Neu im Kino: "Street Kings":Die guten dreckigen Kerle

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In "Street Kings" kämpft sich Keanu Reeves als Cop mit Guerilla-Mentalität durch die Grauzone der Korruption.

Anke Sterneborg

Der erste Griff nach dem Klingeln des Weckers gilt nicht dem Körper einer Geliebten im Bett, sondern dem harten Stahl seiner Waffe. Noch vor dem Zähneputzen wird Tom Ludlow (Keanu Reeves) sie in ihre Einzelteile zerlegen und reinigen. Dann zieht er los, nicht in den hellen Tag, sondern in die dunkle Nacht hinaus, und es ist eine ganze Weile unklar, auf welcher Seite des Gesetzes er eigentlich steht - bald wird sich herausstellen, dass er, wie viele moderne Antihelden, auch selbst längst die Orientierung verloren hat.

Eine Fülle realer Polizeiskandale und fiktiver Filmgeschichten schüren derzeit den Verdacht, dass den Verbrechern in der herrschenden Korruption mit legalen Mitteln nicht mehr beizukommen ist. In den siebziger Jahren war Clint Eastwoods "Dirty Harry" noch eine extreme - und heftig gescholtene - Ausnahmeerscheinung. Doch im Schatten der Bush-Regierung schwärmen in Filmen wie "Departed", "16 Blocks", "Shooter" oder "8 Blickwinkel" zahllose einsame Rächer aus in den Kampf gegen die Korruption, nicht selten um den Preis des eigenen Seelenheils.

"Who else is gonna hold back the animals?", rechtfertigt Tom Ludlow seine Guerilla-Mentalität gegenüber einem Internal Affairs Cop (Hugh Laurie, der schon als Fernseharzt Dr. House ausgiebig in Zynismus badete). Wer sonst soll die Zivilisation vor den Bestien schützen . . . dazu gehört dann eben auch, dass Tom wild um sich schießend in ein Haus am Stadtrand stürmt und dann das Blutbad vor dem Eintreffen der Kollegen hastig zu einem Krieg rivalisierender koreanischer Mädchen- und Drogenhändler umgestaltet.

Los Angeles ist ein hartes Pflaster, bei James Ellroy, dem hartgesottenen Krimiautor von "L. A. Confidential" oder "Black Dahlia", ebenso wie bei dem "Training Day"-Drehbuchautor und "Harsh Times"-Regisseur David Ayer, die sich hier nach "Dark Blue" schon zum zweiten Mal zusammentun. Beide haben die Schattenseiten von Hollywood schmerzlich am eigenen Leib erfahren, darüber eine Faszination für den düster schillernden Glanz des Verbrechens entwickelt, dort wo die Stadt der Engel zur reinen Hölle wird, und auch die Guten einen Drall zum Bösen haben.

Im Glanz des Verbrechens

Immer wieder erzählt Ayer von Spezialeinheiten, die in den Grauzonen zwischen Gesetz und Verbrechen arbeiten und eine grimmige Version des Westernfaustrechts in die urbanen Metropolen tragen. So wie die wildgewordenen Cops in "Dark Blue" und "S. W. A. T.", beide nach Ayers Drehbüchern entstanden, arbeitet auch Tom Ludlow im Schutz so einer Spezialtruppe, die all seine schmutzigen Taten deckt, angeführt von Forest Whitaker, unter dessen bärig gemütlicher Erscheinung schon in "The Last King of Scotland" eine perfide Gefährlichkeit lauerte.

Und so wie der amoklaufende Kriegsveteran in "Harsh Times" und der korrupte Cop in "Training Day" verliert auch Ludlow jeden Maßstab und jede Perspektive. Erst als sein ehemaliger Partner in einem mysteriösen Überfall abgeschlachtet wird, regen sich unter seiner Betäubung Misstrauen und Widerspruchsgeist, und er beginnt eine kompromisslose Suche nach der Wahrheit, die den Interessen seiner Abteilung gefährlich zuwiderläuft. Statt wie Curtis Hanson in seiner Verfilmung von "L. A. Confidential" auf atmosphärische Raffinesse und erzählerische Stringenz zu setzen, geht es Ayer um eine überhöhte Authentizität in den dreckigen Ecken von L. A., die er als gebeuteltes Kind von South Central nur allzu gut kennt.

Und Keanu Reeves, bei dem schon die Special-Effects-Leute von "Matrix" das Fehlen mimischer Nuancen beklagten, passt sich seiner Rolle verblüffend gut an, ganz einfach weil sein aufgedunsenes und ausdrucksloses Gesicht die abgestumpften Gefühle dieses schmutzigen Cops ganz gut wiedergibt, der von der Trauer um seine Frau, der alltäglichen Gewalt und Unmengen von Alkohol gezeichnet ist und sich wie aufgezogen durch den Sumpf der Korruption pflügt. Selbst seine blinde Ahnungslosigkeit gegenüber seinen Kollegen kann man ihn da abnehmen. Schließlich waren Schein und Sein in Los Angeles schon immer schwerer auseinanderzuhalten als anderswo.

STREET KINGS, USA 2008 - Regie: David Ayer. Buch: James Ellroy, Kurt Wimmer, Jamie Moss. Nach einer Story von James Ellroy. Kamera: Gabriel Beristan. Schnitt: Jeffrey Ford. Musik: Graeme Revell. Mit: Keanu Reeves, Forest Whitaker, Hugh Laurie, Chris Evans, Common, The Game. Fox, 109 Minuten.

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© SZ vom 17.4.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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