Netz-Depeschen:Meinem Chef gefällt das

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In den Anfangszeiten des Web 2.0 galten soziale Netzwerke als Werkzeuge der Demokratisierung. Inzwischen ist aber klar: Sie dienen vor allem der Selbstvermarktung. Nicht überraschend, aber ernüchternd.

Michael Moorstedt

Als sich am vergangenen Mittwoch auf der Berliner Web-2.0-Konferenz Re:Publica die "Digitale Gesellschaft" gründete gab es zunächst Freude darüber, dass nun Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in und mit dem Internet verbringen eine Dachorganisation bekommen, die ihre Interessen gegenüber dem analogen Rest des Landes vertritt. Aber die Kritik ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Spiegel Online sammelte noch am selben Tag fünf Forderungen, an denen sich die Gründer rund um Markus Beckedahl doch bitte orientieren sollten. Eine davon lautete: "Mehr Transparenz!" Auch die deutsche Blogosphäre hielt sich mit Einwürfen nicht lange zurück. Vor allem die mangelnde Möglichkeit zur Partizipation wurde beklagt, denn bislang bliebe der Mitgliederkreis der digitalen Gesellschaft unter sich.

Blogeinträge, Re-Tweets und Facebook-Likes dienen nicht nur der Verbreitung von Informationen, sondern der Produktion eines bestimmten Images: Jesse Eisenberg in seiner Rolle als Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg. (Foto: dpa)

Was in Deutschland allerdings meist noch als eher nebensächliche Auseinandersetzung innerhalb einer überschaubaren Szene angesehen wird, ist in den USA längst ein echtes Problem. Hier wie dort galt das Web 2.0 und seine wegweisenden Plattformen YouTube, Facebook oder Twitter als Werkzeuge der Demokratisierung von Meinung, Unterhaltung und Politik. Erstmals schien es möglich, unabhängig von Status und Herkunft gesellschaftlich zu interagieren.

Knapp fünf Jahre später ist zumindest in den USA von dieser Hoffnung kaum etwas übrig, schreibt Alice Marwick, Fellow des Microsoft Research Programm. Nach vier Jahren Feldforschung und Dutzenden von Interviews in den Hinterzimmern der amerikanischen Technikszene kommt sie zu einem nicht überraschenden, aber doch ernüchternden Ergebnis. Der primäre Zweck sozialer Medien bestehe mittlerweile in der Selbstvermarktung und der Vermehrung des eigenen sozialen Kapitals: "Die Protagonisten der Netzszene pflegen und vermarkten ihre sorgfältig aufgebauten Personae als Statussymbol. Für ihre Fans werden sie zur Marken, zu Berühmtheiten."

Blogeinträge, Re-Tweets und Facebook-Likes dienten nicht nur der egalitären Verbreitung von Informationen, sondern der Produktion eines bestimmten Images. Im Silicon Valley und der mit Internet-Start-up-Unternehmen vollgestopften Bay Area, so Marwick, würden die Kommunikationsdienste des Internet längst so genutzt "wie es in den Chefetagen immer schon üblich war". Also zur Zementierung der eigenen Meinungs- und Marktmacht. Persönliche Beziehungen dienten vor allem dem Geschäft.

Das Web 2.0, so Alice Marwick, bilde ein extrem undurchlässiges Reputationssystem, wie es auch in "Hollywood, der Wall Street oder in der Politik" zu beobachten sei. Soziale Hierarchien würden also nicht nur reproduziert, sondern mitunter noch verstärkt. Denn wer sich mit anderen Netzberühmtheiten verbünde, erhöhe damit zwangsläufig auch sein eigenes Ansehen. Zwar seien Kreativität und Rebellion im Netz noch nicht ausgestorben, doch technische Neuerungen allein könnten etablierte Mechanismen des Sozialen nicht einfach aushebeln. Und natürlich beeinflusse der Online-Status auch Belange der Offline-Welt.

Wie weit diese Entwicklung geht, ist sehr schön zu beobachten, wenn zur Meinungs- auch Marktmacht hinzukommt. Blogs wie Techcrunch oder Mashable berichten von den Machenschaften der Start-up-Gründer und Risikoinvestoren mit dem radikalen Enthusiasmus des Boulevards. Als sich etwa Apple-Chef Steve Jobs und der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt einmal in einem Café trafen, wurde darüber so aufgeregt berichtet, als wäre der Hollywood-Star Scarlett Johansson gerade bei einem Seitensprung erwischt worden.

© SZ vom 18.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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