Neu im Kino: "I'm Not There":Brillanter Kuddelmuddelstil

Lesezeit: 4 min

Sechs Möglichkeiten, sich Bob Dylan zu nähern: Todd Haynes hat mit "I'm Not There" ein berauschendes Kinowunder zwischen Experiment und Mainstream kreiert.

Karl Bruckmaier

Am 11. November 2007 starb Jeffrey Owen Jones, Professor für Film am Rochester Institute for Technology, im Alter von 63 Jahren an Lungenkrebs. Jeffrey Owen Jones war der Mr. Jones aus Bob Dylans Song "Ballad of a Thin Man", jenes Zerrbild eines Intellektuellen, das den Kontakt zu den Zeitläuften verloren hat und fassungslos vor den Trümmern seines so vergeblich angehäuften Wissens steht: "Something is happening, and you don't know what it is, do you, Mr. Jones?"

Cate Blanchett als Bob-Dylan-Alter-Ego: Sie zuckt und ruckt, muckt und spuckt. (Foto: Foto: dpa)

Etwas geht hier also vor, doch er weiß nicht was, dieser Mr. Jones, der Dylan 1965 in Newport interviewte: "Es erfüllt mich mit perversem Stolz, meinen Namen in diesem Lied zu hören - mit jener Art Stolz, die vielleicht ein Gauner empfindet, der seinen Namen in der Zeitung liest."

Zur Strafe in die Bilderhölle

In Todd Haynes' Film "I'm Not There" inkarniert Bruce Greenwood Mr. Jones, auch wenn er im Film mit Vornamen Keenan heißt und einen britischen Fernsehfeuilletonisten gibt: Der aus jeder Pore Überlegenheit atmende Oberschichtbrite zerbricht an seinem amphetaminbefeuerten Gegenüber Jude alias Cate Blanchett und wird als Strafe für sein Nicht-Verstehen der Welt in eine Art Buñuelsche Bilderhölle katapultiert.

Oder war es eine Fellinische Bilderhölle? Man verliert so leicht den Überblick während dieser 135 Minuten voller Zitate und Dylan-Darsteller (sechs, wie allgemein bekannt): Eigentlich, so möchte man meinen, handelt es sich in dieser Sequenz in erster Linie um eine Hommage an D.A. Pennebakers Quasi-Dokumentation "Don't Look Back", aber Regisseur Todd Haynes verneint jede Ähnlichkeit mit der Cinéma-vérité-Ästhetik Pennebakers, und, ja, er hat natürlich recht: Das Schwarz-Weiß, das grobkörnige Filmmaterial, die Inszenierung, all dies ist auf eine ebenso vertrackte Art gleichzeitig richtig wie verkehrt wie Pennebaker wie Fellini: "Something is happening..."

Meist wird geritten

Am 11. November 2007 verstarb also Jeffrey Owen Jones, der nach einer kurzen Karriere als Leichtathlet mit einem Fulbright-Stipendium nach Uruguay ging und später in Spanien Experimentalfilme drehte, um schließlich doch an einem amerikanischen College Spanisch zu unterrichten. Seine Schwester über den Dylan-Zwischenfall: "Das ist ja nichts, worauf man stolz sein könnte. Dabei war mein Bruder eine Seele von einem Menschen, spielte selbst Mundharmonika und fuhr sogar einen VW-Bus."

Irgendwann fährt das Hippie-Vehikel von VW sicherlich auch durch Todd Haynes' Film, vermutlich während jener in warme Farben, aber erkaltete Gefühle getauchten Siebziger-Jahre-Sequenzen, in denen entweder Heath Ledger ein schauspielerndes Dylan-Alter-Ego gibt oder Christian Bale erst den alkoholkranken Kerouac/Dylan, dann den maladen Prediger. Aber meist wird eher geritten (Richard Gere) oder auf Güterzüge gesprungen (wieder Richard Gere, aber auch Marcus Carl Franklin), dann natürlich Motorrad gefahren (Heath Ledger und die wunderbare Charlotte Gainsbourg, natürlich auf einer Triumph).

Oder man wird vom Wal verschluckt wie einst Jonas, auch so ein Prophet, dem nur widerwillig zugehört wurde (der kleine Franklin wieder). Dazwischen sitzt Cate Blanchett in britischen Taxis und zuckt und ruckt und muckt und spuckt, dass nach der "Coppa Volpi" in Venedig und dem "Golden Globe" nun auch der Oscar möglich schien - und dann doch nicht.

