Neu im Kino: "Cassandra's Dream":Wie Wünsche ihre Unschuld verlieren

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Zwei tölpelhafte Laien versuchen sich als Killer: In "Cassandras Traum" erzählt Woody Allen von den heillosesten Exzessen der Korrumpierbarkeit.

Rainer Gansera

"Nicht jeder lässt sich korrumpieren, du musst ein wenig Vertrauen in die Menschen haben!", murmelt die junge, engelsgleiche Tracy (Mariel Hemingway) in der Schlussszene von Woody Allens "Manhattan".

Ein Satz, den sich der Meister als Mantra und Selbstbeschwörung zuflüstern mag, an den er aber nicht glaubt. Denn das Schicksal ist ein tragisch-groteskes Spiel der Zufälle: Es schwebt wie der Tennisball in "Match Point" über der Netzkante, unentschieden zwischen Gut und Böse. Und die individuelle Moral wird von der erstbesten Verlockung wie ein Kartenhaus umgestoßen: Sie kann kein Vertrauen begründen.

So sieht die pessimistische Seelenlage und Weltsicht eines Regisseurs aus, der als Standup-Comedian in New York begann, als hypochondrisch-misanthropischer "Stadtneurotiker" berühmt wurde, und seit vierzig Jahren mit unbeirrbarer Regelmäßigkeit - ein Film pro Jahr - sein Universum erforscht.

Zwiespältige Parvenüs

Mal in Komödienform, mal als Drama. Mal fügt er sich als Darsteller in den Figurenreigen ein, dann wieder - wie hier - steht er nur hinter der Kamera. Immer aber verwendet er dieselben asketischen, schwarz-weißen Titelschriftzüge, und immer noch ist er, mittlerweile 72-jährig, als einer der letzten Ritter des Autorenkinos der Frage nach der Korrumpierbarkeit des Menschen auf der Spur.

Seit er seinen Homeground Manhattan verlassen hat und in London dreht, interessiert sich Woody Allen für Parvenü-Figuren: Kleine Leute, die groß herauskommen wollen, zwiespältig faszinierende Charaktere in der Tradition von Stendhals Julien Sorel oder Patricia Highsmiths Ripley, die unaufhaltsam auf die schiefe Bahn geraten.

In "Match Point" (2005) war es ein irischer Tennislehrer, der auf seinem Weg in mondäne Upperclass-Gefilde strauchelte, in "Cassandras Traum" sind es zwei Brüder, nette Jungs aus Londons Arbeiterklasse, die dem besseren Leben nachsteigen.

Langgehegter Wunsch geht in Erfüllung

Im Kern handelt "Cassandras Traum" davon, wie Träume ihre Unschuld verlieren. Der langgehegte Wunsch der Brüder, eine kleine Segelyacht zu besitzen, geht in Erfüllung, als der hemdsärmelige Mechaniker Terry (Colin Farrell) eine größere Summe beim Poker gewinnt. Hoffnungsfroh widmet sich der smarte Ian (Ewan McGregor) seiner Möchtegern-Karriere als gerissener Immobilien-Investor.

Dann die Vorzeichen des Albtraums: Terry verspielt eine Riesensumme, gerät in die Fänge von Kredithaien, und Ian verliebt sich in die verführerisch schöne Schauspielerin Angela (Hatley Atwell), deren Ansprüchen er weder intellektuell noch finanziell genügen kann.

Rettung soll vom steinreichen Onkel Howard (Tom Wilkinson) kommen. Der aber entpuppt sich als diabolischer Versucher: Er will den Brüdern das benötigte Geld nur geben, wenn sie ihm einen lästigen Konkurrenten vom Hals schaffen. Bestechend, mit welcher Konsequenz sich das Drama entfaltet.

Hitchcock'sche Groteske

Von der hübschen Milieustudie des Beginns verwandelt sich der Film zur Hitchcockschen Groteske (zwei tölpelhafte Laien versuchen sich als Killer), und endet als eine Tragödie, wie sie Kassandra - die Seherin, die vergeblich vor dem Untergang Trojas warnte - nicht moralisch abgründiger hätte visionieren können.

Woody Allen komponiert das Geschehen vorsätzlich wie eine Charaktertest-Versuchsanordnung. Die Story stürmt schnörkellos voran, und die brillant agierenden Darsteller erhalten Raum, die Figuren in all ihren Wirrnissen und Nacktheiten zu offenbaren: Colin Farrell den fragilen, von Gewissenbissen zernagten Terry, und Ewan McGregor den zunehmend zynischen, skrupellosen Ian.

Einmal, als Ian gerade seine schöne Schauspielerin kennengelernt hat, kutschiert er sie mit einem ausgeborgten Jaguar durch die Gegend und fragt: "Würdest du für eine Rolle mit einem Regisseur schlafen?" Sie: "Kommt auf die Rolle an, und auf den Regisseur, und darauf, ob genügend Alkohol bereitsteht, damit ich mich betrinken kann!"

Geradezu sympathisch

Die Offenheit ihrer Antwort macht sie in dieser Geschichte, die von den heillosesten Exzessen der Korrumpierbarkeit erzählt, geradewegs zur sympathischsten Figur.

Cassandra's Dream, USA/GB 2007 - Buch und Regie: Woody Allen. Kamera: Vilmos Zsigmond. Musik: Philip Glass. Mit: Ewan McGregor, Colin Farrell, Tom Wilkinson, Sally Hawkins, Hayley Atwell, John Benfield, Andrew Howard. Constantin, 108 Minuten.

© SZ vom 05.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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