Neu im Kino: Keira Knightley in "Abbitte":Venus im Scherbenhaufen

Lesezeit: 3 min

Liebe und Lüge zwischen englischer Landidylle und Kriegsapokalypse: Joe Wrights großartige Verfilmung von Ian McEwans "Abbitte" schwankt zwischen Traum und Albtraum.

Rainer Gansera

So glücksversessen und happyendsüchtig sind wir, dass wir gern das Abgründige unserer Phantasie verdrängen möchten. Hell und idyllisch funkelt der Begriff, phantasievoll nennen wir die spielerische, bunt ausschweifende Imagination, wo wir doch wissen, dass auch die größten Schreckensszenarien durch die Phantasie vorbereitet und ausgemalt werden. Traumhaft gilt uns gar als Synonym für paradiesisch, als wollten wir die angstschweißtreibenden Albträume einfach unterschlagen.

Überirdisch schön: Regisseur Wright lässt Keira Knightley strahlen. (Foto: Foto: ap)

"Abbitte", Joe Wrights großartige, eigenwillig imaginierte Verfilmung von Ian McEwans gleichnamigem Roman, ist traumhaft im wahrsten Sinne des Wortes - dekliniert alle Facetten, vom unschuldigen Wunschtraum über das erotische Delirium bis zur apokalyptischen Vision.

Die Bilder zeigen den Glanz, den Sog und das Schockhafte von Traumerscheinungen, sie blenden oder verstören, changieren zwischen "wirklich" und "phantasiert", und die Einteilung des Films in zwei große Erzählkapitel macht das Doppelgesicht des "Erträumten" zur überwältigenden Erfahrung von Schuld und dem vergeblichen Versuch, Abbitte zu leisten.

Zuerst: die Idylle. Auf einem prächtigen englischen Landsitz des Jahres 1935 schwelgt die Kamera im Grün der Wiesen, und die dreizehnjährige Briony (Saoirse Ronan) träumt davon, eine große Schriftstellerin zu werden. Sie tippt an einem Theaterstück, das beim bevorstehenden Familientreffen zur Aufführung kommen soll.

Das Klickklack ihrer Schreibmaschine wird von der Musik leitmotivisch aufgenommen, und Brionys Phantasie springt, musikalisch akzentuiert, vom Manuskript hinüber in ihren Blick auf das, was sich zwischen ihrer 22-jährigen Schwester Cecilia (Keira Knightley) und Robbie (James McAvoy), dem Sohn der Hausverwalterin, abspielt: der Beginn eines leidenschaftlichen Amour fou über Klassengrenzen hinweg.

Amour fou am Brunnenrand

Voller Eifersucht beobachtet Briony, die sich den Jungen als Objekt ihres frühreifen Begehrens auserkoren hat, einige Szenen zwischen Robbie und Cecilia. Da zerbricht am Brunnen eine Vase, und Cecilia taucht nach den Scherben, um dann, schön wie Venus, am Brunnenrand zu stehen. Später am Abend die heftige Liebeserklärung und Umarmung in der Bibliothek.

Brionys neidgetriebener Blick deutet das Geschehen um - und der Film lässt das in einem Replay der Szenen spürbar werden -, sodass ihr Robbie zunehmend als angsteinflößende, beinahe dämonische Figur erscheint. Die Möchtegern-Autorin mit der überhitzten Phantasie spielt Schicksal in verhängnisvollster Weise: Während des nächtlichen Festes wird im Park ein junges Mädchen vergewaltigt, und Briony ist sich sicher, wer der Täter sein muss . . . Denunziation bei der Polizei, Abtransport ins Gefängnis, das Glück der Liebenden ist zerstört. Und Brionys Leben wird von der unverzeihlichen Lüge überschattet bleiben.

Vier Jahre später, 1939: die Apokalypse. Robbie landet als Frontsoldat im Kessel bei Dünkirchen. In einem gewaltigen Panorama wird der Krieg als höllisches Jahrmarktszenario ins Bild gesetzt: Detonationen, Chaos und Panik unter den Soldaten, ein leer drehendes Riesenrad, verendende Pferde, ein Männerchor, das giftige Rot von Klatschmohnfeldern und die Schatten der Bomber, die sich im Fluss spiegeln.

Währenddessen pflegen Briony (nun gespielt von Romola Garai) und Cecilia in London als Krankenschwestern die Verwundeten. Briony weiß nun, dass sie mit ihrer Lüge das Glück der Liebenden ruiniert hat und will beide um Verzeihung bitten. Ist Wiederbegegnung und Versöhnung möglich? Eine Zeit lang gibt der Film unserem Glücksverlangen nach, bis er die bittere Wahrheit enthüllt.

Nicht wieder gutzumachen

Schon in seinem ersten Spielfilm, der Jane-Austen-Adaption "Stolz und Vorurteil", 2005, mit Keira Knightley in der Hauptrolle, erwies sich Joe Wright, Jahrgang 1972, als ein Meister darin, seine Figuren à la Renoir aufblühen zu lassen. Auch hier setzt er im ersten Teil alles daran, der Spur der Phantasien und Sehnsüchte seiner Heldinnen zu folgen.

Überirdisch schön lässt er Keira Knightley aufstrahlen - ob im seerosenweißen Badeanzug oder im seidig-grünen Abendkleid. Bezwingend folgt er dem Eifersuchtsfieber der jungen Briony und hält dabei in der Schwebe, was daran "unschuldig" und was "verrucht" zu nennen wäre.

Von den griechischen Göttern wissen wir, dass sie Menschenglück mit unnachsichtig zerstörerischem Neid verfolgen konnten. Als Abgesandte solcher Götter erscheint die junge Briony. Im Epilog, der die alte Briony als berühmte Schriftstellerin an ihrem Lebensabend zeigt (nun gespielt von Vanessa Redgrave), folgt das Geständnis: Das begangene Unrecht lässt sich nicht wieder gutmachen, das zerstörte Glück lässt sich nicht wieder kitten, auch nicht in einem Roman, der sich ein Happy End herbeiphantasieren wollte.

ATONEMENT, GB 2007 - Regie: Joe Wright. Buch: Christopher Hampton. Nach dem Roman von Ian McEwan. Kamera: Seamus McGarvey. Musik: Dario Marianelli. Mit: Keira Knightley, James McAvoy, Brenda Blethyn, Vanessa Redgrave, Romola Garai, Saorise Ronan, Patrick Kennedy, Benedict Cumberbatch. Universal, 123 Minuten.

© SZ vom 8.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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