Balance zwischen Experiment und Mainstream

Am 11. November 2007 starb jedenfalls Jeffrey Owen Jones an Lungenkrebs, der später Redakteur bei der amerikanischen "Psychologie Heute" wurde, schließlich Bildungsfernsehen machte, wofür er 1997 einen Emmy erhielt. Über Dylan sagte er, es sei verblüffend für ihn, wie genau der Sänger ihn seinerzeit analysiert habe. "Er hatte völlig recht: Damals geschah etwas in Newport, und ich hatte keinen Schimmer, was das war."

Todd Haynes zeigt in "I'm Not There" zur Musik von Bob Dylan sechs biographische Möglichkeiten, Lebensvarianten, gut erfunden, schön gefilmt und geschnitten, lose miteinander verwoben, die alle Teil der Dylanschen Biographie sein könnten, es aber nicht sind. Wenn schon, so entspringen viele Details oder Personen Dylans Liedern - besonders die spätwesternhafte Richard-Gere-Sequenz ist quasi die Verfilmung des "Basement Tapes"-Covers und der Songs auf dieser Doppel-LP - und manchmal scheinen wir eher in die visuelle Fassung einiger Seiten Greil Marcus und seiner Visionen eines "alten, unheimlichen Amerikas" geraten zu sein als in eine Filmbiographie über Robert A. Zimmerman.

Und doch: Dylanologen - so nennt man die bis zur Selbstparodie kenntnisreichen Dylan-Experten - können sich in diesen um Ausdeutung geradezu bettelnden Film versenken und munter mit Detailwissen spritzen; Cineasten können die Filmverweise auf Jahre hinaus in ihren Blogs analysieren, Amerikanisten eine Kultur in der Krise sezieren, aber - und dies ist Haynes' größte Leistung - man kann einfach ins Kino gehen und einem kleinen Wunder beiwohnen: Diese Balance zwischen Experiment und Mainstream. Zwischen Eigensinn und Mitteilungsbedürfnis. Diese Bilder.

Es ist überhaupt nicht schlimm, wenn man dieses und jenes nicht versteht, wenn man sich zwischendrin kurz langweilt und wegdriftet. Der Film tut dies ja auch. Und ist dann gleich wieder für einen da. Zeigt einem das Gesicht von Charlotte Gainsbourg. Ein Strauß, eine Giraffe laufen durchs Bild. Für Sekunden albern die Beatles in Richard-Lester-Manier durch den Hintergrund. Jim James von My Morning Jacket singt "Goin' to Acapulco" mit solcher Inbrunst, dass einem die Tränen einschießen.

Hier rumpelt Heath Ledger mit dem Motorrad gegen eine Scheunenwand: Wie gerne hätte man ihn alt werden sehen. Und wenn David Cross als Allen Ginsberg auf einem Golfwägelchen neben Dylans Taxi herfährt oder auf dem Friedhof Faxen macht, darf sogar gelacht werden: nicht kennerhaft (haha: lauter "Renaldo & Clara"-Anspielungen), sondern von Herzen. Und man lacht nicht über den Film - wie geschehen bei Dylans letztem Schauspielversuch "Masked & Anonymous". Hier lächelt man nur über Todd Haynes' weise Entscheidung, sein Dylan-Enigma nicht linear, sondern im Godardschen Kuddelmuddelstil zu erzählen.

Keine Ahnung, was läuft

Wir leben alle viele Leben, scheint uns Todd Haynes unterm Strich sagen zu wollen, und wir alle haben die halbe Zeit keine Ahnung, was eigentlich läuft. Außer vielleicht Mr. Jones: Dieser weigerte sich, den bei ihm diagnostizierten Krebs behandeln zu lassen, weil er die letzten Tage seines Lebens gern mit seiner Frau und seinem Kind und nicht auf einer Intensivstation verbringen wollte. Noch fünf Tage vor seinem Tod hielt er an seinem College eine Vorlesung. Sein Bruder: "Dieser Dylan-Song war jetzt keine große Sache für ihn. Es hat ihn eher amüsiert."

I'M NOT THERE, USA 2007 - Regie: Todd Haynes. Buch: T. Haynes, Oren Moverman. Kamera: Ed Lachman. Mit: Christian Bale, Cate Blanchett, Richard Gere, Heath Ledger, Ben Whishaw, Charlotte Gainsbourg. Tobis, 135 Minuten.

© SZ vom 29.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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