Harlem Gospel Singers zu einem Bombastfeuerwerk zu steigern. So viel Soul war in Liverpool noch nie.

Definitv auf der Habenseite zu verbuchen sind auch die funky Discokugel "Shout", das entspannte "Busted" mit Willi Nelson in der Live-Version und - o Wunder! - auch das Traditional-Remake "America the beautiful".

Die unnahbar rastagezopfte, immerzu klavierspielende Alicia Keys darf diese Hymne auf die wunderschönen US of A gemeinsam mit Soul-Altmeister Ray Charles trällern. Das an sich abgedroschene, pathosgeschwängerte Lied wurde für "Genius & Friends" mächtig aufgehübscht - mit verstärktem Bläser-Einsatz und Background-Chor. Damit kann man selbst den gegen jegliche Form von Nationalismus gefeiten Mitteleuropäer für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten begeistern.

Ein würdiges Geschenk an den Alten des Soul

Es ist nicht alles genial wo "Genius" und "Ray Charles" draufsteht. Unnötig banale Ausflüge in schlichteste R'n'B-Popuntiefen und Easy Listening-Geschunkel seien aber verziehen - auf dieser Scheibe kann man sich sicher sein, spätestens der übernächste Track wird wieder ein guter.

Spaß macht die CD. Definitiv. Nicht zuletzt in unserem miesepetrigen Merkel-Herbst. Und sie zeigt: Der Mann, den Frank Sinatra "Soul Genius" taufte, ist noch immer relevant. Soult, swingt, rockt wie eh und je.

Am 25. September wäre Ray Charles 75 Jahre alt geworden. Alles in allem ein würdiges Geschenk an den großen Alten des Soul.

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